Sarah Palin trifft den Wettermann

Baader-Meinhof auf amerikanisch

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Der Wahlkampf in den USA ist in seine schmutzige Phase getreten. Sarah Palin, John McCains Frau fürs Grobe, hat Barack Obama zum Terror-Sympathisanten erklärt, weil er Kontakte zu einem früheren Weatherman hatte. Wer waren die Weathermen, was wollten sie von der Welt, und was hat das mit dem nächsten Präsidenten der USA zu tun?

Am besten, man fängt mit dem Jahr 1960 an. Junge Intellektuelle gründeten damals eine Gruppierung, die sie „Students for a Democratic Society“ (SDS) nannten. Die ersten „Studenten für eine demokratische Gesellschaft“ waren von ihrem Land enttäuschte Idealisten. Sie verband weniger eine strenge ideologische Ausrichtung, als vielmehr die gemeinsame Wut über Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Die meisten von ihnen waren mehr oder weniger sozialistisch. Im Gegensatz zur dogmatischen Linken früherer Jahrzehnte wollten sie über die Praxis zur Theorie kommen, nicht umgekehrt.

Radikale Aktivitäten

In den ersten Jahren verstanden sich die SDS nicht als eine landesweite Organisation, sondern als ein lockerer Zusammenschluss von Individuen mit ähnlichen politischen Überzeugungen. Um Gleichgesinnte zu finden, reisten SDS-Mitglieder zu anderen Universitäten, verteilten Flugblätter und versuchten, ein Netzwerk aufzubauen, das, so der vage Plan, Einfluss auf die Friedens- und die Bürgerrechtsbewegung gewinnen und eine Neuausrichtung der Demokratischen Partei einleiten würde. Im Juni 1962 gab es eine Zusammenkunft, bei der man sich auf eine 60-seitige Erklärung verständigte. Das „Port Huron Statement“ attestierte dem herrschenden politischen System, dass es abgewirtschaftet habe. Gefordert wurde eine Allianz von Schwarzen, Studenten, Friedensgruppen, linken Organisationen und Publikationen. Den Studenten, hieß es, komme eine besondere Bedeutung zu, weil von ihnen der Anstoß zu radikalen Aktivitäten ausgehen könne. Irgendwo auf den 60 Seiten war sogar von „lokalen Revolten“ die Rede, aber insgesamt trat man für eine partizipatorische Demokratie ein: „Die Menschen sollten die Entscheidungen treffen, die ihr Leben beeinflussen.“ Was das bedeutete, war eher unklar. „Wir haben da was am Laufen“, sagte ein oft zitierter Student. „Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was es ist.“

Im Dezember 1963 etablierten die SDS etwas, das sich „Education Research Action Project“ (ERAP) nannte. Das ERAP zielte auf die, wie man heute sagen würde, „bildungsfernen Schichten“ ab. In zehn amerikanischen Städten (eine davon war Chicago) wurden Projekte ins Leben gerufen, die Schwarzen und armen Weißen bessere Bildungschancen eröffnen sollten. Das ERAP war verdienstvoll und legte die Grundlagen dafür, dass später viele SDS-Mitglieder (darunter auch einige Weathermen) eine berufliche Laufbahn im Bildungsbereich anstrebten. Sehr aufregend war das aber nicht. Damals wurde noch nicht jeder Blödsinn in Form von Eilmeldungen („Breaking News!“) unters Volk gebracht, doch ein bisschen Dramatik sollte schon sein. Die SDS hatten keine photogenen Anführer zu bieten, keine zuspitzenden Slogans und keine bildmächtigen Aktionen. Sie waren schlicht nicht medienkompatibel. Die Öffentlichkeit erfuhr nicht, dass es sie gab, weil nicht über sie berichtet wurde.

Das änderte sich, als der Reporter Fred Powledge seine Sympathien für die Studenten entdeckte und auf eigene Initiative hin einen langen Artikel über die SDS schrieb. Die durchaus positive Reportage über die „neue studentische Linke“ erschien am 15. März 1965 in der New York Times. Der Radikalismus der Studenten galt nun plötzlich als ein Thema von nationaler Tragweite. Die Ereignisse in Südostasien führten dazu, dass sich bald auch andere Mainstream-Medien für die SDS interessierten. Im Februar 1965 begann das US-Militär mit der Dauerbombardierung von Vietnam. Die SDS-Führung entschloss sich daraufhin zu einer ersten großen Aktion und organisierte einen Protestmarsch nach Washington (17. April 1965), an dem etwa 15 000 Menschen teilnahmen, zumeist Studenten. Die Nachrichtenmagazine Newsweek und Time berichteten ebenso wie die großen Fernsehsender. Dadurch wurde eine Entwicklung eingeleitet, die sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Durch den Prozess der medialen Beobachtung, das ist eine alte Weisheit, verändert sich der Beobachtete.

Die Berichterstattung war alles andere als objektiv: Man machte sich lustig über Sprache und Aussehen der Demonstranten, betonte die Streitigkeiten innerhalb der Bewegung, wies darauf hin, dass diese Studenten keineswegs repräsentativ für die amerikanische Jugend seien und warf sie mit Neonazis in einen Topf. Die Demonstranten selbst waren zunächst euphorisch und gewannen dann schnell den Eindruck, dass gesetzeskonforme und gewaltfreie Proteste nichts ändern würden. Im Herbst des Jahres 1965 wurden die Aktionen allmählich militanter. Die Medien konzentrierten sich auf die Gewalt und übertrieben sie. Vermutlich geschah das meistens in denunziatorischer Absicht, aber passiert wäre es auf alle Fälle. Action und Dramatik verkaufen sich immer besser als gesellschaftliche Analysen. So entstand ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Die Medien brauchten die Studenten, weil sie gute Geschichten lieferten, und die SDS brauchten die Medien, weil sie ihnen neue Anhänger zuführten. Viele von denen, die sich den SDS nun anschlossen, weil sie im Fernsehen spektakuläre Bilder gesehen hatten, erwarteten allerdings etwas ganz anderes als das, was sie dann vorfanden.

Jargon und Streitereien: Die Maoisten kommen

Im Oktober 1963 hatten die SDS 19 Ortsgruppen (davon 13 nur auf Papier) und 610 Mitglieder; Ende 1965 waren es 124 Ortsgruppen und 4 300 Mitglieder; Anfang 1969 sollen es 70 000 bis 100 000 gewesen sein. Diesem sprunghaften Anstieg war die alte, eher lockere und informelle Struktur der Bewegung nicht gewachsen. In diesem Sammelbecken für irgendwie „linke“, ansonsten aber sehr heterogene Gruppierungen gaben bald diejenigen den Ton an, die über eine straffe Organisation verfügten. Das traf besonders auf eine marxistisch-leninistisch-maoistische Partei namens Progressive Labor zu. Im Gegensatz zu den anderen trat die PL mit großer Geschlossenheit auf. Sie hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Revolution zu bewerkstelligen sein könnte und bot ein ideologisches System, das in sich schlüssig war oder jedenfalls so wirkte, weil die PL sich eines marxistischen Jargons bediente, der für Außenstehende schwer zu verstehen war. Das war der Anfang vom Ende.

Eine systematische Strategie zum Erreichen der Revolution wünschte sich auch die SDS-Führung. Sie suchte deshalb die Auseinandersetzung mit der PL und bemühte sich, die Initiative zurückzugewinnen. Verkompliziert wurde das Ganze dadurch, dass die weißen, mehrheitlich aus „gutem Hause“ stammenden Studenten ein Schuldgefühl gegenüber den unterdrückten Afroamerikanern plagte, deren Kampf sie sich verpflichtet fühlten. Die maoistisch ausgerichteten Black Panthers erweckten bei den jungen Radikalen aus dem weißen Bürgertum den Eindruck, dass man marxistisch-leninistisch denken müsse, um ein guter Revolutionär zu sein. Die SDS-Führung wollte deshalb lernen, ähnlich flüssig mit marxistischer Terminologie umzugehen wie die PL. Wer die SDS-Verlautbarungen nicht genau liest, wird daher glauben, es mit dogmatischen Marxisten zu tun zu haben, obwohl die SDS-Führung die Politik der PL ablehnte.

Der Basis stand nach solchen Feinheiten nicht der Sinn. Für sie war das alles Sektierertum und kleinkariertes Parteiengezänk. Die Aktivisten vor Ort ignorierten die ideologischen Auseinandersetzungen und konzentrierten sich lieber auf lokale Projekte gegen den Vietnamkrieg und gegen Rassismus. Wer dagegen ankämpfen wollte, dass die PL immer mehr Einfluss gewann, organisierte sich im „Revolutionary Youth Movement“ (RYM), das wiederum von zwei Fraktionen dominiert wurde: RYM II und Weatherman. Um die Verwirrung nicht noch zu steigern, soll hier nur – stark verkürzt – festgehalten werden, dass das RYM der Progressive Labor Party vorwarf, zu national orientiert zu sein, statt gleich an der anti-imperialistischen Weltrevolution teilzunehmen. Insbesondere für die Weatherman-Gruppe war klar, dass die Revolutionen in der Dritten Welt auch Auswirkungen auf das „Mutterland des US-Imperialismus“ haben würden. Traditionelle linke Gruppierungen behandelten den Kampf gegen Rassismus und Imperialismus eher nebenbei; für die Weathermen war er zentral. Und mit „Kampf“ war die bewaffnete Auseinandersetzung gemeint. Das unterschied die Weathermen vom RYM II.

Im Juni 1969, beim jährlichen SDS-Konvent, kam es in Chicago zum Showdown. Die PL-Fraktion stellte vermutlich die Mehrheit der Delegierten, aber darüber gehen die Meinungen genauso auseinander wie über den Rest der tumultartigen Veranstaltung. Nach erbitterten Wortgefechten zog sich die Anti-PL-Fraktion zu einer 24-stündigen Mammutdiskussion zurück. Danach wurde der Ausschluss der PL und all ihrer Sympathisanten verkündet. Die Anti-PL-Fraktion verließ ihren eigenen Konvent, kam am nächsten Tag wieder zusammen, wählte eine neue, von den Weathermen dominierte Führung und verabschiedete ein Programm. Das leitete den Zerfall der SDS in Gruppen und Grüppchen ein. Den Kurs dessen, was von der Bewegung noch übrig war, bestimmten vorerst die Weathermen. Sie sahen sich als die „wahren“ Sudenten für eine demokratische Gesellschaft.

Wo der Wind weht: Bonnie and Clyde treffen Che Guevara

Das Ziel von Weatherman war der Aufbau einer Kampftruppe aus jungen Weißen zur Unterstützung von Befreiungsorganisationen in anderen Ländern. Durch militante Aktionen sollte das „Mutterland des Imperialismus“ von innen heraus destabilisiert werden. Bill Ayers und Jim Mellen, zwei Weatherman-Gründer, veröffentlichten im April 1969 einen Text, in dem sie zu dem Schluss kamen, dass es im Grunde keinen Unterschied zwischen der Lage der Studenten und der jungen Arbeiter gebe. Auch junge Weiße aus der Unterschicht, so die Theorie, würden nach ersten, vorbildhaften Aktionen der Weathermen ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln.

Harold Jacobs hat, noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse stehend, die wichtigsten Schriften rund um die Weathermen aus den Jahren 1969 und 1970 in einem Buch versammelt (Weatherman. Berkeley: Ramparts Press, 1970). Im Vorwort entschuldigt er sich für die Kompliziertheit mancher Texte, und er macht sogar einen Vorschlag zur selektiven Lektüre: „Einige Leser werden es vielleicht vorziehen, das Buch damit zu beginnen, die Abteilung über die dramatischen und provokativen Straßenaktionen von Weatherman zu lesen, ehe sie die relativ abstrakte, manchmal mühsame, aber äußerst wichtige Debatte in der ersten Abteilung durchgehen.“ Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Im Vergleich zu den Verlautbarungen der RAF sind die Weatherman-Texte sogar ein Vorbild an Präzision und Verständlichkeit. (Sie sind auch nicht so sinnfrei wie die Teile von Sarah-Palin-Interviews, die nicht aus vorgefertigten und auswendig gelernten Hauptsätzen bestehen.)

Die Kluft zwischen ihnen und einer breiteren, nicht auf die Universitäten beschränkten Jugendkultur scheint den Weathermen durchaus bewusst gewesen zu sein. In ihren Publikationen stößt man immer wieder auf Comics, mit denen diese Kluft wohl überbrückt werden sollte. Am liebsten machten sie Anleihen bei der Musik: der Text von Ayers und Mellen hat den Titel „Hot Town: Summer in the City“. Das von Stars der Bewegung wie Ayers und Bernardine Dohrn unterzeichnete Gründungsdokument von Weatherman ist mit dem Satz aus Bob Dylans „Subterranean Homesick Blues“ überschrieben, dem die Gruppe ihren Namen verdankt: „You Don’t Need A Weatherman To Know Which Way The Wind Blows.“ Bill Ayers war vorher Mitglied einer linken Gruppierung gewesen, die sich „Jesse James Gang“ nannte. Wer eine ungefähre Vorstellung vom Lebensgefühl der Weathermen gewinnen will, sieht sich am besten Arthur Penns Gangsterfilm Bonnie and Clyde (1967) an, der nur vordergründig in den 30er Jahren spielt. Man muss sich allerdings Gastauftritte von Che Guevara, Fidel Castro und Ho Chi Minh dazudenken.

„Bring the War Home“

Da Weatherman gern selbst an der Windmaschine stehen wollte, betraute das oberste Führungsgremium („Weather Bureau“) bevorzugt die Mitglieder mit herausgehobenen Aufgaben, die am meisten von sich reden machten, die am martialischsten auftraten, deren Rhetorik am übertriebensten war. Wer den Anforderungen auf Dauer nicht entsprach, konnte seine führende Stellung genauso schnell wieder verlieren, wie er sie bekommen hatte. Innerhalb der Gruppe herrschte ein enormer Konkurrenzkampf. Das sollte man wissen, wenn man die äußerst arrogante und aggressive Rede liest, mit der Bill Ayers im Sommer 1969 für viel Aufregung sorgte („A Strategy To Win“). Eine Kostprobe:

Wir können nicht dieses falsche Bild vor die Leute hinstellen, dass man sich der Bewegung anschließt, weil man dann pro Stunde einen Dollar mehr bekommt. […] Wir müssen kämpfen und den Leuten durch den Kampf unsere Hingabe zeigen, unsere Bereitschaft, Risiken einzugehen, unsere Bereitschaft, im Kampf zu sterben, um den US-Imperialismus zu besiegen. […] Ich finde, die Leute sollten diesen Slogan ganz nach vorne stellen: ‚Bringt den Krieg nach Hause.’ Wir sagen nicht einfach nur, holt die Truppen heim, holt die US-Truppen zurück nach Hause und schickt sie später woanders wieder in den Krieg, wir sagen: Bringt den Krieg nach Hause. Wir sagen, ihr werdet einen Preis bezahlen, weil euch immer mehr von den Typen in der Army in den Rücken schießen werden, weil immer mehr von den Typen in der Army über die Köpfe der Vietnamesen schießen werden, über die Köpfe der Schwarzen schießen werden, weil dieses Land immer mehr niedergerissen werden wird, und wir werden die Truppen nicht nach Hause holen, um sie an einem anderen Ort wieder einzusetzen, wir werden den Krieg nach Hause bringen, wir werden den Klassenkampf in den Straßen und den Institutionen dieses Landes entstehen lassen, und wir werden sie einen Preis bezahlen lassen, und am Ende wird dieser Preis ihre totale Niederlage sein.“

Was davon ernst gemeint war und was die Weatherman-typische Hyperbolik, könnte heute wahrscheinlich nicht einmal Bill Ayers selbst mehr sagen. Man kann aber auch das Opfer der eigenen Rhetorik werden. Den Weathermen scheint das bis zu einem gewissen Grad passiert zu sein.

Ayers’ in Cleveland gehaltene Rede sollte auf die für Oktober geplante „National Action“ der SDS in Chicago einstimmen, die als „Days of Rage“ in die Geschichte der Protestbewegung eingegangen ist. Diese „Tage des Zorns“ (8.-11. Oktober) standen unter dem Zeichen einer weiteren Eskalation des Vietnamkriegs. Die Weathermen forderten ein deutliches Signal des Widerstands. Im US-Fernsehen wurden Demonstranten üblicherweise als brutale Gewalttäter dargestellt, ganz egal, was wirklich passiert war. Also, dachten sich die Weathermen, konnte man auch gleich das tun, was einem hinterher sowieso unterstellt wurde. Nach Chicago fuhren sie in der erklärten Absicht, Krawall zu machen. Die Weathermen wollten den desorientierten Massen zeigen, wer der Feind war und wie man ihn angreifen konnte. Angekündigt war eine Attacke auf die Symbole der Unterdrückung durch den Kapitalismus, die Polizei und das Privateigentum.

Tage des Zorns: Die Weathermen spielen den Teufel

Zu den Days of Rage erwarteten Bill Ayers und seine Mitstreiter Tausende von jungen weißen Arbeitern. Sie blieben aus. Die 800 Weatherman-Demonstranten wurden von einer großen Polizeiübermacht erwartet. Trotzdem, das muss man ihnen lassen, stürzten sie sich unerschrocken ins Getümmel. Am letzten Tag gab es immerhin noch 300 Aktivisten, die bereit waren, den Kopf hinzuhalten, als die Polizei wieder mit ihren Schlagstöcken gegen sie vorrückte. Indem sie das Risiko in Kauf nahmen, verletzt oder getötet zu werden, stellten die Weathermen ihren Mut unter Beweis. Sie zeigten, dass hinter ihren martialischen Posen und der aggressiven Rhetorik eine Haltung stand. Das nötigte auch denjenigen Respekt ab, die Gewalt eigentlich ablehnten.

Zu den großen Selbstbeweihräucherungsmythen der Massenmedien gehört, dass Fernsehsender wie CBS durch ihre schonungslosen Berichte aus Vietnam die öffentliche Meinung drehten und so entscheidend zur Beendigung des Krieges beitrugen. Es war wohl eher anders herum. Die Führungsetage von CBS reagierte auf die wachsende Skepsis des Publikums, das man nicht verlieren wollte. Enorm gesteigert wurde diese Skepsis durch die Tet-Offensive im Januar 1968. Die militärischen Erfolge der Nordvietnamesen gaben vielen Amerikanern das Gefühl, dass der Krieg nicht wirklich so verlief, wie es von der Regierung dargestellt wurde und im Fernsehen zu sehen war. Das stärkte die Position von Reportern, die auf eine kritischere Berichterstattung drängten.

Amerikanische Fernsehzuschauer erfuhren nach wie vor so gut wie nichts über die Auswirkungen des Krieges auf Vietnam und die Vietnamesen (über das gnadenlose Flächenbombardement wurde lieber nicht berichtet, und von der Bombardierung Kambodschas hörte man ohnehin nichts). Aber je kritischer die Mainstream-Medien den Krieg zu sehen begannen, desto freundlicher behandelten sie den moderateren Teil der Anti-Vietnam-Bewegung. Für die Nixon-Regierung war das keine gute Nachricht. Die Positionen der gemäßigteren linken Studentengruppen wurden für größere Teile der Bevölkerung immer akzeptabler. So zeichnete sich eine potentielle Mehrheit gegen den Krieg ab, und es wurde schwieriger, das repressive Vorgehen der Polizei zu rechtfertigen. Nixon lehnte alle Unterscheidungen zwischen gemäßigten und radikalen Kriegsgegnern ab, weil sich die Moderaten schlechter isolieren und auf ein Feindbild reduzieren ließen. Deshalb kam es ihm sehr gelegen, dass die Weathermen mit ihren medienwirksamen Aktionen die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Todd Gitlin, Mitte der 60er SDS-Präsident, meint dazu:

Das Ziel der Weathermen war es, die normalen Konventionen zu zertrümmern; stattdessen erkannten sie eine ältere Konvention an, übernahmen sie die Rolle des Teufels in einer vorhersehbaren nationalen Mythologie, in der die Kräfte der Ordnung den Kräften des Chaos gegenüberstanden. Als sich die Weathermen in den Straßen von Chicago austobten, als sie im Oktober 1969 in ihren ‚Tagen des Zorns’ vor laufenden Kameras auf Autos einschlugen, spielten sie die Dämonenrolle, die ihnen, genau besehen, von Nixons Gegenrevolution zugewiesen wurde und die dazu diente, diese Gegenrevolution zu rechtfertigen.

Cool Motherfuckers: Chaos als Programm

Über die Ausschreitungen in Chicago wurde landesweit berichtet. Weatherman war damit als die militanteste der weißen Protestorganisationen etabliert. Viele führende Mitglieder scheinen damals begonnen zu haben, das zu glauben, was sie in den Pressemappen über sich lesen konnten. Vom 27. bis 30. Dezember 1969 hielten sie in Flint, Michigan ihr „National War Council“ ab. Berüchtigt wurde ein Auftritt von Bernardine Dohrn. Anfang des Monats hatten das FBI und die Polizei von Chicago die Wohnung von Fred Hampton gestürmt, eines Führers der Black Panther Party. Hampton war dabei in seinem Bett erschossen worden, angeblich in Notwehr. Dohrn forderte dazu auf, die einzig richtige Antwort auf Hamptons Ermordung zu geben und Chicago niederzubrennen. Und weil sie so schön im Schwung war, brach sie gleich noch eine Lanze für Charles Manson, der das Massaker im Haus von Roman Polanski angeordnet hatte. Die Führungsriege von Weatherman, so Dohrn, stehe auf Charlie Manson: „Kapiert ihr, zuerst haben sie diese Schweine umgebracht, dann haben sie im selben Zimmer mit ihnen zu Abend gegessen, und dann steckten sie sogar noch eine Gabel in den Bauch von einem der Opfer. Cool!“ Manson sei ein „bad motherfucker“, und das sei großartig. Eigentlich hatte das „War Council“ dazu dienen sollen, die Basis von Weatherman zu verbreitern und eine Wiederannäherung an den Rest der Studenten für eine demokratische Gesellschaft einzuleiten. So konnte das nicht gelingen.

Wahrscheinlich hatte inzwischen die Ernüchterung über die „Days of Rage“ eingesetzt. Viele Weathermen waren verhaftet worden und nur gegen hohe Kautionszahlungen wieder freigekommen. Sehr tief saß die Enttäuschung über die jungen Arbeiter, die dem Straßenkampf ferngeblieben waren. Für die Weathermen stand nun fest, dass die meisten weißen Amerikaner, auch die Arbeiter, rassistisch waren und korrumpiert durch die Privilegien, die ihnen dank ihrer Hautfarbe zuwuchsen („white skin privilege“). Nachdem der Versuch gescheitert war, das weiße Proletariat zu integrieren, musste die Revolution auf andere Weise vonstatten gehen. Aus einer beim „War Council“ vorgelegten Verlautbarung:

Der bewaffnete Kampf beginnt, wenn einer damit anfängt. Der internationale revolutionäre Krieg ist eine Realität, und über ‚die richtige Zeit und die richtigen Bedingungen’ zu debattieren, um den Kampf zu beginnen, oder über eine Phase der Arbeit, die notwendig ist, um das Volk auf die Revolution vorzubereiten, ist reaktionär. Gegen den Staat KRIEG ZU FÜHREN erschafft sowohl das Bewusstsein wie auch die Bedingungen für die Ausweitung des Kampfes, macht öffentliche revolutionäre Politik, beweist, dass es möglich ist, für Bewegung zu sorgen und dass es eine Organisation mit einer Strategie gibt.

Oder, in einem Satz:

Wir müssen den Zerfall der Gesellschaft erzwingen, indem wir da, wo jetzt die Ordnung der Schweine herrscht, ein strategisches bewaffnetes Chaos erzeugen.

Nach den „Days of Rage“ wurden zwölf Aktivisten aus der Führungsriege angeklagt, in aufwieglerischer Absicht die Grenzen von Bundesstaaten überquert zu haben. Das erfüllte den Tatbestand der Verschwörung und konnte mit hohen Haftstrafen geahndet werden. Niemand von den Angeklagten – darunter Bernardine Dohrn, Mark Rudd und Bill Ayers – erschien zum Prozess. Von da an wurden sie mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im Februar gab es Bombenanschläge auf einen Richter in New York und auf ein Polizeirevier in San Francisco. Ein Polizist wurde getötet, ein anderer schwer verletzt. Beide Anschläge werden gelegentlich den Weathermen zur Last gelegt. Es gibt dafür keine Beweise, niemand hat sich zu ihnen bekannt, und es wurde nie Anklage erhoben.

