Russlands Wagner-Söldner: Aus dem Krieg zurück in den Knast?
Von den Ex-Häftlingen, die im Donbass für Russland gekämpft haben, kehren nur wenige zurück. Manche werden gleich wieder straffällig. Begnadigt wurden sie von Putin persönlich.
Gerade in der Schlacht um Bachmut war auf russischer Seite sehr zahlreich die private Söldnerarmee PMC Wagner des kremlnahen Oligarchen Jewgeni Prigoschin im Einsatz. Da die Verluste dort von Anfang an hoch waren, kam Prigoschin vor gut einem halben Jahr auf die Idee, Nachschub in den russischen Gefängnissen zu rekrutieren.
Straffreiheit für Kanonenfutter
Für diese Aktion hatte er grünes Licht von höchster Ebene. Denn als Kampfanreiz diente den Inhaftierten, dass nach einer sechsmonatigen Dienstzeit im Krieg eine Begnadigung winkte – und Begnadigungen sind ein Privileg von Präsident Wladimir Putin persönlich. Dass dieser Weg des Begnadigungsverfahrens gewählt wurde, war zunächst streng geheim, wurde aber im Januar selbst von der regierungsnahen Nachrichtenagentur RIA Novosti bestätigt.
Nach zahlreichen Berichten wurden die früheren Häftlinge dann auch an vorderster Front eingesetzt und hatten demzufolge riesige Verluste. "Kanonenfutter" nennt sie die exilrussische Onlinezeitung Meduza. Die Söldnertruppe nutze die Ex-Gefangenen als "billige Ressource" für Angriffsgruppen an vorderster Front.
Militärische Spezialisten, die Wagner ebenfalls besitzt, halten sich dafür bei verlustreichen Operationen zurück. Zeitweise waren nach US-Schätzungen 50.000 Wagner-Söldner in der Ukraine an der Front, von denen bis zu 90 Prozent frühere Strafgefangene gewesen sein sollen.
Große Gräberfelder belegen riskanten Einsatz
Dass es sich bei Angaben über hohe Verluste mitnichten um Propaganda handelt, zeigen mehrere Berichte aus russischen Lokal- und Regionalzeitungen, wo in den letzten Monaten überall im Land neue Grabreihen auf Friedhöfen auftauchten, die von PMC Wagner "bestückt" wurden.
So berichtete Mitte März die Onlinezeitung e1.ru aus Jekaterinburg von zahlreichen neuen Gräbern für junge Männer auf dem Friedhof. Sie belegte dies durch entsprechendes Filmmaterial, das "sieben Dutzend Gräber mit identischen Kränzen und Kreuzen" zeigte.
Die eilig bestatteten Toten seien "keine Einheimischen" bestätigte der Zeitung die Stadtverwaltung und sie stellten sich als Wagner-Gefallene aus dem gesamten Südural heraus.
Die Zeitung traf auf dem Friedhof Angehörige, die ihre verwandten Gefallenen exhumieren ließen, um sie auf den heimischen Friedhof zu überführen. Sie hatten erst nach der Bestattung vom Tod der jungen Männer erfahren. Unter ihnen seien "diejenigen, die wegen abscheulicher Verbrechen verurteilt wurden".
Der PMC Wagner nahestehende Telegram-Kanal "Grey Zone" berichtete wenige Tage später aus der südrussischen Region Krasnodar, dass regionale Behörden die Bestattung von Wagner-Söldnern vor Ort verhindern wollten. 780 neue Grabplätze seien auf einem Friedhof entstanden. Prigoschin selbst setzte sich dann für die Beseitigung der örtlichen Blockade bei der großen Beerdigungsaktion ein und steuerte zur Trauerfeier eine Audio-Ansprache bei.
Das Ende der Kampffrist beunruhigte zuerst nur wenig
Im März liefen die ersten Frontverträge aus und bisherige Wagner-Söldner mit Knasterfahrung begannen, nach Russland zurückzukehren. Sorgen machten sich viele Russen zu diesem Zeitpunkt, zu dem der britische Geheimdienst mit großem Presseecho in Deutschland die Gesellschaft vor den Rückkehrern warnte, noch nicht.
