SOKO Braunlicht

Seite 2: Die Spur führt nach Thüringen

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Viereinhalb Jahre nach den Schüssen auf die beiden Polizisten, am 4.11.2011, tauchten die Dienstwaffen der beiden auf. Und zwar im ausgebrannten Wohnmobil, in dem sich Polizeiangaben zufolge die beiden Thüringer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos das Leben genommen haben. Als sich Tage später die vermutlich Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, der Polizei stellte, wurden die Tatwaffen gefunden, mit der das Attentat in Heibronn durchgeführt wurde: Und zwar im Schutt einer Wohnung in Zwickau, die sie ihrer Aussage nach gesprengt hatte, um Spuren zu verwischen.

In dieser Wohnung lebte Beate Zschäpe, so sagte sie aus, mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. In dem Schutt wurde auch ein Computer gefunden, von dem später noch die Rede sein wird. Außerdem eine Jogginghose mit zwei benutzten Taschentüchern in einer der Taschen.

Damit war nicht nur das "NSU-Trio" geboren, in der folgenden Zeit wurden auch neun Morde, acht davon an Gewerbetreibenden mit türkischem Hintergrund und einem mit griechischen Wurzeln, aufgeklärt. Das "NSU-Trio" habe diese Morde begangen, hieß es, und zwar allein. Davon ist die Bundesanwaltschaft bis heute nicht abzubringen. Außerdem sollen die drei thüringischen Neonazis auch das Attentat in Heilbronn begangen haben.

Außer dem Waffenfund konnte die Polizei noch eine weitere Spur präsentieren, die diese Täterschaft beweisen soll: An der Jogginghose, die sich in der verkohlten Wohnung in Zwickau fand, wurden Blutspuren gefunden. Dieses Blut soll von Michèle Kiesewetter sein. Die Taschentücher konnten per DNA-Test Uwe Böhnhardt zugeordnet werden.

Von Anfang an viele offene Fragen

Doch zunächst war selbst das Bundeskriminalamt (BKA) nicht so ganz von dieser Theorie überzeugt. Wolf Wetzel schreibt: "Nicht minder gravierend ist der Umstand, dass diese Behauptung in völligem Widerspruch zum Ermittlungsbericht des BKA vom Oktober 2012 steht: 'Ein eindeutiger Nachweis, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe in Heilbronn waren, konnte bislang nicht erbracht werden'."

Es gibt sehr viele Hinweise, die diese Sichtweise untermauern. Aber es gibt auch sehr viele - ob bewusst, versehentlich oder aus Schlamperei ignorierte Hinweise, die, wie eingangs erwähnt, in eine andere Richtung deuten. Doch fangen wir zunächst einmal mit den Spuren zum NSU an.

Für die These, der NSU sei für das Heilbronner Attentat verantwortlich, sprechen natürlich zunächst einmal der Waffenfund und das Blut an besagter Jogginghose. Aber es gibt auch vielfältige direkte Verbindungen zwischen Michèle Kiesewetter, Martin Arnold und der rechten Szene.

Bekannt ist ferner, dass Uwe Böhnhardt einen Caravan angemietet hatte und er telefonisch den Mietvertrag verlängerte, zufällig zu dem Zeitpunkt, als Michèle Kiesewetter ihren Urlaub vorzeitig abbrach. Das Kennzeichen dieses Caravans wurde kurze Zeit nach dem Attentat in Heilbronn bei einer Polizeisperre etwa 20 km vom Tatort entfernt gelistet. Bis heute ist indes nicht bewiesen, dass Uwe Böhnhardt am Steuer dieses Caravans saß.

Informationen aus dem Nähkästchen

Kiesewetters Kollege Martin Arnold war (wenn es sich nicht um einen anderen Mann mit demselben Namen handelt) laut der ehemaligen V-Frau "Krokus", die Wolf Wetzel für sein Buch interviewte, in seiner Jugend links eingestellt und bei antifaschistischen Aktionen zu sehen gewesen. Allerdings gibt es auch von dieser Seite einen direkten Link zur rechten Szene. Und zwar durch seine Ex-Freundin Sigrun H., die nach der Trennung mit dem NPD-Funktionär Matthias B. anbandelte.

"Krokus" sagt, Sigrun H., sei ihre beste Freundin gewesen und als IG Metall-Jugendvertreterin "absolut links", bis eben zu dieser Liaison, die sie, "Krokus", dazu veranlasst hätte, sich dem Verfassungsschutz (VS) als Informantin anzudienen. In der Hoffnung, dass die Szene dadurch Schaden nähme und ihre Freundin zur Vernunft käme.

Sigrun H. wusste sicherlich viel über Martin Arnold. Gab sie dieses Wissen an die rechte Szene weiter? Jedenfalls tauchte die "linke" Jugendvertreterin laut "Krokus" ziemlich schnell in die Szene ein und zog mit dem NPD-Funktionär zusammen. In dem gemeinsamen Haus veranstaltete sie Tupper-Parties, zu denen auch "Krokus" eingeladen wurde.

Bei einer dieser Verkaufsveranstaltungen, so "Krokus", sei eine Frau dabei gewesen, in der sie später, im November 2011, Beate Zschäpe erkannt haben will. Es gab - wenn auch dementierte - Hinweise darauf, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im direkten Kontakt zum Heilbronner KKK standen.

