Russlands Energie und Deutschlands Abhängigkeit
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Belastbare Fakten und Zahlen? Wer sich auf die Suche danach macht, erlebt erst einmal eine Überraschung
Russland liefert das meiste Erdgas in die Bundesrepublik, doch eine offizielle Statistik dazu gibt es nicht mehr. Ein kurzfristiger Lieferstopp wäre vor allem für die Industrie schwer zu verkraften. Bei Erdöl- und Steinkohle-Importen liegt Russland ebenfalls weit vorn, doch hier erscheint die Situation nicht ganz so schwierig.
Seit Putins Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine führt, wird viel darüber diskutiert, wie sich die deutsche Energieversorgung von russischen Energielieferungen lösen kann. Dabei erscheint es angebracht, belastbare Fakten und Zahlen zu verwenden. Doch wer sich beim Erdgas auf die Suche danach macht, erlebt erst einmal eine Überraschung.
Denn für die Herkunftsländer von importiertem Erdgas gibt es seit dem Jahr 2016 keine offiziellen Zahlen mehr. Die länderspezifische Importstatistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz endet im Jahr 2015. Damals verbrauchte die Bundesrepublik 4.584 Petajoule Erdgas. Davon wurden nur sieben Prozent im eigenen Land gefördert. Jeweils 32 Prozent kamen aus Russland und Norwegen sowie 27 Prozent aus den Niederlanden.
Im Jahr 2020 verbrauchte die Bundesrepublik mit 5.336 Petajoule deutlich mehr Erdgas und förderte weniger im eigenen Land. Der Import stieg auf 5.354 Petajoule. Aus welchen Herkunftsländern das Import-Erdgas des Jahres 2020 kam, ist der Statistik des Ministeriums nicht mehr zu entnehmen.
Verfassungsmäßig geschützte Geheimnisse
Doch warum gibt es zu diesem höchst interessanten Thema keine offiziellen Informationen? Eine Antwort darauf gab das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vor drei Jahren nach einer Kleinen Anfrage des Bundestags-Abgeordneten Jürgen Trittin (Bündnis90/Grüne):
Die gewünschte Bezifferung der Gasbezugsanteile Deutschlands kann nicht übermittelt werden. Zwar erhebt das BAFA entsprechende Einfuhrdaten für Gasimporte. Bei Bezifferung der erbetenen Importanteile von nach Deutschland importiertem Erdgas ist jedoch nicht auszuschließen, dass anhand der Angabe der Importmengen eine Zuordnung der Importe auf einzelne Unternehmen erfolgen kann. Dies könnte die verfassungsmäßig geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen beeinträchtigen. Gemäß § 16 Bundesstatistikgesetz i.V.m. § 11 Abs. 2,5 Außenwirtschaftsgesetz sowie der Außenwirtschaftsverordnung ist die Bundesregierung an einer Weitergabe insoweit gehindert.
Die Abkürzung BAFA steht für das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.
Es spricht alles dafür, dass die deutschen Erdgasimporte auch in den Jahren 2016 bis 2021 weiterhin hauptsächlich aus Russland, den Niederlanden und Norwegen kamen. Dabei dürfte der Anteil des russischen Erdgases weiter gestiegen sein, da vor allem die Förderung in den Niederlanden zunehmend an Grenzen stieß.
In aktuellen Stellungnahmen der Wissenschaftsakademie Leopoldina und des BDEW Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft wird der Anteil des russischen Erdgases an den deutschen Importen jeweils mit etwas mehr als der Hälfte beziffert. In Medienberichten wird auch oft ein Anteil von 55 Prozent genannt – allerdings ohne Quellenangabe.
Lieferstopp würde Versorgungssicherheit gefährden
In den vergangenen Wochen haben deutsche, ukrainische und osteuropäische Politiker wiederholt gefordert, die Energielieferungen aus Russland zu stoppen. Im Mittelpunkt stand dabei die Ostseeleitung Nord Stream 1, durch die seit dem Jahr 2011 ein großer Teil des russischen Erdgases auf einem direkten Transportweg nach Deutschland strömt.
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Bündnis90/Grüne) hat einen solchen Lieferstopp abgelehnt, um die Versorgungssicherheit für die deutsche Wirtschaft und die deutschen Haushalte nicht zu gefährden. Er sieht den sozialen Frieden in Gefahr.
Ähnlich sieht das der Branchenverband BDEW:
Es ist verständlich, dass angesichts des Ukraine-Krieges drastische Forderungen aufgestellt werden. Ein Embargo für Energielieferungen aus Russland allerdings hätte massive negative Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und auch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei jeder Maßnahme muss abgewogen werden, ob sie nicht zu untragbaren Verwerfungen führt.
Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung