Russlands Energie und Deutschlands Abhängigkeit

Seite 2: Russisches Erdgas teilweise ersetzen oder einsparen

Am Freitag, den 18. März, hat der BDEW eine neue Analyse dazu vorgelegt, wie viel russisches Erdgas kurzfristig in Deutschland ersetzt werden könnte. Demnach war der Anteil Russlands am deutschen Erdgasimport in den Monaten Januar bis März 2022 auf 40 Prozent gesunken.

Andere Länder hatten wieder mehr geliefert. Nach Einschätzung des BDEW könnte die Hälfte des russischen Anteils kurzfristig ersetzt oder eingespart werden. Ein mögliches Embargo würde vor allem die Industrie voll treffen, deren Belieferung dann zuerst eingeschränkt werden würde. Haushaltskunden und soziale Einrichtungen würden vorrangig versorgt.

LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder)

LNG-Terminal Ras Laffan in Katar. Bild: Matthew Smith / CC-BY-2.0

Auch in der Wissenschaft wird bereits untersucht, wie sich ein Verzicht auf russische Erdgaslieferungen auswirken würde. Die Leopoldina weist in ihrer "Ad-hoc-Stellungnahme", darauf hin, dass russisches Erdgas theoretisch durch Flüssigerdgas ersetzt werden könnte.

Tiefgekühltes Flüssigerdgas (Englisch: Liquefied Natural Gas – LNG) wird aus weit entfernten Teilen der Welt in Tankern über die Ozeane transportiert. In der Zielregion wird es in LNG-Terminals entladen, regasifiziert und in die Gasnetze eingespeist.

Soziale Abfederung

Allerdings gibt es in Deutschland noch keine LNG-Terminals, sie sollen nun erst gebaut werden (LNG-Terminal: Fortschritt in Brunsbüttel und LNG-Importe in Wilhelmshaven: Schon vor 2023 möglich). Das wird einige Jahre dauern. Kurzfristig könnten die deutschen Gasimporteure zwar auf bestehende, bisher nicht ausgelastete LNG-Terminals in anderen westeuropäischen Ländern zurückgreifen. Praktisch sieht die Leopoldina allerdings dafür noch "erhebliche Voraussetzungen":

Erstens müsste die globale Verfügbarkeit von LNG hinreichend hoch sein – dies dürfte letztlich eine Frage des Preises, langfristiger Lieferverpflichtungen und der internationalen Kooperationsbereitschaft sein. Zweitens müsste die Anbindung der LNG-Terminals an das deutsche Pipelinenetz mit einer ausreichenden Kapazität gewährleistet sein.

Insgesamt halten die Akademie-Wissenschaftler es für möglich, diese Schwierigkeiten zu bewältigen:

Die Stellungnahme kommt zu dem Schluss, dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre. Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben, es bestünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die negativen Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.

Mit dieser sozialen Abfederung hat sich das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC näher beschäftigt. Es hat verschiedene Szenarien dafür durchgerechnet, dass die russischen Energielieferungen eingeschränkt oder unterbrochen werden. Dabei kommt es zu folgendem Ergebnis:

Je nach Preisszenario könnten auf einen durchschnittlichen Haushalt Mehrkosten von 800 bis 2.500 Euro pro Jahr zukommen, und die Belastung für die rund vier Millionen einkommensschwächsten Haushalte macht dann im Schnitt 3,5 bis 11 Prozent der gesamten Konsumausgaben aus. Ein deutsches Importembargo oder ein russischer Lieferstopp auf Öl, Kohle oder auch Gas wären kaum durchhaltbar, Deutschland ist an dieser Stelle latent erpressbar. Doch wir zeigen: Eine Politik des gezielten sozialen Ausgleichs kann die Belastung signifikant abmildern.

Die Klimaforscher unterbreiten auch konkrete Vorschläge, wie dieser gezielte soziale Ausgleich umgesetzt werden könnte. Ihre Maßnahmenpakete würden viel Geld kosten: Je nach Ausmaß des Energiepreis-Anstiegs und Umfang der Ausgleichsmaßnahmen kommen sie auf 14 bis 77 Milliarden Euro für ein Jahr.

