Salami-Taktik

Unter dem Druck der Öffentlichkeit werden von der Bush-Regierung kosmetische Korrekturen für die bislang rechtlose Situation der Gefangenen in Abu Ghraib und Guantanamo ausgeführt, Rumsfeld verkauft den Umgang mit dem Abu Ghraib-Skandal gar als eine Art Sternstunde für die Demokratie

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Während US-Verteidigungsminister Rumsfeld unbeeindruckt von allen Skandalen und Problemen im Irak die amerikanischen Bürger auf einen langen Krieg gegen den Terrorismus einschwört und erklärt, dass der Umgang mit den Misshandlungen im Abu Ghraib-Gefängnis die Demonstration einer funktionierenden Demokratie sei, sucht Vizeverteidigungsminister Wolfowitz zumindest für das Gefangenenlager Guantanamo der Kritik an der Behandlung der "feindlichen Kämpfer" durch neue Richtlinien zu begegnen.

Dass mutmaßliche Taliban- und al-Qaida-Mitglieder als "feindliche Kämpfer" gelten, denen der Status als Kriegsgefangene verweigert wird und die daher in einem rechtlosen Vakuum der Willkür des Pentagon in exterritorialen Lagern und Gefängnissen preisgegeben sind, wurde von Präsident Bush selbst angeordnet (Das Zweiklassensystem des Pentagon). Nach einem kürzlich aufgetauchten Memo des Rechtsberaters des Weißen Hauses, der nach einer Bitte des Außenministers zu einem erneuten Überdenken der Entscheidung Anfang Januar 2002 eine rechtliche Bewertung vorlegte, kommt dieser zu dem Schluss, dass die Einstufung der Gefangenen als "feindliche Kämpfer" oder als moderne Form der "Outlaws" zwar in der Befugnis des Präsidenten liegt, allerdings wurden auch die negativen Folgen aufgelistet, über die sich aber Bush und seine Regierung offenbar gegen Powell hinweggesetzt haben.

Als "positiv" wird genannt, dass einige der Bedingungen der Genfer Konventionen, vor allem was die Befragung von Kriegsgefangenen betrifft, im Falle von Terroristen "obsolet" seien. Zudem könne man dadurch das amerikanische Gesetz gegen Kriegsverbrechen von 1996 umgehen, das zum Beispiel auch US-Soldaten unter Strafe stellt, wenn sie die Würde eines Gegners verletzen. Der Freibrief ist im Falle von Abu Ghraib und anderen Lagern offenbar beherzigt worden.

Wenn der Gegner US-Soldaten gefangen nimmt, so das Memo über die negativen Aspekte, können dementsprechend nicht die Genfer Konventionen für diese eingefordert werden. Das Gesetz gegen Kriegsverbrechen kann auch nicht gegen die Gegner eingesetzt werden. Die Entscheidung werde von Alliierten und anderen eine Verurteilung provozieren, auch wenn man die Gefangenen menschlich behandele. Man könne andere dazu stimulieren, ebenfalls die Genfer Konventionen und andere Abkommen zu umgehen. Und die "militärische Kultur" der amerikanischen Streitkräfte könne untergraben werden, die bislang stets die "höchsten Maßstäbe für das Verhalten im Kampf" aufrecht erhalten habe. Das ist dann ja auch tatsächlich geschehen.

Wer letztlich dafür verantwortlich war, dass auch im Irak mit den Gefangenen und ihrer Befragung ähnlich verfahren wurde wie bei den Taliban- und al-Qaida-Mitgliedern, ist noch nicht wirklich ausgemacht (Rumsfeld und die supergeheime Pentagon-Abteilung), aber es ist zu vermuten, dass dies mit Billigung auch vom Weißen Haus erfolgt ist. Wer immer nur von den "Bösen" spricht, die ohne Grund "die Freiheit" und "die Zivilisation" angreifen, nur von "Hass" getrieben sind und daher ohne Rücksicht wie Ungeziefer eliminiert werden können, muss letztlich auch dafür gerade stehen, wenn Angehörige der Regierung die mutmaßlichen Bösen nicht gemäß den Menschenrechten behandeln. Schon in Afghanistan, aber dann auch im Irak hat die Bush-Regierung bzw. das Pentagon demonstriert, dass ein afghanisches oder irakisches Menschenleben, so kollateral es auch zerstört wurde, eigentlich nichts wert ist.

Potemkinsches Dorf auf amerikanisch

They have the advantage of using our technology, e-mails and computers and pagers and wire transfers and all kinds of technologies that they never could develop themselves, and use them against us. They have the ability of going to school on us, watching how free societies behave. Practically everything we do is public. And they see that. They, they test it. They watch behavior and then adjust their techniques to accommodate to that behavior. So it's a tough job. It's going to be a while. It's going to take a while. And its going to take determination. Its going to take determination by this generation and, very likely, the next generation.

Verteidigungsminister Rumsfeld in der Heritage-Stiftung

In der politisch üblichen, keineswegs auf die Bush-Regierung beschränkten Salami-Taktik werden jetzt schnell, aber ohne öffentlich Bedauern oder Selbstkritik zu äußern, manche Bedingungen an den "hot spots" der Kritik verändert, auch wenn immer neue Vorwürfe auftauchen oder kaum mehr zu leugnen ist, dass es sich um ein systematisches Vorgehen, nicht um Entgleisungen von Einzelnen handelt ('Definitely a Cover-Up'). Plötzlich werden Hunderte von Gefangenen freigelassen, die nun nicht mehr bedrohlich zu sein scheinen, aber möglicherweise sonst - obgleich die Misshandlungen spätestens seit Januar bekannt waren - noch lange ohne Anklage und ohne Rechte festgehalten worden wären. Vor kurzem durften 270, jetzt erneut 472 gehen. Diese Wiedergutmachaktion wirft erst recht ein schlechtes Licht auf die Gründe für die Festnahme und die Haft. Nicht nur die Misshandlungen sind ein ein Skandal, sondern auch die Praxis, willkürlich Menschen festzunehmen und ohne Anklage und Verteidigungsmöglichkeit monatelang einzusperren. Das ist nicht erst im Irak geschehen, sondern kurz nach dem 11.9. auch in den USA.