Das liegt zum einen daran, dass im russischen Inland kaum ein Journalist wagte, über diese Rückkehr früherer Schwerkrimineller in die heimische Freiheit grundsätzlich kritisch zu berichten. Durch eine Änderung der Gesetzeslage nach Kriegsausbruch, die Putin laut Nachrichtenagentur Tass erst im März unterzeichnete, ist die "Diskreditierung" der Wagner-Söldner in Russland unter harte Strafen gestellt.
Ein nachdenklicher Bericht über zahlreiche Kriminelle in Freiheit hätte sehr schnell als Diskreditierung gelten können – immerhin wurde jeder Einzelne von Putin selbst begnadigt. Prigoschin selbst hatte bereits zuvor für kritische Journalisten, die über Wagner schreiben wollten, Haftstrafen gefordert.
Zum anderen war durch die vielen neuen Gräberfelder auch russlandweit bekannt, dass die Verlustquote unter den Wagner-Häftlingen exorbitant hoch war und sehr viele von ihnen nur mit den Füßen voraus oder gar nicht aus dem Kampfgebiet zurückkehren würden. Prigoschin selbst bezifferte die Anzahl der nun nach ihrem Frontdienst Freigelassenen selbst auf 5.000. Wenn die US-Angaben stimmen, sind das gut zehn Prozent der zu Beginn kämpfenden Häftlinge.
Erster schlagzeilenträchtige Mordfall eines Rückkehrers
Es kam, wie es kommen musste. Ein zurückgekehrter, verurteilter und begnadigter Mörder namens Iwan Rossomahin kam am 20. März in seiner früheren Heimat an und verbreitete dort sofort Angst und Schrecken. Schon am 22. März wurde er mit Axt und Messer in seinen Händen vom örtlichen Polizeibeamten wegen Drohungen für fünf Tage festgenommen, die Lokalpresse begann über den Fall zu berichten.
Am 29. März wurde die ermordete Leiche von Rossomahins Mutter entdeckt, er selbst wurde unter Mordverdacht festgenommen, wie die lokale Onlinezeitung omvesti.ru bestätigt. Der Bericht wurde von anderen Zeitungen übernommen.
Es muss noch weitere, ähnliche Vorfälle gegeben haben, denn der PMC-Wagner-Chef sah sich schon am 25. März genötigt, bei Telegram zu verkünden, dass bisher nur 0,31 Prozent der nun entlassenen Ex-Häftlinge erneut Straftaten begangen hätten. Dumm ist, dass er damit indirekt bestätigte, dass nur wenige Tage und Wochen nach ihrer Entlassung 15 begnadigte Ex-Söldner bereits erneut straffällig geworden waren. Angesichts des geringen Zeitablaufs keine wirklich niedrige Zahl, die in den kommenden Wochen und Monaten noch steigen dürfte.
Denn es handelt sich bei den betroffenen Kämpfern ja immerhin großteils um frühere Schwerverbrecher, die durch einen zutiefst brutalen Fronteinsatz mit Sicherheit nicht gut auf das Leben in einer zivilen Freiheit vorbereitet wurden.
So verschafft die Oligarchen-Aktion mit Kreml-Deckung, für Himmelfahrtskommandos an der Front Strafgefangene einzusetzen, wohl tatsächlich den Russen noch zahlreiche Probleme. Der Plan an sich entstand, was wenig bekannt ist, aus einer sowjetischen Tradition. Nach dem deutschen Überfall im Zweiten Weltkrieg wurde etwa eine Million Gulag-Häftlinge an die Front entlassen.
Wer dort in deutsche Gefangenschaft geriet, kehrte oft aus dem Krieg gleich wieder ins Lager zurück. Eine weitere Tradition der UdSSR, die der russische Gesetzgeber dazu seit Beginn des Ukraine-Kriegs wiederbelebt hat, ist die Strafbarkeit einer Kapitulation.