Explosion in Greenwich Village: Weatherman taucht ab

Am 6. März 1970 gab es eine Explosion in einem Haus in Greenwich Village. Dabei starben drei Aktivisten; eines der Opfer war Diana Oughton, die Freundin von Bill Ayers. Offenbar hatten sie versucht, eine Bombe zu bauen, und dabei war etwas schiefgegangen. Bis heute wird darüber gestritten, ob die Weathermen ohne das Unglück mit ihrer Bombe andere Menschen getötet hätten und wenn ja, wie viele? Vielleicht hatten sie wirklich vor, Polizisten, Soldaten, Richter oder Politiker umzubringen und alles hätte sich so entwickelt wie bei der RAF, wenn die Bombe am 6. März nicht explodiert wäre. Das wird für immer ein Gedankenspiel bleiben.

Die Explosion in Greenwich Village war jedenfalls ein Schock. Aus der oft bekundeten Bereitschaft, für die Revolution sterben zu wollen, war plötzlich Realität geworden. Das endgültige Abtauchen der führenden Mitglieder in den Untergrund wird oft als spontane Reaktion auf diese Explosion gedeutet. Es muss aber von langer Hand vorbereitet gewesen sein, weil sich die Weathermen sonst nicht so lange der Verhaftung hätten entziehen können. Die linken Studentengruppen waren noch mehr mit V-Männern durchsetzt als bei uns die NPD. Die Weather Underground Organization (WUO), wie sie sich jetzt nannte, war in relativ kleinen Kollektiven organisiert, die nicht viel übereinander wussten und die nur durch einige wenige Personen miteinander in Verbindung standen. Dem FBI scheint es nie gelungen zu sein, eine dieser Zellen zu unterwandern.

Bernardine Dohrn

Am 21. Mai 1970 meldete sich die WUO mit dem “Communiqué #1” zu Wort. Bernardine Dohrn teilte darin mit, dass man dabei sei, die Strategie des Vietkong und der Tupamaros in Uruguay an die amerikanischen Verhältnisse anzupassen. In den USA gebe es jetzt weiße Revolutionäre, die nie umkehren würden und schwarze Revolutionäre, die nie mehr allein würden kämpfen müssen. Die neu formierte Stadtguerilla werde innerhalb von zwei Wochen „ein Symbol oder eine Institution der amerikanischen Ungerechtigkeit“ angreifen. Es dauerte dann doch etwas länger. Am 9. Juni explodierte eine Bombe in einem New Yorker Polizeirevier. Es entstand nur Sachschaden. Nach der Katastrophe von Greenwich Village verwandte die WUO viel Zeit auf genaue Planung und eine sachgemäße Herstellung der Sprengsätze. Vor jedem Anschlag gab es eine Warnung, die ausreichend Zeit für Evakuierungsmaßnahmen ließ; in einem Bekennerschreiben wurde erklärt, warum das betreffende Ziel ausgewählt worden war und was damit gerächt werden sollte.

Am 23. Juli gab Nixons Justizminister John Mitchell bekannt, dass gegen 13 Weathermen Anklage erhoben worden sei (zehn von ihnen wurden bereits steckbrieflich gesucht). Der Vorwurf: Verschwörung zu dem Zweck, überall im Land Polizeireviere und andere staatliche Einrichtungen in die Luft zu sprengen und dabei die in den Gebäuden befindlichen Menschen zu töten. Weatherman antwortete mit dem „Communiqué #3“ (26. Juli), das eine Aktion anlässlich des Jahrestages der kubanischen Revolution ankündigte und auch eine Botschaft an John Mitchell enthielt: „Such nicht nach uns, du Hund; wir finden dich zuerst.“ Tags darauf explodierte im Eingang einer Filiale der Bank of America in Manhattan eine Rohrbombe. Wieder wurde niemand verletzt.

LSD-Gurus und Damentoiletten: Die Revolution beginnt

Im September 1970 befreiten die Weathermen den Drogen-Guru Timothy Leary aus dem Gefängnis. Von einer Vertriebsorganisation für psychedelische Drogen, der Brotherhood of Eternal Love, sollen sie dafür 20 000 Dollar bekommen haben. Aber das ist vielleicht nur erfunden. Leary war wegen des Besitzes von Marihuana zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bis zu zehn Jahren verurteilt worden. Die Haftanstalt in San Luis Obispo war ein Gefängnis der niedrigsten Sicherheitsstufe. Trotzdem war die Befreiungsaktion ein vielbeachteter Coup. Leary und seine Frau Rosemary wurden nach Algerien gebracht. Die San Franciso Good Times druckte am 18. September einen offenen Brief des Helden der Counterculture ab. Leary dankte zunächst seinen Wohltätern:

Meine Liebe und meine Dankbarkeit gelten meinen Schwestern und Brüdern vom Weather Underground, die meine Befreiung geplant und ausgeführt haben. Rosemary und ich sind jetzt beim Underground, und wir werden weiterhin high bleiben und den revolutionären Krieg führen.

