Sachsens Verfassungsschutz nahm Parlamentarier mehrerer Parteien ins Visier

Sachsens ehemaliger Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath. Foto: ubahnverleih / CC0 1.0

Kritische Äußerungen von Abgeordneten über den Umgang mit Rechtsextremismus und ein Nato-Manöver wurden in Sachsen illegal vom Geheimdienst gespeichert. Auch Vize-Ministerpräsident Dulig betroffen

Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hat illegal Daten des stellvertretenden Ministerpräsidenten und SPD-Chefs Martin Dulig sowie von Landtagsabgeordneten der Partei Die Linke und der Grünen gesammelt. Laut einem Bericht der für die Geheimdienstaufsicht zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags vom Dienstag speicherte der Geheimdienst kritische Äußerungen Duligs zum Umgang der sächsischen CDU mit dem Thema Rechtsextremismus. Die CDU habe das Problem 25 Jahre lang verharmlost, habe der SPD-Politiker in einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland erklärt. Die Quelle ist öffentlich zugänglich. Zu rekonstruieren, mit welcher Motivation die Daten gesammelt wurden, sei der PKK nicht möglich, heißt es in dem Bericht.

"Ihre Speicherung ist jedenfalls klar rechtswidrig", wird darin klargestellt. Neben Äußerungen Duligs seien auch Aussagen des Linken-Abgeordneten Rico Gebhardt festgehalten worden, heißt es in dem Bericht. Konkret handelt es sich dabei um kritische Äußerungen Gebhardts zum Nato-Manöver "Defender 2020" aus einem öffentlichen Protestaufruf vom 4. März vergangenen Jahres. Der Inlandsgeheimdienst hielt seinerzeit fest, Gebhardt habe Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vorgeworfen, sich als "Verlautbarungsorgan des Militärs" zu betätigen und erklärt: "Wir wollen nicht zurück in die Zeit des 'Kalten Krieges', den wir überwunden glaubten".

Über Gebhardts Fraktionskollegen Marco Böhme speicherte der sächsische Verfassungsschutz die Information, dass dieser das Aktionsnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" unterstütze und zum Protest gegen ein Neonazifestival in Ostritz am 21. April 2018 aufgerufen habe. Das Aktionsnetzwerk hatte auch die "Leipziger Erklärung 2018 - Zeit für Zivilcourage" initiiert. Über die Grünen-Abgeordnete Christin Melcher hielt der Inlandsgeheimdienst fest, dass sie Erstunterzeichnerin dieser Erklärung gewesen sei. Über ihren Fraktionskollegen Valentin Lippmann vermerkten die Schlapphüte, dass er sich im Nachgang an eine "Querdenken-Demo" in Leipzig gegenüber der Deutschen Presseagentur kritisch über die Planungen zur Demonstration, das Versammlungsgeschehen und die Angriffe auf Gegenproteste, Journalisten und die Polizei geäußert habe.

Antwort des Amtes mit "lauter belanglosem Zeug"

Das Problem der Betroffenen ist nicht, dass sie nicht zu ihren Äußerungen stehen, sondern dass sie sich fragen, warum all das verfassungsschutzrelevant sein soll. Bekannt geworden waren Datensammlungen dieser Art nach Anfragen mehrerer Abgeordneter, die sie gestellt hatten, nachdem im vergangenen Jahr herausgekommen war, dass der Geheimdienst teilweise illegal Daten über Abgeordneten der AfD gespeichert hatte.

Martin Dulig sagte am Dienstag dem Sender MDR, er habe das Auskunftsersuchen bereits vor Monaten gestellt und eine sechsseitige Antwort des Amtes mit "lauter belanglosem Zeug" erhalten. Der Vorgang sei ungeheuerlich gewesen. Die jetzt vorliegenden Berichte seien aber Zeichen dafür, dass der Vorgang aufgearbeitet werde. Laut dem PKK-Bericht sei seit dem 22. Februar sichergestellt, dass "nicht relevante Daten zu Landtagsabgeordneten unverzüglich gelöscht werden". Er gehe davon aus, dass alles dafür getan werde, dass so etwas künftig nicht mehr möglich sei, sagte Dulig.

Praxis aus der Ära Meyer-Plath

Begonnen hatte diese Praxis unter dem sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath, der am 1. Juli 2020 abgelöst wurde. Der gebürtige Karlsruher hatte als junger V-Mann-Führer des brandenburgischen Verfassungsschutzes in den 1990er Jahren die "Quelle" Carsten Szczepanski betreut - einen wegen versuchten Mordes verurteilten Neonazi, der als Freigänger von Meyer-Plath zu Treffen mit anderen Szenekadern gefahren wurde. Lieferte Szczepanski alias "Piato" aber tatsächlich mal eine relevante Information - etwa zum Verbleib dreier untergetauchter Neonazis - konnte sie Meyer-Plath angeblich nicht zuordnen, wie er später als Zeuge im Münchner Prozess um die Mord- und Anschlagsserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) sagte. Seiner Karriere hatte das nicht geschadet.

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