"Russland wirklich weh tun"
Über eine grassierende Geschichtsvergessenheit bei der Debatte über Russland in Deutschland
"Jetzt reicht es aber. Verlassen Sie den Donbaz", herrschte der CDU-Politiker Elmar Brok seinen Diskussionspartner Dmitri Tultschinski an. Der ehemalige Leiter des russischen Senders Rossiya Sevodnya in Berlin sollte mit Brok und der Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien, Gwendolyn Sasse, im Deutschlandradio die Frage "Steht Putins Russland zu Recht am Pranger?" diskutieren.
Am Pranger stand aber schnell der "Putinversteher" Tultschinski, dem zwei Diskussionspartner gegenüberstanden, die den sogenannten Westen vertraten, die in Russland die Gefahr sehen, die gestoppt werden muss. Dass Brok da manchmal eher wie ein General wirkte, der gegen die Russen den Krieg doch noch gewinnen will, war eine besonders unangenehme Begleiterscheinung. Die wird aber kaum noch diskutiert. Die deutschen Verbrechen an Bürgern der Sowjetunion und Russlands werden heute nicht mehr erwähnt.
Die vielgerühmte deutsche Geschichtsaufarbeitung
In der vielgerühmten deutschen Gedenkpolitik ist für sie kein Platz. So war auch der 75 Jahrestag der Schlacht von Stalingrad, dem Anfang vom Ende des Naziregimes in Deutschland "kaum ein Thema". "Deutschland verzichtet auf Gedenken", lautete eine bezeichnende Überschrift.
Gegenüber Russland hat sich der selbsternannte Gedenkmeister Deutschland nie große Mühe gegeben. Im Kalten Krieg hat man die Propaganda gegen Russland nur wenig retuschiert einfach fortgesetzt. In der Zeit der Entspannungspolitik hat man sich vor allem auf ökonomische Kooperation konzentriert. Doch in dieser Zeit kümmerten sich zivilgesellschaftliche Initiativen auch um das Gedenken an den sowjetischen Opfern, die im deutschen Sprachgebrauch doch nur "die Russen" blieben.
Exemplarisch sei nur an den Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock in Ostwestfalen erinnert, der dort seit 50 Jahren an die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen erinnert. Der Arbeitskreis hatte nie die offizielle Anerkennung, Mitarbeiter wurden im Gegenteil in die linke Ecke gestellt und bespitzelt.
Doch haben solche Initiativen manchmal auch in Westdeutschland zu einem Bewusstsein vor allem bei jüngeren Menschen beigetragen, dass Deutschland das letzte Land ist, das der Sowjetunion, respektive Russland, Lektionen in Geschichte erteilen sollte.
Stalingrad nie verziehen?
Doch davon ist heute wenig geblieben. Im Gegenteil man hat nicht nur bei Elmar Brok den Eindruck, dass die Deutschen "den Russen" Stalingrad nie verziehen haben. Das drückt sich schon in der Sprache aus. Wenn der Ko-Vorsitzende der Grünen Robert Habeck einen Stop des Gaspipeline-Projekts Nord Stream fordert, muss er hinzusetzen: "Das ist einer der wenigen Punkte, die Russland wirklich weh tun."
Dass noch einige russische Menschen leben, denen Deutschland wirklich weh getan hat, wird Habeck dabei wohl ebenso wenig bedacht haben, wie die vielen anderen, die in diesen Tagen ganz kreativ dabei sind, sich weitere Sanktionen gegen Russland auszudenken. Eher humoristisch war hingegen die vom ukrainischen Außenminister angezettelte Debatte, auch den ehemaligen SPD-Bundeskanzler und heutigen Gazprom-Lobbyisten Gerhard Schröder mit Sanktionen zu belegen.
Keine schlechte Idee, den Erfinder der Agenda 2010, die für Zigtausende einkommensarme Menschen Sanktionen brachte, auch etwas zu sanktionieren. Gründe gäbe es also genug.
Die von Deutschland gestützte anti-russische Fraktion in der Ukraine
Doch der Vorschlag aus der Ukraine macht einmal mehr die Machtverhältnisse im östlichen Hinterhof deutlich. Die pro-deutschen Kräfte in Kiew sind in ihre Position nur gelangt, weil sie von der anti-russischen Fraktion in Deutschland protegiert wurden.
Elmar Brok hat in der oben erwähnten Deutschlandfunkdiskussion selbst gestanden, dabei gewesen zu sein, als am Maidan mit Hilfe aus Deutschland die sogenannte pro-westliche Koalition aus der Taufe gehoben wurde.
Die extreme Rechte, die dort auch dabei war, hat natürlich auch Elmar Brok nicht gesehen. Aber auch in der Sendung war er überzeugt, dass die Schüsse auf die Demonstranten nur von den russlandfreundlichen Opponenten gekommen sind. Er will da sogar Augenzeuge gewesen sein.
Dass die Frage, wer für die Schüsse am Maidan verantwortlich ist, bis heute nicht verlässlich geklärt ist, es aber ernstzunehmende Aussagen gibt, die der in Deutschland politisch unterstützten Version widersprechen - Maidanmorde: Aussagen weisen erneut auf Täter aus den eigenen Reihen - ignoriert Brok.
Kanzler Schröder gehörte nicht zu den explizit anti-russischen Kräften. Doch unter seiner Ägide rückte die Nation immer weiter nach Osten vor und von Schröder hörte man kein Wort des Widerstands. Erst als er seinen Job beim Gazprom antrat, gab er den Putin-Versteher. Das ist eben die Rolle, die man als Gazprom-Mann spielen muss.
Auch der pro-russischen Fraktion geht es nicht um Geschichte
Doch ein Teil der deutschen Eliten hat historisch schon immer auf ein engeres Bündnis mit Russland gesetzt. Aktuell gibt es deshalb in Kreisen rechts von der Union solche Bestrebungen. Dabei geht es natürlich nicht um deutsche Geschichte, sondern um die Kooperation zwischen der Deutsch-EU und Russland.
Auch der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hat sich in einem Deutschlandfunk-Interview dafür ausgesprochen, die Sanktionen gegen Russland zu lockern.
Die Kritik, die daraufhin auch in seiner eigenen Partei einsetzte, zeigt deutlich, dass die anti-russischen Kräfte aktuell die Hegemonie in Deutschland haben. Das kann sich ändern, doch, was die pro- und die antirussischen Kräfte eint, ist die Geschichtsvergessenheit.
Dass es die Rote Armee war, die das Vernichtungslager Auschwitz befreite, wird heute kaum noch erwähnt.