Russlands Krieg als Ausrede für Raubbau im Amazonas

Seite 3: Der Druck nimmt zu

Der amazonische Regenwald enthält fast 30 Prozent des in den Wäldern Lateinamerikas gespeicherten Kohlenstoffs sowie 14 Prozent des Kohlenstoffs in den tropischen Wäldern weltweit. Das ist mehr Kohlenstoff, als alle Tropenwälder in Indonesien oder der Demokratischen Republik Kongo speichern.

Im brasilianischen Regenwald leben mehr Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien als in allen nicht indigenen Naturschutzgebieten des Landes zusammen. Obwohl die brasilianische Verfassung das Recht der Indigenen auf ihr Land garantiert, dringen illegale Siedler und Goldsucher seit Jahren ungehindert in die Territorien von indigenen Gemeinschaften ein.

Demnach haben die illegalen Besetzungen von indigenem Land sowie Abholzungen seit Bolsonaros Amtsantritt im Jahr 2018 um135 Prozent zugenommen. Über die Hälfte davon befinden sich im Amazonasgebiet. Allein im Jahr 2020 wurden fast 10.900 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt.

Dies sei der größte Kahlschlag in Amazonien innerhalb der vergangenen zwölf Jahre gewesen, erklärt das Nationale Institut für Weltraumforschung INPE. Ein weiteres Problem sind die Waldbrände: Allein im Herbst 2021 wüteten in Amazonien insgesamt fast 90.000 Feuer. Auch in diesem Jahr schreitet die Entwaldung im Rekordtempo voran.

Amazonas verliert an Widerstandsfähigkeit

Ein intakter Wald im Amazonasbecken ist die Grundlage für die Wasserkreisläufe in Südamerika. Allerdings nähert sich der Regenwald bereits dem Kipppunkt, heißt es in der kürzlich veröffentlichten Studie eines britisch-deutschen Forscherteams unter Leitung von Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Der Klimaforscher verweist auf Modelle des IPCC, die eine Austrocknung des Amazonasgebiets als Reaktion auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung voraussagen. Davon sind auch menschlicher Siedlungen in der Nähe bedroht.

Bisher speicherte der Regenwald erhebliche Mengen an Kohlendioxid und nahm somit eine Schlüsselrolle für das Weltklima und die Artenvielfalt ein. Bei mehr als drei Vierteln des Waldes habe die Fähigkeit nachgelassen, sich von Dürren und Bränden zu erholen, wie eine Analyse hoch aufgelöster Satellitendaten zur Veränderung der Biomasse im Amazonas ergab. Einer Studie vom Juli 2021 zu Folge geben Teile der Amazonasregion inzwischen mehr Kohlendioxid ab als sie aufnehmen.

Die nachlassende Widerstandsfähigkeit führten die Wissenschaftler vorwiegend auf den Stress durch Abholzung und Brandrodung zurück. Einige Regionen im Südosten des Regenwaldes geben sogar mehr Treibhausgas ab als sie aufnehmen. Durch Entwaldung und Emissionen von Kohlenmonoxid infolge von Bränden könnte der Regenwald bald zu einer Kohlendioxidquelle werden.

Bisher zogen globale Wälder etwa zwei Prozent mehr Kohlendioxid aus der Luft, als sie wieder abgaben. Diese Menge entsprach etwa einem Viertel aller Emissionen aus fossilen Kraftstoffen seit 1960. Der Amazonas galt als wesentliche Komponente dieser globalen Senke. Kippt diese Bilanz in dem größten Tropenwaldgebiet der Welt auch nur teilweise, werde der Klimawandel nun noch schneller vorangetrieben.

Abholzung und Feuer müssen gestoppt werden

Der Anteil Brasiliens am Amazonasgebiet entspricht flächenmäßig etwa der Größe Westeuropas, weshalb er für den Klimaschutz eine besonders große Rolle spielt. Der Osten und Südosten veränderten sich in den letzten Jahrzehnten infolge von Rodungen, Feuer und Landwirtschaft besonders stark. Die landwirtschaftlichen Flächen auf ehemaligem Waldgebiet geben vermehrt Kohlendioxid ab.

Die Temperatur erhöhte sich hier in den letzten 40 Jahren um etwa einen halben Grad pro Jahrzehnt. Diese Entwicklung verstärkte den Trockenstress der Pflanzen und begünstigt Feuer auch in intakten Waldteilen. Weil die westlich gelegenen Bereiche des immensen Waldgebiets noch sehr feucht und zu großen Teilen unberührt seien, nehme der Amazonas bisher nach wie vor etwas mehr Treibhausgas auf, als er abgebe.

Bisher habe der intakte Wald regional mehr Regen erzeugt, heißt es. Nun aber befeuern die voranschreitenden Abholzungen sowie globaler Klimawandel die steigenden Temperaturen, wobei sie den Effekt der Austrocknung weiter verstärken.

Wir befinden uns am Rande des Tipping Points, warnt der brasilianische Klima-Experte Carlos Nobre anlässlich des Marseiller Klimagipfels. Es bleibe keine Zeit mehr, die Abholzung und die Wildfeuer in ein paar Jahren zu stoppen. Sei der Punkt einmal überschritten, geben wir 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ab. Damit werde die globale Erwärmung nicht mehr unter 1,5 Grad zu halten sein. 17 Prozent der ursprünglichen Waldfläche sind bereits verschwunden.

Wie Wissenschaftler herausfanden, könnte ein Verlust von etwa einem Viertel des Waldes im Amazonasbecken ausreichen, um den Kipppunkt zu erreichen. Werde dieser überschritten, könnte sich ein Großteil des Amazonasgebiets in eine Savanne verwandeln. Infolgedessen entstünden riesige Wüsten. Dürre und Trockenheit, die Experten dem Klimawandel und den Abholzungen zuschreiben, werden dann zunehmen, nicht nur am Amazonas, sondern weltweit

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