Russlands Wirtschaft 2023: Mau, aber ungebrochen

Die Kaufkraft innerhalb Russlands nahm bei Non-Food-Produkten "nur" um 14,3 Prozent ab. Symbolbild: Mariakray auf Pixabay (Public Domain)

Die russische Wirtschaft reagierte 2022 robust auf Sanktionen und Kriegsausgaben. Nun prognostizieren Ökonomen schlechtere Zahlen, aber keinen Zusammenbruch. Am Geld würde die Fortsetzung des Krieges nicht scheitern.

Den Rückgang des russischen Bruttosozialprodukts 2022 bezifferte der russische Finanzminister vor einigen Tagen auf 2,7 Prozent. Wer damit in jedem Fall sein Ziel verfehlt hat, ist der sanktionierende und boykottierende Westen. Denn dieser Wert ist weit davon entfernt, den bevorstehenden Zusammenbruch der russischen Wirtschaft anzuzeigen, den man eigentlich als "Strafe" für den Überfall auf die Ukraine im Februar erreichen wollte.

Warum entfalteten die umfangreichsten Sanktionen der letzten Jahrzehnte gegen Russland keine größere Wirkung auf das Wachstum und werden sie 2023 ebenfalls ohne entscheidende Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem Russlands bleiben?

2022 blieben die Einnahmen aus dem Rohstoffexport hoch

Vor allem zwei Faktoren verhinderten eine radikalere Talfahrt der russischen Wirtschaft 2022. Gegenüber der exilrussischen Online-Zeitung Meduza benennt der Wirtschaftsprofessor Oleg Izchoki sie klar: Die russischen Offiziellen griffen vor allem im Finanzbereich zu beispiellosen Maßnahmen, um einen Verfall der Währung und einen Sturm der Banken zu verhindern, was eine viel tiefere Wirtschaftskrise ausgelöst hätte.

Die Haupteinnahmequelle der russischen Wirtschaft, der Rohstoffexport, wurde im Jahresverlauf durch die Sanktionen kaum beeinträchtigt. Er macht knapp die Hälfte der russischen Exporteinnahmen und ein Drittel der Staatseinnahmen aus Unternehmenssteuern aus. Die Fördermengen bei Gas und Öl sanken zwar, aber sehr langsam, da die EU sich lange mit wirksamen Öl- und Gassanktionen schwertat.

Gleichzeitig kletterte der Marktpreis bis zum Herbst in Rekordhöhen, so dass weniger Gas mit größerem Gewinn verkauft werden konnte – die Einnahmesituation wurde kaum verändert.

Gleichzeitig gab es zwar eine beispiellose Boykottwelle mit radikalen Auswirkungen beim russischen Import, der nach Schätzungen um 50 bis 80 Prozent zurückging. Doch wirkte diese Maßnahme nur zeitversetzt und oft zunächst nur auf die russischen Verbraucher, die entsprechende Markenwaren westlichen Ursprungs dann nur noch für einen wesentlich höheren Preis über Grauimporte beziehen konnten. Gesamtstaatlich entstand dadurch aber ein Exportüberschuss.

Rückgang der Lebensqualität

Dieser Überschuss bewahrte den Rubel zusätzlich vor einem Verfall. Das Realeinkommen der Russen sank demzufolge nicht in dem Umfang, den westliche Wirtschaftsexperten für 2022 erwartet hatten. Wie hoch dieser Rückgang genau ist, ist schwer feststellbar, da die Gehälter von 40 Millionen Russen, die in kleineren Unternehmen beschäftigt sind, statistisch nicht erfasst werden.

Und gerade Kleinunternehmer greifen in Russland mangels gesicherter Tarife gerne zu Lohnkürzungen, um Einnahmeverluste auszugleichen.

Nur indirekte Daten lassen Schlüsse darauf zu, wie die Einkommensentwicklung der großen Masse der russischen Bevölkerung sich wirklich gestaltet. So waren im Oktober die Verkäufe von Lebensmitteln um 4,3 Prozent niedriger als im Vorjahr, die von Non-Food-Produkten um 14,3 Prozent. Neben dem Einkommensminus ist eine Ursache vor allem der Preisanstieg für westliche Non-Food-Waren, die damit für viele ärmere Russen unerschwinglich wurden.

Das alles klingt danach, als ob im Jahr 2023 der russische Krieg in der Ukraine von der Finanzierung ungehindert weitergehen kann, ohne dass es infolge eines rapiden Niedergangs der russischen Wirtschaft für die Herrschenden im Kreml brenzlig wird.

Tatsächlich rechnet kaum ein Ökonom mit einem Zusammenbruch des Wirtschaftssystems im neuen Jahr. Wohl aber prophezeien nun auch viele russische Experten, dass die Rezession in der Russischen Föderation nicht nur anhalten, sondern sich auch verstärken wird.

Prognosen sprechen 2023 von Rezession ohne Zusammenbruch

So rechnet Natalia Orlowa von der russischen Alfa Bank mit einem Schrumpfen der russischen Wirtschaft um 6,5 Prozent im kommenden Jahr. Das wäre eine Verdopplung gegenüber 2022. Welche Faktoren sind dafür ausschlaggebend?

