SPD: Lieber doof als sozialdemokratisch?

Sigmar Gabriel, Angela Merkel, Horst Seehofer. Bild: Martin Rulsch/CC-by-sa 4.0

Anstatt die Ausbeutung durch die Eliten anzugehen, arbeitet man sich an der AfD ab. Auch die CDU hat neben der Frage "Was ist konservativ?" nicht viel zu bieten

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Eine Woche nach dem Parteitag steht die AfD im Aufmerksamkeitshoch. Ihr Reißerthema "der Islam in Deutschland" ist omnipräsent. Ob Aufklärung dem Mix aus Ängsten und Verdacht beikommen kann, ist eine schwierige Frage angesichts dessen, dass viele, die Argwohn vor Muslimen in Deutschland bekunden, häufig gar keine eigenen Erfahrungen mit Muslimen haben (Keine Ahnung vom Islam, aber dagegen).

Wahlkampftechnisch ist Aufklärung als Strategie der Parteien noch nicht erprobt. Anscheinend fehlt die Traute. So zieht Volker Kauder von der CDU am selben Strang wie die AfD und auch Jens Spahn schließt sich, wenn auch gemäßigter, an. Obwohl es den Parteienstrategen einleuchten müsse, was als Lehre aus der ersten Runde der österreichischen Bundespräsidentenwahl gezogen wurde: Den Volksparteien laufen auch dann Wähler weg und zwar viele, wenn sie Positionen der Parteien weiter rechts auf ihre Fahnen schreiben.

An der AfD abarbeiten

Der Eindruck, den die heutigen Nachrichten aus Parteizentralen der SPD und der CSU vermitteln, ist, dass sie sich vor allem an der AfD abarbeiten, statt auf eigene Ideen zu setzen. Die Partei nicht dämonisieren, sondern argumentieren, lautet eine Folgerung aus dem SPD-Scholz-Papier.

Wir sollten die AfD nicht dämonisieren. Solange die AfD nur rechtspopulistisch ist, sollten wir sie nicht als Nazis bezeichnen.

Dazu wird ein Slogan präsentiert, der nachdenklich stimmt. "Wir sind liberal, aber nicht doof." Ist die SPD nicht vor allem sozialdemokratisch? Sieht die SPD Wähler als eine Art Media-Markt-Kunden und nicht als Bürger, die sich für sozialdemokratische Inhalte interessieren?

Sigmar Gabriel, Angela Merkel, Horst Seehofer. Bild: Martin Rulsch/CC-by-sa 4.0

Was ist konservativ?, heißt die Pendant-Frage bei der Union. Deren Leitmedium liegt im Trend oder gibt ihn vor, wenn dort in einem Kommentar das konservative Politikerensemble nach überzeugenden neuen rechten Persönlichkeiten abgesucht wird. In der CSU wird laut über einen eigenen Wahlkampf nachgedacht, auch hier richtet der Erfolg der AfD die Kompassnadel aus, Richtung rechts.

Strategisch nicht erfolgversprechend

Strategisch wäre das für die CDU nicht erfolgreich, wie der Blog Sprengsatz vorrechnet:

Jede Legislaturperiode sterben der CDU eine Million Wähler weg. Menschen, die eher konservativ eingestellt waren. Und nur drei Prozent der CDU-Anhänger befürworten eine Zusammenarbeit mit der AfD, 65 Prozent aber eine Große Koalition und 59 Prozent Schwarz-Grün. Daraus ergibt sich, dass für die CDU rechts nichts zu holen ist. Bei einem Überbietungswettbewerb mit konservativen Parolen würde nur die AfD gewinnen, die CDU aber genau dort Wähler verlieren, wo sie neue überzeugen muss - in der Mitte der Gesellschaft. Für die ungewisse Chance, zwei bis drei Prozent rechts zu gewinnen, würde die CDU die Mitte gefährden.

Angesichts der SPD-Schwäche rät der konservative Blogger zu einem Kurs, der auf Schwarz-Grün setzt oder auf eine weitere Koalition mit der SPD. Nach der jüngsten Sonntagsfrage käme die Große Koalition weiterhin auf eine Mehrheit. Die Union steht bei 33 Prozent, die SPD auf 20 Prozent.

Im Fokus steht aber dessen ungeachtet der Trend, der die beiden Volksparteien nervös macht: Sie verlieren, die AfD legt zu.

Die Erfahrung, von einer Elite übervorteilt zu werden

Aufschlussreich ist, dass bei den strategischen und identitätspolitischen Überlegungen der Volksparteien kein einziges Mal ein Gedanke dazu auftaucht, was im Kern dessen steht, was den Zulauf zur AfD ausmacht. Es ist der vielbeschworene "Elefant im Raum": das Verhältnis der Macht- Finanz- und Funktionseliten zum übergroßen Rest der Gesellschaft.

Es geht um das Ungleichgewicht und die dazu gehörige Erfahrung, von einer Elite übervorteilt zu werden, die sich gelinde gesagt wenig um das Gemeinwohl kümmert bzw. ihr Eigentum zum Schaden des Gemeinwohls verwendet und damit prinzipiell grundgesetzwidrig (Art. 14: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen"). Der Steuerzahler muss dann für die Schäden aufkommen, das ist der neue Ausbeutungs-Modus seit einigen Jahren.

Der Trend, auf den die sozialdemokratische Partei mehr Augenmerk richten könnte - wenn man denn schon Umfragen als Maßgabe heranzieht -, wäre die wachsende Ablehnung von TTIP. Eine genauere kritische Auseinandersetzung und ein Streit darüber, öffentlich ausgetragen, wäre der Anfang, um neue, eigene Positionen zu entwickeln.

Die SPD verliert bei denen an Vertrauen, die ihr Hauptklientel waren, bei den sogenannten kleinen Leuten. Das ist eine Binsenweisheit, wird aber offensichtlich weiter ignoriert. Was ankommt ist, dass sich die SPD einer Politik verschrieben hat, die den weniger Privilegierten entgegengesetzte Interessen vertritt. Der "trickle-down"-Effekt hat sich als Märchen herausgestellt.

Gerade die ausgesprochen neoliberale wirtschaftspolitische Ausrichtung der AfD müsste die SPD eigentlich dazu anregen, Programme und Ideen vorzulegen, die dem Ungleichgewicht die Stirn bieten, die Kluft abzuarbeiten.