Dann folgten Sätze wie diese:

Ich erkläre, dass jetzt gerade der 3. Weltkrieg geführt wird, von kurzhaarigen Robotern, deren erklärte Absicht es ist, das komplexe Netz des freien Lebens durch die Auferlegung der mechanischen Ordnung zu zerstören. […]
Ihr seid ein Teil des Todesapparats, oder ihr gehört zum Netzwerk des freien Lebens. […] Vergesst nicht die Sioux und die deutschen Juden und die schwarzen Sklaven und die Marihuana-Pogrome und die scheinheilige Empörung von TWA über Flugzeugentführungen!

Der Brief endete mit einer „WARNUNG: Ich bin bewaffnet und sollte als gefährlich für jeden eingeschätzt werden, der mein Leben oder meine Freiheit bedroht.“

Nixon, sein Justizminister und J. Edgar Hoover vom FBI fanden das alles überhaupt nicht lustig. Die abgetauchten Weathermen wurden auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher gesetzt. In öffentlichen Gebäuden hingen von nun an ihre Fahndungsbilder aus wie bei uns der RAF-Steckbrief.

Am 19. Mai 1972, dem Geburtstag von Ho Chi Minh, detonierte ein Sprengsatz in einer Damentoilette im Luftwaffenflügel des Pentagon. Danach wurde gewitzelt, dass das also die Strategie der WUO zur Vernichtung des Kapitalismus sei: eine Toilette nach der anderen. Die Liste der Aktionen wurde immer länger. Es gab Anschläge auf Polizeistatuen, Polizeireviere, Banken und das Kapitol. Die Täter wurden nie erwischt, nie wurde jemand verletzt. Anschläge auf Personen und Entführungen, wie sie von der RAF verübt wurden, lehnten die Weathermen ab. Wenn irgendwo etwas in die Luft flog und sich kein Täter ermitteln ließ, gab das FBI routinemäßig den Weathermen die Schuld. Gegner der WUO behaupteten, dass sie sich nur zu denjenigen ihrer Aktionen bekenne, bei denen niemand verletzt worden war; Belege für diese Behauptung gibt es nicht. Aber Weather Underground inspirierte auch andere Gruppen zu Sprengstoffanschlägen. Und die Nachahmer gingen nicht immer mit derselben Sorgfalt zu Werke wie das Original.

1974 stellten die Untergrundkämpfer mit der eigenen Druckerpresse ein politisches Manifest her. Die Schrift sorgte weniger durch ihren Inhalt für Aufsehen als vielmehr dadurch, wie schnell und wohlorganisiert die 5 000 Exemplare verteilt wurden. Das war eine logistische Meisterleistung, der das FBI wieder einmal ohnmächtig gegenüberstand. Weather Underground hatte sich inzwischen mit einem früheren Mitglied der einstmals bekämpften Progressive Labor Party zusammengetan. Dem Manifest (Prairie Fire: The Politics of Revolutionary Anti-Imperialism) hat das leider nicht gutgetan. Die 156, ganz im marxistisch-leninistischen Jargon gehaltenen Seiten sind über weite Strecken ziemlich unleserlich.

BANG BANG BANG: Mit Robin Hood im Untergrund

Eines der 5 000 Exemplare bekam Emile de Antonio in die Hände. Auch wenn ihn hierzulande kaum einer kennt: De Antonio ist einer der wichtigsten amerikanischen Filmemacher des 20. Jahrhunderts. Er ist der Meister des dokumentarischen Kompilationsfilms, immer spannend und nie ausgewogen. De Antonio hatte bereits sehr kontrovers aufgenommene Filme über Joseph McCarthy (Point of Order), das Kennedy-Attentat (Rush to Judgement) und Vietnam (In the Year of the Pig) gemacht. Jetzt ließ er der Weather Underground Organization einen Brief zustellen, in dem er vorschlug, gemeinsam einen Film zu machen. Der Brief enthielt ein Exposé und ein paar nicht ganz unironische Schmeicheleien: „Ihr habt ein Meisterstück des politischen Theaters geschaffen, das den Polizeistaat nicht nur entlarvt, sondern zeigt, dass es möglich ist, ihn zu schlagen.“ Handschriftlich fügte er hinzu: „Das gehört auf Film. BANG. BANG. BANG!”

Nach mehreren Geheimtreffen und vielen verschlüsselten Telefonaten war es schließlich so weit. Am 1. Mai 1975 wurden de Antonio und sein Filmteam (Haskell Wexler, Mary Lampson, Jeff Wexler) zu einem „sicheren Haus“ in Los Angeles gebracht. Unterwegs mussten sie geschwärzte Brillen tragen. In dem Haus mit den vernagelten Fenstern wurden sie von Kathy Boudin, Cathy Wilkerson, Bernardine Dohrn, Bill Ayers und Jeff Jones erwartet. Mit diesen Revolutionären verbrachten die Filmemacher drei Tage und drei Nächte. „Es war“, sagt de Antonio, „als säßen wir mit Robin Hood zusammen. Diese Leute sind flüchtig, der ganze Staat ist gegen sie.“ Für Jeff Wexler, den Tonmann, wurde die Anspannung bald zuviel. Er machte nur unter der Bedingung weiter mit, dass er später nicht namentlich genannt wurde und in dem Film auch nicht zu sehen sein würde.