Erdöl-Importe

Beim Erdöl erscheint die Situation insgesamt weniger schwierig als beim Erdgas. Das gilt schon für die Importstatistik: Es ist kein Geheimnis, dass die Bundesrepublik im Jahr 2021 eine Rohölmenge von 28 Millionen Tonnen aus Russland importiert hat.

Damit trug es mit 34 Prozent zum gesamten deutschen Rohöl-Import bei, der bei 81 Millionen Tonnen lag. Russland war so mit großem Abstand der größte Lieferant: Die USA lieferten 12 Prozent; Kasachstan, Norwegen und Großbritannien erreichten jeweils 10 Prozent. Die übrigen Rohöl-Importe kamen aus 30 weiteren Ländern

Ob die russischen Rohöl-Importe deutlich verringert oder sogar ganz ersetzt werden können, hängt vermutlich von der Situation auf dem Weltmarkt, von den Fördermöglichkeiten in den einzelnen Lieferländern und von den bestehenden Transportstrukturen ab.

Die Situation auf dem Rohöl-Weltmarkt ist dadurch bestimmt, dass sich Angebot und Nachfrage mitunter sehr unterschiedlich entwickeln. Das führt zu stark schwankenden Preisen: Vor zwei Jahren war der Rohölpreis noch zeitweise bis in den negativen Bereich abgestürzt.

Danach stieg er wieder kräftig an und erreichte Anfang März die Marke von 139 US-Dollar je Fass (159 Liter). Damit kam er dem bisherigen Rekordstand von knapp 150 US-Dollar aus dem Jahr 2008 schon wieder sehr nahe. Zwischendrin fiel er dann wieder unter 100 US-Dollar.

Wenn deutsche und andere europäische Importeure weniger oder kein Rohöl mehr aus Russland beziehen wollen und dafür größere Mengen in anderen Lieferländern einkaufen, wird sich das wohl preissteigernd auf den Weltmarktpreis auswirken.

Ein preismindernder Einfluss wäre zu erwarten, wenn die anderen Lieferländer in dieser Situation ihre Fördermengen erhöhen würden. Dabei dürfte viel von den Entscheidungen des OPEC-Förderkartells abhängen.

Rohöl wird nach Deutschland über grenzüberschreitende Rohöl-Pipelines sowie über die Häfen Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Hamburg und Rostock eingeführt. Von drei dieser Häfen führen wiederum Pipelines zu einer oder mehreren Raffinerien, in denen das Rohöl zu Kraftstoffen und anderen Ölprodukten verarbeitet wird.

Die Raffinerien in Leuna, Sachsen-Anhalt, und Schwedt, Brandenburg, werden direkt durch die Drushba-Pipeline mit russischem Rohöl beliefert. Hier dürfte eine Umstellung auf andere Lieferländer besonders schwierig sein.

Keine Abhängigkeit bei Steinkohle

Steinkohle wird in der Bundesrepublik vor allem in Kraftwerken und in Stahlwerken eingesetzt. Ihr Anteil an der Brutto-Stromerzeugung ist in den vergangenen Jahren schrittweise zurückgegangen und lag im Pandemiejahr 2020 noch bei acht Prozent.

Nach dem Ende der heimischen Förderung wird Steinkohle inzwischen fast vollständig importiert. 2020 lagen die Importe bei 30 Millionen Tonnen. 45 Prozent davon kamen aus Russland. Weitere wichtige Lieferländer waren die USA mit 18 Prozent und Australien mit 12 Prozent.

Bei Kraftwerkskohle spielen die Steinkohle-Lieferungen aus Russland eine noch größere Rolle: Hier lag ihr Anteil im Jahr 2020 bei 67 Prozent. In einzelnen Kraftwerken werden aktuell sogar bis zu 75 Prozent russische Steinkohle verfeuert.

Der BDEW weist darauf hin, dass Steinkohle weltweit gehandelt wird. Bei reduzierten Lieferungen aus Russland könnten theoretisch Lieferungen aus Australien, Indonesien, USA, Südafrika und Kanada erfolgen, schreibt der Verband. Hierbei sei jedoch neben Weltmarktpreisen auch eine höhere Seefrachtrate zu berücksichtigen.

Die Umstellung auf andere Lieferländer könnte also auch bei der Steinkohle zu höheren Kosten führen, die sich dann wohl in den Strom- und Wärmepreisen niederschlagen dürften.