Russland wird nicht zur Stimme des Ostens
Ideologen wie Alexander Dugin versuchen eine gemeinsame Basis mit Asien zu finden. Auch Spiritualität und "ursprüngliche Werte" werden dabei in die Waagschale geworfen. In der Region wächst aber eher die Kritik an Putins Ukraine-Krieg.
Seit Beginn des von Wladimir Putin entfesselten Ukraine-Krieges verhalten sich die meisten Länder im Nahen Osten, Ostasien und Afrika zurückhaltend und verurteilen den Kreml kaum. So verwenden große Regionalverbände wie die Arabische Liga oder ASEAN in Südostasien in ihren frühen Stellungnamen nicht einmal Worte wie "Aggression", "Krieg" oder "Invasion".
Teheran stützt Moskau sogar, da es sich gegen den kollektiven Westen stellt. "Wenn Russland keine Militäroperation in der Ukraine gestartet hätte, hätte die Nato den Krieg begonnen" meinte zum Thema der oberste iranische Führer Ayatollah Ali Khamenei im Juli. Die auffälligste Geste der Iraner in Richtung des Kremls war die Lieferung von Drohnen, die inzwischen auch gegen die ukrainische Armee eingesetzt werden.
Woher kommt diese Haltung zu Russland? Warum sympathisiert man in den asiatischen Gemeinschaften mit der Politik des Kremls, obwohl dieser internationales Recht verletzt und die Welt momentan nach Meinung vieler Experten an den Rand eines Atomkriegs bringt? Aus politischer Sicht ist eine Erklärung für den Pragmatismus die Abhängigkeit von russischen Nahrungsmitteln, etwa Weizen und Pflanzenöl sowie von Waffenlieferungen.
"Im Krieg mit einer antireligiösen Zivilisation"
Doch es gibt auch einen ideologischen Faktor. Russische Offizielle und ihre Staatspropaganda weisen gerne darauf hin, dass Russland im Gegensatz zum Westen seine Vergangenheit nicht mit Kolonialismus in Afrika, Asien und dem Nahen Osten befleckt hat. Darüber hinaus habe der Westen nach der russischen Erzählung einen "Mangel an Spiritualität", predige einen "extremen Individualismus", die Zerstörung des biologischen Geschlechts und der Institution der Familie. Dagegen bewahre Russland wie seine östlichen Partner ihre "ursprünglichen Werte".
Mit dieser Argumentation agiert Russland auch in Asien selbst. So hat die Russische Botschaft in Bangladesch am 18. September auf ihrer Homepage und ihrer Facebook-Seite veröffentlicht: "Russland befindet sich im Krieg mit einer antireligiösen Zivilisation, die gegen Gott kämpft und die Grundlage spiritueller und moralischer Werte untergräbt: Gott, die Kirche, die Familie, das Geschlecht und die Männlichkeit (…) Daher besteht die Rolle Russlands darin, Gläubige verschiedener Richtungen in diesem Kampf zu vereinen."
Das ist eine Aussage des rechtsextremen russischen Philosophen Alexander Dugin. Manche sagen ihm einen großen Einfluss auf Putin selbst nach. Diese Position ist unter Experten umstritten. In jedem Fall befindet sich seine eurasische Ideologie nicht mehr weit von den Grundlagen der neueren Kreml-Politik entfernt. Und sie zielt auch nach Asien. Wie der russische Politologe und Experte des Carnegie-Zentrums, Alexander Baunov es gegenüber dem Wochenmagazin Der Freitag ausdrückt, ist Dugins Botschaft in diese Richtung, dass eine gemeinsame zivilisatorische Basis zwischen Russland und Asien bestehe, auf der man zusammenfinden könne.
Sie korrespondiert mit Dugins Kernaussagen über die "Notwendigkeit, dem Westen zu widerstehen" und das "russische Land zu sammeln". Genau diese Sammlung des "russischen Landes" war auch die Veranlassung für Putin, die Invasion in die Ukraine zu beginnen. Alexander Baunov, früher auch Mitarbeiter des Russischen Außenministeriums, glaubt, dass dennoch die nichtwestlichen Gemeinschaften "Putin nicht im eigentlichen Sinne unterstützen, sondern ausschließlich in seiner Funktion in der Konfrontation mit dem Westen".
Nach diesem Verständnis der östlichen Bündnisse rächt sich Russland mit seinem Krieg an den übrigen Staaten Europas und den USA, die auch reicher sind als die meisten Länder in Asien und Afrika.