Wladislaw Inosemzew vom Zentrum für postindustrielle Studien in Moskau nennt hier in einer Analyse zuallererst den Ukraine-Krieg an sich. Der Krieg verbrenne riesige Mengen an Mitteln, 78 Milliarden US-Dollar nennt der Ökonom 2022. Dabei stiegen die Kosten pro Monat immer weiter an: Es seien durch die Mobilmachung mehr Soldaten im Einsatz. Waffen und Ausrüstung seien zu Kriegsbeginn vorhanden gewesen und verschlissen nun mehr und mehr.

Der Ersatz sei teuer. Die dauerhafte Verwaltung und der Wiederaufbau besetzter Gebiete koste zusätzliches Geld. Jede Verlängerung des Krieges belaste den russischen Staat. Der staatliche Militärhaushalt ist aktuell auf dem höchsten Wert der gesamten nachsowjetischen Zeit.

Gleichzeitig wird der Staat 2023 weniger Geld einnehmen als im Vorjahr. Der Preisboom für Öl und Gas endet aktuell, Sanktionsmaßnahmen des Westens beim Kauf von Energieträgern wirken zeitversetzt nun stärker auf den russischen Absatz.

Durch umfangreiche Rücklagen aus den Jahren davor kann Russland jedoch diese schlechtere Einnahmesituation 2023 ausgleichen und sie werden laut Inosemzew nicht zu ernsten Schäden im Staatshaushalt führen, auch nicht bei einer längerfristigen Fortsetzung des Krieges.

Hier stimmt die Einschätzung von Insomzew mit der anderer Experten überein, etwa Sergej Alexaschenko, Wirtschaftswissenschaftler und früherer leitender Manager der Bank von Russland. Auch er glaubt, dass der Kreml 2023 nicht aus wirtschaftlichen Gründen zu einer Änderung seiner aggressiven Politik gezwungen sein wird. Zugleich geht er aber auch nicht von einer Erholung der russischen Wirtschaft 2023 aus, auf die der Kreml hofft. Er verweist darauf, dass die Prognosen auch staatlicher Funktionäre wie der Zentralbankchefin Elvira Nabiullina hier pessimistischer sind als die Wunschvorstellungen der Politik.

Brain-Drain gefährdet Investitionsklima

Eine kaum genau einschätzbare Gefahr sieht Inosemzew für das Investitionsklima. Der russische Staat habe auf die Boykottwelle 2022 sehr rigide reagiert, etwa mit dem Wegfall des Schutzes geistigen Eigentums in Russland. Beschlagnahmungen des Besitzes von Auswanderern seien in Vorbereitung, es gebe einen Mangel als Ersatzteilen und Wartungsdiensten.

Das habe auch Einfluss auf die Investitionsbereitschaft nichtwestlicher Unternehmen. Das Leben in Russland werde nicht ärmer, aber primitiver werden, da Hochwertiges zur teuren Mangelware wird. Wo der Einsatz von Hightech unersetzlich ist, wird es zu Engpässen kommen. "Der Ersatz von Importen basiert in den meisten Bereichen auf veralteten Technologien durch Reverse Engineering und Parallelimporte" schreibt dazu das Analyseportal Re:Russia.

Der Brain-Drain durch die Auswanderung vieler gut qualifizierter Russen werde ebenfalls auf die Wirtschaft durchschlagen. Inosemzew glaubt daran, dass sich die Welle der Auswanderung auch 2023 fortsetzt – und dass die Exilanten wegen der unsicheren rechtlichen Situation in Russland ihre Vermögenswerte so weit es geht mitnehmen.

Der Fachkräftemangel werde es für den Staat erschweren, qualifizierte Leute in wichtige, aber weniger attraktive Branchen zu drängen. Sollte es zu weiteren Mobilmachungen kommen, wird dieser Trend noch verstärkt.

Mit einer Rückkehr von Auswanderern ist kaum zu rechnen, da der russische Staat sich weiter in Richtung eines totalitären Staates entwickelt. Gerade Russen, die diese Entwicklung als unerträglich empfinden, haben das Land verlassen. Sie werden nun von den Offiziellen als "Verräter" gebrandmarkt, was es ihnen erleichtert, dem russischen Staat endgültig Lebewohl zu sagen. Ein Ersatz durch Einwanderer ist unwahrscheinlich, da Russland hier selbst in Richtung Mittelasien an Attraktivität eingebüßt hat.

Auch die Zeit des vergleichsweise starken Rubels dürfte 2023 vorbei sein. Die Experten der Russischen Zentralbank rechnen selbst mit einem stärkeren Inflationsdruck im eigenen Land, schreibt Re:Russia.

Im Dezember beschleunigte sich die Inflation im Land erstmals seit Mal wieder auf 12,5 Prozent. Auch bei der russischen Währung ist im kommenden Jahr nicht mit einem echten Zusammenbruch zu rechnen, jedoch sehr wohl mit einer schwächeren Stellung gegenüber 2022.

Das klingt alles sehr düster, soll jedoch nicht über eine zentrale Aussage hinwegtäuschen, die die hier zitierten Wirtschaftsfachleute gleichlautend machen: Russland wird 2023 genug Geld haben, seinen Krieg in der Ukraine fortzusetzen.

Wenn der Westen das Land mit seinen Sanktionsmaßnahmen daran hindern wollte, so ist dieser Versuch gescheitert. Reale Auswirkungen der Sanktionen werden vor allem die russische Bevölkerung treffen, 2023 wahrscheinlich noch stärker als im zu Ende gehenden Jahr.

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