Russlands Rechtsextreme: Wird der Westen Putin noch vermissen?
Seite 2: Prigoschins Aufstand erzeugt Misstrauen
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Seine Inhaftierung zeigt, dass das Bündnis des russischen Establishments mit den "übergelaufenen" Rechtsextremen nicht stabil ist. Letztere werden vor allem seit dem Eintagesaufstand von Jewgeni Prigoschins Wagner-Söldnern argwöhnisch betrachtet. Die russische Regierung ist sich offenbar nicht sicher, ob die Geister, die sie aus der rechten Szene rief, für immer im eigenen Sinne des Machterhalts arbeiten werden.
Es handelt sich hier um Überzeugungstäter – nicht um Apparatschiks, die zum Erhalt ihrer Stellung flexibel Ideologien nachhängen, wenn nur der Rubel weiter rollt. Mit einem härteren Kurs gegen die Ultrapatrioten ist in nächster Zeit zu rechnen. Am Rande der Gerichtsverhandlung gegen Girkin kam es nach Protesten bereits zu weiteren Verhaftungen von Szenevertretern.
Wie gefährlich könnten diese Ultrapatrioten werden, wenn ihr Bündnis mit dem Kreml zerbricht? Hier kommt es vor allem darauf an, inwieweit sie aus dem inneren Zirkel der Macht Unterstützung erhalten, zu dem sie, ebenso wie Prigoschin, trotz aller Verbundenheit mit der "Russischen Welt" selbst nicht gehören.
Solche Verbündeten sind aktuell nicht ersichtlich – Putin gilt dem Apparat weiter als Symbol. Ohne Bündnispartner kann es zwar kaum zu einem erfolgreichen Umsturz in Russland kommen, aber eine wachsende Instabilität ist möglich. Vor allem angesichts der Tatsache, dass in Zeiten des Krieges alle möglichen Formationen über zahlreiche Waffen verfügen und es sich um Militaristen handelt.
Der mächtigste Kandidat im Bereich einer potenziellen gewaltsamen Machtübernahme, Prigoschin selbst, ist jedoch bereits gescheitert – und eine starke Truppe, vergleichbar mit der bisherigen PMC Wagner, gibt es nicht mehr.
Viele Russen sind nicht Teil der "russischen Welt"
So ist die Frage vor allem, wie weit rechtsradikales Gedankengut bereits in der russischen Elite existiert und in praktische Politik umgemünzt wird. Hier scheitert die umfassende Umsetzung aktuell vor allem daran, dass die russische Gesellschaft ideologisch kaum durchdrungen ist.
Das weiß das Establishment. Die französische Politologin Marlene Laruelle stellt hierzu fest, dass jede gesellschaftliche Mobilisierung durch die Ideologie fehle – daher könne nicht von einem russischen Faschismus die Rede sein. "Das russische Regime verschleiert den Krieg vielmehr und droht sogar jenen, die die "militärische Spezialoperation" als Krieg bezeichnen, mit 15 Jahren Freiheitsentzug. Weder wird der Krieg öffentlich verherrlicht, noch werden Narrative entwickelt, bei denen Gewalt als Mittel zur nationalen Wiedergeburt gepriesen wird."
Die breite russische Bevölkerung ist politikfern, was ein wesentlicher Unterschied etwa zum deutschen oder italienischen Volk in den unseligen 1930er-Jahren des letzten Jahrhunderts ist. Auch der Einfluss der ultrakonservativen orthodoxen Kirche auf die meist unreligiösen Russen ist gering.
Nur sechs Prozent der erwachsenen Bevölkerung Russlands besuchen überhaupt regelmäßig Gottesdienste. Urbane, jüngere Russen sind trotz Inhaftierung vieler ihrer Leitfiguren für eine Ideologie, die wie aus dem 19. Jahrhundert gefallen erscheint, nicht empfänglich – und der Grad der Urbanisierung in Russland betrug 2021 knapp drei Viertel.
Wer von der Ideologie der "russischen Welt" spricht, spricht sehr zum Leidwesen ihrer Ideologen nicht von der Mehrheit der russischen Bevölkerung.
Harte Russland-Politik hilft den Rechten
Deshalb ist es auch falsch, wenn westliche Eiferer jeden Kompromiss gegenüber Russland als Wiedergeburt einer falschen "Appeasementpolitik" brandmarken und Parallelen zu den späten 1930er-Jahren ziehen. Vielmehr ist die herablassende, dominante und belehrende Politik des Westens neben inneren Faktoren ursächlich für das Entstehen der reaktionären "russischen Welt".
Jede pauschale Verurteilung der Russen als Volk treibt die russische Bevölkerung erst in die Arme ihres rückwärtsgewandten Establishments, weil man sie damit pauschal ausgrenzt und der Absonderungslogik der Rechten hilft. Noch sind die Normalbürger von ihnen oft weit entfernt, in einer unpolitischen Apathie.
Nötig ist eine deutliche Ablehnung jeder imperialistischen Ideologie, aber auch deutliche Zeichen, dass diese Ablehnung nicht das gesamte Volk pauschal umfasst. Die Politik der russischen Regierung ist abzulehnen, aber nicht die Russen an sich.
Deutliche Zeichen könnten hierbei im Umgang mit nicht einverstandenen Russen gesetzt werden, etwa Aufnahmen im Falle politischer Verfolgung. Oder mit einer Abschaffung von Einreisebeschränkungen, die vor allem die treffen, deren eigene Welt nicht an Russlands Grenzen endet.
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