Zu dieser Szene gehörte laut "Krokus" auch eine Krankenschwester, die in der Klinik arbeitete, in die der junge Polizeibeamte direkt nach der Tat eingeliefert wurde. Diese Information gab sie an ihre Kontaktperson weiter, das führte schließlich dazu, dass Martin Arnold in eine andere Klinik verlegt wurde.

Michèle Kiesewetter bewegte sich sowohl räumlich, regional als auch personell ziemlich dicht am NSU-Umfeld, dem Thüringischen Heimatschutz (THS). Einer ihrer früheren Klassenkameraden war in der rechten Szene aktiv, ihre Cousine mit einem Neonazi verbandelt, unweit ihres Elternhauses befand sich eine Nazi-Kneipe, die dem THS als Treffpunkt diente. Ihr Onkel, der Vater besagter Cousine, Mike W., war wie sie Polizist und hatte als Staatsschützer mit Neonazis zu tun.

Zufälle gibt’s …

Mehr noch, Mike W. war liiert mit Anja T., jetzt W., einer Kollegin, die er 2002 bei der "SOKO Goldfasan" kennen und lieben gelernt hatte. Die" SOKO Goldfasan" befasste sich mit einer internationalen Mörderbande und es gelang ihr, tatsächlich einige Täter zur Strecke zu bringen, was eine Reihe von Ermittlungen gegen diesen Ring zur Folge hatte.

Wenige Tage nach dem Mord an seiner Nichte brachte Mike W. diesen in Zusammenhang mit den vermeintlichen NSU-Morden, die damals noch unter dem rassistischen Begriff "Döner-Morde" liefen. Bis heute ist nicht geklärt, wie er auf diesen Zusammenhang kam.

Anja T. hatte ein Jahr vor dem "Goldfasan" schon SOKO-Erfahrungen sammeln können. Und zwar in der "SOKO Peggy", die nach dem Verschwinden der damals 9-jährigen Peggy K. aus dem fränkischen Lichtenberg eingerichtet worden war. Der Leiter der "SOKO Peggy", bzw. der zweite als SOKO-Leiter eingesetzte Beamte, Wolfgang G., wurde später Leiter der "SOKO Bosporus", die die drei der neun NSU-Morde, die in Bayern stattfanden, aufklären sollte.

Dahinter ist jetzt allerdings keine Weltverschwörung zu vermuten, sondern der "SOKO Peggy" galt Wolfgang G.als erfahrener Beamter. Auch wenn diese Erfahrungen, wie wir heute wissen, dazu führten, dass Uvli K., der für den Mord verantwortlich gemacht wurde, vermutlich zu Unrecht verurteilt wurde.

Anja T. und Michèle Kiesewetter hatten sich angefreundet, gemeinsam mit Mike W. und dem damaligen Freund der ermordeten Polizistin verbrachten sie sogar einen Urlaub. Da die beiden Frauen sehr vertraut miteinander waren, liegt die Vermutung nahe, dass sie sich nicht nur über Privates, sondern auch über Berufliches austauschten. Z. B. über den Fall Peggy.

Diese Möglichkeit wurde aber erst interessant, nachdem Knochen des Mädchens gefunden wurden und es hieß, an diesem Fundort seien DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt gefunden worden. Dieser Fund wurde umgehend dementiert. Bis heute ist die offizielle Lesart, die DNA-Spuren seien nicht am Tatort gefunden worden; es bleibt allerdings im Dunkeln, woher sie dann stammen.

Angeblich soll das Labor schlampig gearbeitet haben. Was dieses aber dementierte, was wiederum dementiert wurde. Vor lauter Dementi blickt niemand mehr durch, doch der Zusammenhang zwischen dem NSU und dem Mord an der kleinen Peggy ist offiziell vom Tisch.

Dieses Dementi-Wirrwarr ist übrigens nicht das Einzige im Zusammenhang mit dem NSU und dem Attentat von Heilbronn. Doch dazu später mehr.

Anja T. trennte sich von Mike W., nachdem sie ihren jetzigen Ehemann René W. kennenlernte. Später ereignete sich eine ziemlich kuriose Geschichte, in der bis heute nicht geklärt ist, wer die Wahrheit sagt, die aber dazu führte, dass sie mit 44 Jahren vorzeitig aus dem Polizeidienst ausschied.

Sie beschuldigte Kollegen, Hinweise in Bezug auf die NSU-Morde unterschlagen zu haben. Diese konterten mit dem Vorwurf, sie habe polizeiinterne Daten über die rechte Szene an ihren jetzigen Mann weitergegeben, der Teil eben dieser Szene sei. Der Sachverhalt konnte, wie gesagt, nicht geklärt werden, allerdings musste sie im Laufe des Verfahrens einräumen, dass sie via Facebook Kontakte zu Personen aus der rechten Szene sowie zur rechten Rockergruppen hatte.

Bei "Abolition 2014 - für eine Welt ohne Prostitution" ist dazu zu lesen: Anja W., die für "Ralf W., den Inhaber einer Sicherheitsfirma in Jena, Hunderte Informationen über Neonazis aus Polizeidatenbanken besorgt haben soll. Für W. arbeiteten einige der gefährlichsten Thüringer Skinheads. So zum Beispiel Martin R., der mit dem angeklagten NSU-Unterstützer Ralf W. eine Neonazi-Gruppe aufbaute: die Braune Aktionsfront. Inzwischen ist Anja W. mit dem Mann verheiratet, gegen den sie eigentlich ermitteln sollte, und der Uwe Böhnhardt flüchtig kannte".