Sag ‘s durch den Ukrainer: Nationalismus und Deutschlands Wiedergutwerdung
Seite 2: Viel Verständnis für Zhadan
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"Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen", begründet Jens Uthoff in der taz, warum Serhij Zhadan in seinem Kriegstagebuch russische Soldaten als "Abschaum", "Unrat" und "Barbaren" bezeichnet.
Dabei beteiligt auch er sich an einer Begradigung deutscher Geschichte. Denn so kann auch in linksliberalen Kreisen 80 Jahre später die NS-Erlebnisgeneration rehabilitiert werden, die ja größtenteils die Rote Armee nicht als Befreier empfand. Als die wenigen Überlebenden im Vernichtungslager Auschwitz riefen "Die Russen kommen", war es hingegen ein Ausruf der Befreiung. Genau diese Sicht der Opfer Deutschlands, die erst in den letzten 30 Jahren eine größere Bedeutung der öffentlichen Auseinandersetzung bekam, wird heute in den Hintergrund gedrängt.
Dafür ist ein Zhadan, der Butscha suggestiv zum Auschwitz unserer Tage macht, natürlich besonders wichtig. So werden dann seine Hasstiraden auch nicht als faschistoide Konsequenz des ukrainischen Nationalismus dargestellt.
Ukrainische Ultranationalisten sogar gegen russische Deserteure
Zudem ist es eben nicht selbstverständlich, sondern ein Ausdruck von Nationalismus, dass die Grausamkeiten des Krieges des Putin-Regimes gleich auf alle russischen Bürger ausgeweitet ausgeweitet. Das geht sogar so weit, dass der neue ukrainische Botschafter Oleksij Makejew in Deutschland vor der Aufnahme russischer Deserteure warnt: "Da fliehen junge Männer, die nichts bereuen, sich trotzdem vor dem Militärdienst drücken wollen und am Ende Russlandfahnen schwenkend in Autokorsos durch deutsche Städte fahren", sagte der Botschafter der Bild am Sonntag.
Dabei müsste doch jeder Verteidiger Ukraine froh sein, wenn die russische Armee durch möglichst viele Deserteure destabilisiert wird. Letztere werden stattdessen als rein egoistische Drückeberger diskreditiert, während Persönlichkeiten der russischen Geschichte von Puschkin bis Tolstoi für die Politik des Putin-Regimes verantwortlich gemacht werden und in der Ukraine verfemt sind.
Das ist das Kennzeichen eines Ultranationalismus. Dagegen steht die Politik der kurdischen Bewegung, die in den letzten 20 Jahren immer wieder vor dem Aufkommen eines kurdischen Nationalismus in Form von allgemeinem Türkenhass gewarnt hat. Sie suchte vielmehr in Bündnisprojekten und der Demokratischen Partei der Völker (HDP) die Kooperation mit türkischen Linken, Gewerkschaften und Linksliberalen.
Als in Berlin Kurdinnen und Kurden, darunter auch traumatisierte Geflüchtete, gegen die türkische Invasion im nordsyrischen Afrin demonstrierten, wurden Parolen gegen den türkischen Staat und seine dschihadistischen Verbündeten gerufen – Parolen gegen Türken als solche waren unerwünscht. Das machten die kurdischen Ordnerinnen und Ordner einzelnen Teilnehmern, die sie anstimmten, sofort klar.
Dabei ist der Kemalismus, die türkische Spielart des Nationalismus, der immer gegen alle ethnischen Minderheiten, auch die Kurden agierte, in großen Teilen der türkischen Gesellschaft, auch in der großen Teilen der Linken, stark verankert. Auch waren kurdische Zivilpersonen in den letzten Jahrzehnten immer wieder türkischer Militärgewalt ausgesetzt – auch in den Nachbarländern Syrien und Irak.
Das Beispiel der kurdischen Bewegung zeigt aber, dass es eben nicht selbstverständlich ist, auf Nationalismus und Krieg mit Nationalismus und Rassismus zu reagieren.
Letzteres ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass auf beiden Seiten nationalistische Bewegungen agieren. Progressive Kräfte müssten dagegen den Kontakt mit den Menschen auf der anderen Seite der Front suchen und ihnen klarmachen, dass sie nur Kanonenfutter für kapitalistische Interessen sind.