Russlands extreme Rechte marschiert
Trotz Verbots in mehreren Großstädten mobilisierten rechtsradikale Parteien und Organisationen am russischen Nationalfeiertag zum "Russischen Marsch"
Der 4. November gilt erst seit zwei Jahren als der russische Nationalfeiertag. Die Putin-Administration entschloss sich 2004, den 7. November, den Tag der sozialistischen Oktoberrevolution, als nationalen Feiertag zu streichen und statt dessen am 4. November der Vertreibung polnischer Truppen aus Moskau im Jahre 1612 zu gedenken. Diesen "Tag der Nationalen Einheit" nutzt fortan die an Stärke gewinnende radikale Rechte zur Mobilisierung und Machtdemonstration bei ihrem Russischen Marsch. Im vergangenen Jahr nahmen zehntausende Skinheads und Faschisten, rassistische und ausländerfeindliche Parolen grölend, unbehelligt an den Umzügen teil.
In diesem Jahr verboten sowohl Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow, als auch die Stadtverwaltung von St. Petersburg die rechtsradikalen Demonstrationen. Der Moskauer Polizeipräsident Wladimir Pronin zog 6.500 Polizisten in der russischen Hauptstadt zusammen, um jegliche Ersatzveranstaltungen und Übergriffe der faschistischen Bewegung Russlands wirksam unterbinden zu können. Bei der Begründung des Demonstrationsverbots legte Luschkow jegliche Zurückhaltung ab. Er werde es nicht zulassen, dass sich die schockierenden Ereignisse des vergangenen Jahres wiederholten, als junge Männer mit Hakenkreuzfahnen durch die Straßen Moskaus marschierten und den Hitler-Gruß präsentierten. Luschkow richtete zudem während einer Fernsehsendung einen direkten Aufruf an die Bürger Moskaus:
Ich fordere die Moskauer auf, wachsam zu sein. Wenn wir es zulassen, dass unser Staat entlang ethnischer und religiöser Grenzen gespalten wird, wenn wir religiöse Kriege hinnehmen, dann befürchte ich, wird es das Ende Russlands bedeuten. Das ist ein alarmierendes Zeichen für uns Alle, für all diejenigen, die dieses Wüten von Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus nicht hinnehmen wollen. Uns stehen genug Kräfte zur Verfügung und wir haben die Unterstützung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.
Die russischen Sicherheitskräfte reagierten dementsprechend resolut, als die so genannte Bewegung gegen illegale Immigration dennoch etliche Versuche unternahm, öffentlich in Erscheinung zu treten. In Moskau wurden laut der Nachrichtenagentur Interfax an die 300 Rechtsradikale von der berüchtigten OMON-Spezialeinheit der russischen Polizei verhaftet. Dennoch konnten die Rechten im Raum von Dewitschje Pole, südwestlich vom Moskauer Stadtkern, eine Kundgebung abhalten, die von den Sicherheitskräften toleriert wurde. An die 2000 Nazis und Nationalisten wurden dort von der Polizei eingekesselt. In St. Petersburg kam es hingegen zu einer Massenschlägerei, als Hunderte von Antifaschisten den Demonstrationszug der Rechtsradikalen angriffen. Die dortige Polizei soll laut Interfax Tränengas eingesetzt haben, um die verfeindeten Gruppen zu trennen. Rechtradikale Demonstrationen und Verhaftungen wurden unter anderem auch aus Nowosibirsk, Irkutsk und Wladiwostok gemeldet.
Die "Bewegung gegen illegale Immigration" gilt als der Hauptorganisator des Russischen Marsches und dient als eine Ersatzorganisation für einige offen faschistische, inzwischen verbotenen Organisationen. Seit dem erfolgreichen letztjährigen Marsch erfreut sich diese xenophobe Gruppierung, die für die Vertreibung aller Ausländer aus Russland kämpft, eines regen Zulaufs. Die mit der Erstarkung des russischen Faschismus einhergehende Zuname rechter Gewalt dürfte auch ursächlich für das diesjährige Verbot des Russischen Marsches gewesen sein. Das Moskauer antirassistische Zentrum Sowa ist seit Jahren bemüht, zumindest die Ausmaße fremdenfeindlicher und rassistischer Übergriffe auf dem Gebiet der Russischen Föderation zu erfassen. Laut Sowa sind bei fremdenfeindlichen Übergriffen in diesem Jahr in Russland 39 Menschen getötet und 308 verletzt worden. 2005 waren 35 Opfer rassistischer Gewalt zu beklagen und 393 Verletzte.
Die meisten dieser Opfer faschistischer Gewalt kamen bei brutalen Überfällen von Skinheadbanden ums Leben, die russische Städte patrouillierend Ausschau nach "Kaukasiern" und Menschen mit "nicht slawischem Aussehen" halten. Der Szene werden an die 50.000 Mitglieder zugerechnet, die insbesondere in Moskau und St. Petersburg brutal gegen Ausländer und Linke vorgehen. Am 9. Februar 2004 wurde in St. Petersburg Khurscheda Sultonowa, ein neunjähriges tadschikisches Mädchen, von einer Bande russischer Skins ermordet. Die Täter wurden gefasst und wegen "Rowdytum" zu fünf Jahren Haft verurteilt. Timur Katscharawa, ein antifaschistischer Aktivist, wurde am 13. November 2005 von Skinheads getötet. Im April dieses Jahres erlag Lamisar Samba, ein senegalischer Student, seinen Schussverletzungen, die ihm russische Neonazis zufügten. Linke Aktivisten, Kaukasier und ausländische Studenten sind die Hauptbetroffenen der rechten Gewalt. Daneben ist aber auch die Zunahme des traditionellen Rassismus, der sich vor allem gegen Roma richtet, und des Antisemitismus zu beobachten.