Asien misstraut dem Westen, unterstützt aber nicht bedingungslos Russland
Man kann aber nicht über eine bedingungslose Unterstützung von Putins Politik aus den Ländern des Orients sprechen. Selbst der Iran bleibt gegenüber Russland ambivalent. Einerseits respektiert man die russische Kultur und viele russische Schriftsteller werden ins Persische übersetzt. Andererseits erinnern sich die Iraner daran, dass im 19. Jahrhundert Russland einen Teil des persischen Territoriums annektierte und dann die UdSSR gemeinsam mit Großbritannien und den USA Truppen in die nördlichen Gebiete des Iran entsandte.
"Die iranische Gesellschaft will keinen Krieg und keinen Streit mit der Ukraine, mit der wir immer gute Beziehungen hatten". Drohnen nach Russland zu verkaufen, ist ein großer Fehler" kritisierte auch der in Berlin lebende iranische Politologe Amir Chahaki seine Regierung.
In China, das Russland nicht offiziell verurteilt, aber auch versucht, nicht gegen die westlichen Russland-Sanktionen zu verstoßen, gibt es ebenfalls keine eindeutige Unterstützung für den Kreml. Es unterzeichneten sogar kürzlich fünf namhafte chinesische Historiker einen Brief an die eigene Staatsspitze, in dem sie Peking aufforderten, Moskau offen zu verurteilen: "Russlands gewaltsamer Einmarsch in einen souveränen Staat ist ein Verstoß gegen die Normen der internationalen Beziehungen auf Grundlage der UN-Charta und ein Verstoß gegen das System der internationalen Sicherheit" heißt es darin.
Kaum gefühlte "Wesensverwandtschaft"
Gerade wegen des Konflikts mit Taiwan ist das Thema der territorialen Integrität für China besonders relevant und erhielt durch den kürzlichen Besuch der US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan zusätzliche Brisanz.
In der arabischen Welt basiert Unterstützung für Russland ebenfalls mehr auf Ressentiments gegen die Nato-Staaten, weniger auf einer gefühlten "Wesensverwandtschaft", wie sie Dugin suggeriert. Arabische Intellektuelle erinnern sich oft an die Politik der Doppelmoral des Westens, etwa bei der militärischen Besetzung des Irak und eingedenk der Schwierigkeiten, mit denen der Nahe Osten vor allem 2015 konfrontiert war, als die Flüchtlingskrise vor allem aus Syrien eskalierte.
"Die Ukrainer sind Europäer, wir nicht. Westliche Länder hören auf sie, aber nicht auf uns", fasst Hazem Saghieh von der Zeitung Asharq-Al-Awsat eine verbreitete Meinung zusammen. Iraker, Syrer, Libyer oder Jemeniten empfinden manchmal fast eine Schadenfreude darüber, dass es nun eben nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa selbst blutige Auseinandersetzungen gibt. Gleichzeitig sind sie durch gestiegene Lebensmittelpreise gezwungen, ihre Ansichten über die Geschehnisse in der Ukraine schon aus Eigeninteresse zu überdenken.
Indiens zurückhaltende Reaktion in den ersten Kriegsmonaten erklärt sich weitgehend aus den historisch engen Beziehungen zwischen Moskau und Neu-Delhi schon sein Sowjettagen. Darüber hinaus gibt es auch in der indischen Gesellschaft weit verbreitetes Misstrauen gegenüber den Amerikanern und Europäern. So finden sich in der indischen Presse Wörter wie "Aggression" und "Invasion" fast nicht zur Beschreibung der Taten der russischen Armee im Nachbarland.
Es gibt sogar Stimmen wie die des früheren Botschafters von Indien in Frankreich und Russland Kanwal Sibal, die Russlands Aktionen als "verständliche Reaktion eines Landes, das sich vom Westen belagert sieht" bezeichnet. Doch bleibt auch bei den Indern ein ungutes Gefühl angesichts der russischen Aggression und ihnen ist nicht nach einer Eurasischen Allianz, wie sie russischen Ideologen vorschwebt. "Ich weiß, dass dies nicht die Ära des Krieges ist" stellte der indische Premierminister bei einem Treffen mit Putin in Usbekistan fest.
Alexander Baunov ist überzeugt, dass Putin zunehmende Signale aus China, Indien und anderen Ländern bekommt, dass sie ihn nicht als Gesicht der nichtwestlichen Welt sehen. Sie sähen dagegen nach seiner Meinung eine Notwendigkeit, die Feindseligkeiten in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Russland wird keine Eurasische Führungsrolle erreichen und ein Foto vom Rande des Gipfeltreffens der Shanghai-Organisation symbolisiert das deutlich. Dort sitzt nicht Putin, sondern Erdogan am Kopfende der feierlichen Tafel, während Putin zwischen den Diktatoren von Tadschikistan und Belarus eingeklemmt ist.
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