Manche der zuvor offiziell erlaubten Verhörtechniken wurden in Abu Ghraib - auch anderswo? - nun untersagt, was man freilich auch schon seit Januar hätte machen können. Tauchen Vorwürfe auf, so heißt die Antwort immer, wie dies auch Sicherheitsberaterin Rice im Gespräch mit Sabine Christiansen bis zum Exzess am letzten Sonntag zelebriert hat, dass der Vorfall untersucht wird. Erfahrungsgemäß sind seit dem Krieg in Afghanistan fast alle dieser Untersuchungen im Sand verlaufen. Man setzt auf das Vergessen. Nach Abu Ghraib aber geht das nicht mehr.

Da nun auch wieder Guantanamo ins öffentliche Blickfeld gerückt ist, von dem aus die Foltertechniken in den Irak exportiert wurden, werden nun auch hier Neuerungen eingeführt, die die Wogen glätten sollen. Grundsätzlich aber will man offenbar bei der Zweiklassenteilung der Rechte bleiben - und von den vielen anderen Lagern und Gefängnissen des Pentagon-Gulag ist auch nicht die Rede.

Jährlich sollen nun die in Afghanistan gefangenen "feindlichen Kämpfer" überprüft werden. Das ist eine lange Zeit für diejenigen, die möglicherweise versehentlich nun schon seit Jahren festsitzen oder nur Mitläufer waren. Zudem bleibt alles der Militärgerichtsbarkeit unterworfen. Die Gefangenen können vor einem Tribunal von drei Militäroffizieren erläutern, warum sie freigelassen werden sollten. Ein Offizier - nicht etwa ein unabhängiger Rechtsanwalt - soll dabei dem Gefangenen zur Seite stehen. Auch die Familienangehörigen oder die nationalen Regierungen dürfen Schriftstücke einreichen. Aufgrund dieser Informationen und der von US-Behörden werde dann das Gericht entscheiden, wie "gefährlich" der Gefangene ist und einem hohen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums eine Empfehlung aussprechen, ob er frei gelassen werden kann. Die letzte Entscheidung trägt der Pentagon-Verantwortliche. Das alles ist eine Farce, die vorgibt, als würde hier Recht gesprochen.

"Obwohl der globale Krieg gegen den Terror wirklich ist und weiter geht"

Propagandistisch wird natürlich diese Farce entsprechend ausgeschlachtet. Die von der US-Regierung willkürlich festgelegte Rechtlosigkeit der "feindlichen Kämpfer" wird nicht noch einmal begründet, vielmehr wird scheinheilig erklärt, dass die Freilassung von "feindlichen Kämpfern" vor dem Kriegsende eine "entscheidende Veränderung von früheren Praktiken in Kriegszeiten" sei. Verschwiegen wird, dass es früher keine "feindlichen Kämpfer" gab, dass sich dies auf das von der US-Regierung gerade abgelehnte Kriegsrecht bezieht und dass der von der US-Regierung nach dem 11.9. erklärte Krieg gegen den Terrorismus auch kein wirkliches Ende haben kann, da es ja auch keinen Friedensabschluss mit den Terroristen geben wird und das Ende willkürlich von der US-Regierung selbst verkündet werden würde.

Im Prinzip also könnten die "feindlichen Kämpfer", schuldig oder nicht, bis zum Lebensende im Lager festgehalten werden, "um zu verhindern, dass sie wieder das Kämpfen aufnehmen". Nach Rumsfeld dauert der Krieg denn auch mindestens eine Generation. Ganz an den Menschenrechten orientiert, habe man jetzt - man musste offenbar Jahre darüber nachdenken, um plötzlich sich zu entscheiden - diese Überprüfungen angeordnet, damit niemand länger als erforderlich eingesperrt wird - "obwohl der globale Krieg gegen den Terror wirklich ist und weiter geht".

Well, there is a great deal happening in our world and in Iraq and in Afghanistan. Some is bad. Some's good. Some is truly wonderful. And some of it's uncertain as to what it will mean.
I saw a bit of it last week, as I flew into Iraq. First, the bad news: You've all seen some of the pictures and reports about what took place at Abu Ghraib prison. That some of the guards abused those Iraqis who were in our custody and were our responsibility was truly a body blow. As we saw some of those pictures in the Pentagon and looked at each other's faces, you could feel the, the shock that we felt and disappointment that some in our country's uniform could sully it by that behavior.

Verteidigungsminister Rumsfeld

In einer Rede vor der erzkonservativen Heritage-Stiftung versicherte Rumsfeld, man dürfe nicht erwarten, dass der Krieg gegen den Terror kurz und leicht sein werde. Er sei die "Aufgabe einer Generation", die diese "Mission" zu erfüllen habe. Die US-Soldaten verteidigen im Irak die Freiheit, und sie werden sie weiterhin verteidigen, auch wenn am 30. Juni wirklich eine angeblich souveräne Übergangsregierung existieren wird. Schließlich könne die Übergangsregierung nicht schon für Sicherheit sorgen. Die Iraker aber werden schon alles gut machen. Sie werden nach Rumsfeld eine "steile Lernkurve" haben, allerdings mit einigen schweren Löchern. So recht mag man die Lernkurve bei den Erziehern und Befreiern im Weißen Haus allerdings nicht erkennen.