Warum die russischen Skinheads gerne Jagd auf Kinder machen, konnte Times-Reporter Mark Franchetti bei dem Besuch eines paramilitärischen Trainingslagers der Rechten aus erster Hand erfahren. "Wir sollten nicht nur die Erwachsenen töten. Wir müssen auch die Kinder loswerden. Wenn du Kakerlaken zerquetschst, dann nicht nur die großen. Du tötest auch die kleinen", so ein Naziskin gegenüber dem Journalisten. Der 21-Jährige, der Tesak - übersetzt: Das Beil - gerufen wird, genießt wegen seiner Brutalität großes Ansehen im Lager. Gegenüber Franchetti brüstet er sich damit, schon etliche Ausländer "zu Brei gehauen" zu haben. Organisator der Camps, bei dem neben Wehrsportübungen auch ideologische Schulungen auf dem Programm stehen, ist die Nationalsozialistische Gesellschaft Russlands.
Besorgt zeigte sich Doudou Diene, der Sonderberichterstatter für Vorfälle im Zusammenhang mit Rassismus der Vereinten Nationen, der vom 12. bis zum 17. Juni die Zunahme von rassistisch motivierten Tötungen in Russland untersuchte. Auf einer Pressekonferenz sagte Diene, er sei schockiert über das "Klima der Angst", das das Leben der in Russland lebenden Ausländer durchdringe.
Besorgniserregend ist das Gefühl absoluter Isolation, das Mitglieder ausländischer Gemeinschaften mir gegenüber zum Ausdruck brachten. Afrikaner, die hier schon seit 20 bis 30 Jahren leben und die russische Staatsbürgerschaft besitzen, sagten mir, dass sie und ihre Kinder nicht mehr rausgehen können, weil sie Angst vor Übergriffen haben. Das ist ein sehr alarmierendes Zeichen.
In den letzten Monaten gelang es russischen Rechtsradikalen zudem, Teile der Bevölkerung in einigen Regionen Russlands zu pogromartigen Ausschreitungen gegen ethnische Minderheiten anzustacheln. Für Besorgnis sorgten vor allem die Ausschreitungen in der nordwestrussischen, unweit der finnischen Grenze gelegenen Stadt Kondopoga. Während einer Kneipenschlägerei wurden zwei Einheimische von Menschen "mit kaukasischen Aussehen" niedergestochen, beide erlagen ihren Verletzungen. Am folgenden Tag, dem 2. September, wurde eine "spontane" Demonstration organisiert, in deren Verlauf mehrere hundert Menschen Wohnunterkünfte, Geschäfte und Marktstände von ethnischen Minderheiten angriffen. Die Polizei nahm über 100 Personen unter dem Verdacht der Teilnahme an Brandstiftungen und Sachbeschädigung fest. Die Unruhen konnten erst nach zwei Tagen eingedämmt werden, als die hauptsächlich aus Tschetschenien stammenden Menschen aus Kondopoga flohen und in Notunterkünften außerhalb der Stadt untergebracht werden konnten.
Kondopoga ist kein Einzelfall. Ähnliche, rassistisch motivierte Ausschreitungen, in deren Verlauf ein Mensch zu Tode kam, ereigneten sich auch in der südrussischen Stadt Wolsk. In der Wolgastadt Samara stürmten ca. zwei Dutzend Rechtsextremisten einen Markt, der von kaukasischen Händlern betrieben wurde und verwüsteten ihn. Hierbei wurde ebenfalls ein Mensch getötet.
Diese Ausschreitungen sind nicht so "spontan", wie es den Anschein hat. Sergej Katanandow, der führende Politiker Kareliens, der Region, in der Kondopoga liegt, gab sich jüngst gegenüber der Presse sehr besorgt. Er erklärte, dass in der Regionshauptstadt Petrosawodsk "unbekannte Kräfte" versuchten, ebenfalls rassistische Ausschreitungen zu organisieren. Eine Delegation der Staatsduma erklärte zudem, dass die Ausschreitungen in Kondopoga durch "gezielte Provokation" initiiert wurden.
Die staatlichen Organe scheiterten bisher daran, eine adäquate Strategie gegenüber diesen faschistischen Umtrieben zu entwickeln. Unter dem Eindruck der rasant zuzunehmenden rassistisch motivierten Gewalt verabschiedete die Duma ein Gesetzespaket, das mit drakonischen Strafverschärfungen das Problem lösen soll. Das am 28. Juli von Präsident Putin unterzeichnete Gesetz zur "Bekämpfung Extremistischer Aktivitäten" wird aber in Russland scharf kritisiert. Laut Sowa liegt dem Gesetz eine äußerst schwammige Definition von "extremistischen Aktivitäten" zugrunde, so dass nun alle möglichen Formen von Widerstand vom Staat als extremistisch definiert werden können.