Sahra Wagenknecht, die Impfung und das Parteibuch
Mit ihrer impfskeptischen Positionierung hat Sahra Wagenknecht ein weiteres Streitthema mit einem Großteil ihrer Partei gefunden. Bei "Anne Will" gingen andere Kritikpunkte unter
Es ist schon erstaunlich, dass aktuell fast jede Politikerin und jeder Politiker der Partei Die Linke, der irgendwo vor ein Mikrophon tritt, betont, ganz bestimmt keinen Kommentar zu Sahra Wagenknecht abgeben zu wollen. Denn die ehemalige Fraktionsvorsitzende steht nach ihren Auftritt bei Anne Will erneut im Mittelpunkt der Diskussion. Wieder scheint sie einen Großteil der Funktionsträger der Linken gegen sich aufgebracht zu haben.
Dieses Mal geht es um ihre impfkritische Positionierung, die schon länger bekannt ist, aber in der ARD-Talkshow noch einmal klar zum Ausdruck gebracht wurde. Zunächst bezeichnete Wagenknecht die Frage der Impfung als individuelle Entscheidung, für die sie sich nicht rechtfertigen müsse. Doch dabei beließ sie es nicht, sprach von möglichen Spätfolgen der Impfungen und erwähnte, dass die Pharmakonzerne in den Verträgen mit der Regierung keine Haftung für mögliche Impfschäden übernehmen.
Das ist ein Punkt, der von Impfskeptikern gerne als Beleg angeführt wird, dass da wohl Gefahren verschwiegen würden. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach, der in der Debatte Wagenknechts schärfster Kritiker war, erklärte, das Ausschließen der Haftung für Impfschäden sei gängige Praxis bei solchen Verträgen und habe nichts mit verschwiegenen Gefahren zu tun.
In dieser Frage machte Lauterbach einen Punkt, weil Wagenknecht mit dem Verweis auf die Ausschlussklausel eher Ressentiments bediente als Aufklärung über die kritikwürdige Praxis der Pharmakonzerne voranzutreiben. Die zentrale Aussage von Wagenknecht lautete aber, eine Impfung sei ein individueller Akt und diene dem persönlichen Schutz, sie sei aber kein Akt gesellschaftlicher Solidarität.
Damit erntete sie nicht nur heftigen Widerspruch von Lauterbach, der diese Position im Nachhinein als gefährlich bezeichnete. Nun wird ihr sogar aus den Reihen der eigenen Partei unterstellt, ihre "Schwurbelei" gefährde Menschenleben. Da wird dann gleich jede vernünftige Frage zur Impfstrategie gleich mit weggewischt.
Quantitativ sind Impfdurchbrüche das Hauptproblem
Denn tatsächlich gibt es Impfdurchbrüche; und nicht nur Wagenknecht warnt davor, dass sich auch manche Geimpfte zu sorglos in falscher Sicherheit wiegen und denken, jetzt sei Corona für sie kein Thema mehr. Mittlerweile wissen wir, dass sich Geimpfte anstecken und andere anstecken können.
Beim Impfstoff Johnson & Johnson, den viele jüngere Menschen wählten, um schnell wieder ausgehen und reisen zu können, weil es zunächst hieß, hier würde eine Dosis zur Immunisierung reichen, hat sich diese Einschätzung als falsch erwiesen. Inzwischen laufen die Zweitimpfungen mit diesem Vakzin auf Hochtouren.
Aber auch nach doppelten Impfungen mit anderen Vakzinen sind schwere oder tödliche Verläufe - letztere vor allem bei über 80-Jährigen - bekannt geworden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) zählte bis Ende Oktober insgesamt 1.076 tödliche Impfdurchbrüche, 782 der dadurch Verstorbenen waren mindestens 80 Jahre alt.
Angesichts von vielen Millionen Geimpften sieht das Ärzteblatt die teils folgenreichen Impfdurchbrüche zwar "auf niedrigem Niveau". Die Zahl der schweren oder tödlichen Impfkomplikationen liegt aber deutlich darunter: Das für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständige Paul-Ehrlich-Institut zählte in einem Sicherheitsbericht zuletzt 48 Todesfälle, in denen es "einen ursächlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Covid-19-Impfung für möglich oder wahrscheinlich" hält.
Allerdings ist weiterhin offen, wie lange eine Impfung wirkt. Das sind nur einige der Fragen, die dringend diskutiert werden sollten. Sie wurden von Wagenknecht durchaus auch angesprochen.
Berechtigte Kritik an Lauterbach ging dank der Steilvorlage unter
Aber die Debatte um mögliche Impfschäden dominierte eindeutig und so gingen die berechtigen Fragen, die sie auch stellte, fast unter. Ebenso ihr Hinweis auf ein kaputt gespartes Gesundheitssystem, das im Ernstfall nicht in der Lage ist, in der Pandemie alle Betroffenen adäquat zu versorgen. An diesen Punkt sprach sie auch die Verantwortung von Lauterbach und dessen Partei für diese Politik direkt an.
Dieser weigerte sich, über diese Kritik zu reden und sprach sogar von Ablenkung. Es wurde schnell deutlich, dass weder Lauterbach noch der ebenfalls in der Talkrunde sitzende FDP-Politiker Marco Buschmann sich auf die Debatte einlassen wollen. Da konnte man eine Arroganz der Macht erleben.
Doch ein Fehler von Wagenknecht war es, diese Punkte nicht von Anfang stärker in den Mittelpunkt gestellt und die beiden Politiker stärker damit konfrontiert zu haben. Statt über mutmaßliche Impfschäden hätte sie schwerpunktmäßig über das kaputt gesparte Gesundheitssystem und die Alternativen reden können. Sie hätte darauf hinweisen können, dass auch unter Pandemie-Bedingungen weiterhin Krankenhäuser geschlossen und Intensivbetten abgebaut werden.
Damit hätte sie tatsächlich ein Beispiel für eine linke Kritik an der gegenwärtigen Gesundheits- und Krisenpolitik mit samt ihren irrationalen Ausläufern geben können. Dann hätte der Schwerpunkt der Auseinandersetzung nicht darin gelegen, für oder gegen eine Impfung zu sein. Die Frage wäre vielmehr gewesen, wie man den Kampf für ein Gesundheitssystem intensiviert, dass nicht nach Renditeerwartungen arbeitet.
Diese Themen wurden bei der Diskussion kurz angerissen, wurden auch von Wagenknecht nicht stringent weiter eingebracht. So blieb von der Debatte vor allem in Erinnerung, dass da recht unspezifisch von möglichen Impfschäden sprach. Dabei blendete Wagenknecht aus, dass Impfungen vielleicht dazu beigetragen haben, dass auch aktuell noch die Zahl der Toten und schwer Erkrankten insgesamt geringer ist als im Vorjahr.
Hier wurde also ein neues Feld Zwist von Wagenknecht und Teilen der Linken eröffnet, nachdem die Bestsellerautorin bereits mehrfach zu Themen wie Klimaschutz, Flucht und Migration medial wirksam Ansichten vertreten hatte, die in ihrer Partei nicht unbedingt mehrheitsfähig sind. Wenn sich doch mal ein Parteifreund einen Kommentar abgibt, wird meistens betont, dass sie innerhalb der Partei gar nicht das Gespräch suche, sondern stattdessen ihre mediale Reichweite ausspiele, um die Position der Partei zu verschieben.
Es ist nicht ersichtlich, dass es da zu einer Lösung kommt. Es stellt sich die Frage, ob eine Einigung überhaupt noch gewollt wird.
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