Kathy Boudin

Haskell Wexler, der Kameramann (Oscar für Who’s Afraid of Virginia Woolf?), war frustriert, weil er mit unscharfen Bildern arbeiten musste und die Gesichter der Untergrundkämpfer nicht zeigen durfte. Trotz (oder gerade wegen?) dieser schwierigen Ausgangslage ist ein faszinierender Film entstanden. Viele Einstellungen sind durch ein Tuch aufgenommen, das wie ein Symbol für die Kinoleinwand wirkt. Dazu gibt es kunstvoll kombinierte Spiegelbilder, in denen man das Filmteam von vorn und die Weathermen von hinten sieht. So ist ein Film über das Medium selbst dabei herausgekommen. Underground ist auch ästhetisch ein gewagtes Experiment. Ein historisches Dokument ist er sowieso. Man stelle sich vor, wir könnten heute mit dabei sein, wenn Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof über sich, ihre Situation und ihren politischen Kampf (oder ihre terroristischen Anschläge oder wie immer man es nennen will) sprechen, während überall im Land nach ihnen gefahndet wird – statt auf Uli Edel und Bernd Eichinger angewiesen zu sein.

Am Tag nach Abschluss der Dreharbeiten nahmen Haskell Wexler, Mary Lampson und zwei Mitglieder von Weather Underground an einer vom FBI gefilmten Demonstration gegen Rassismus teil. Das war sehr unvorsichtig. Bald danach entdeckte Wexler vor seinem Haus ein paar Männer, die so taten, als müssten sie einen Reifen wechseln. Dann trieben sich, ganz wie im Kino, Männer mit Sonnenbrillen, komischen Hüten, Regenmänteln und Feldstechern vor dem Haus herum. Auch Emile de Antonio wurde überwacht. Als er sich beim FBI darüber beschwerte, erhielt er eine richterliche Vorladung. Mittlerweile wurde wegen des Verdachts auf Rebellion, Befürwortung eines Umsturzes, Verschwörung und vielen anderen Delikten gegen ihn ermittelt. Die Behörden versuchten, ihn zur Herausgabe des Filmmaterials zu zwingen. Es war das erste Mal in der Geschichte des amerikanischen Kinos, dass ein Film schon vor seiner Fertigstellung beschlagnahmt werden sollte.

Linke Spinner und brave Archivare: Ein Film verschwindet

Das Ganze führte zu einem juristischen Schlagabtausch, den de Antonio gewann, weil ihm in Leonard Boudin (der Vater von Kathy Boudin) ein sehr fähiger Anwalt zur Seite stand und weil die Behörden keine Zensurdebatte riskieren wollten, nachdem sich zahlreiche Hollywood-Persönlichkeiten öffentlich hinter de Antonio gestellt hatten. Den Text der Solidaritätsadresse und die Namen der Unterzeichner (Warren Beatty, Harry Belafonte, Jeff Bridges, Mel Brooks, William Friedkin etc.) kann man in den Congressional Records (30. Juli 1975) nachlesen, weil der Abgeordnete Larry McDonald aus Georgia den ungeheuerlichen Vorgang im Parlament anprangerte:

Herr Präsident, die Terroristen von der Weather Underground Organization haben die Verantwortung für eine ganze Serie von Bombenanschlägen übernommen, darunter einen genau hier im Kapitol und einen im Außenministerium Anfang diesen Jahres. Jetzt plant eine Gruppe von linken Spinnern aus Hollywood einen Hochjubelungs- und Propagandastreifen über diese Kriminellen.
Der Rädelsführer der Hollywood-Bande ist der berüchtigte Emile de Antonio, der Schöpfer einer Reihe von pseudodokumentarischen linken Propagandafilmen, darunter einer, in dem der verstorbene Senator Joseph McCarthy mit Dreck beworfen wird und einer, der die kommunistischen Aggressoren in Vietnam unterstützt.

Und so weiter. Nach einjähriger Unterbrechung konnte de Antonio den Film doch noch fertigstellen. Das FBI sann auf Rache. Einige Jahre vorher hatte jemand das Nixon-Archiv des Fernsehsenders NBC entwendet, bei de Antonio angerufen und ihm das Material angeboten. Einzige Bedingung: er müsse einen Film daraus machen. Millhouse: A White Comedy (1971) ist eine bissige Collage, deren Teile so montiert sind, dass sich jeder Off-Kommentar erübrigt. De Antonio hatte das bereits einen Platz auf Nixons Feindesliste beschert. Jetzt versuchte man, ihn wegen Hehlerei und Verstößen gegen das Copyright zu belangen und ihn so in die Knie zu zwingen. Das scheiterte an den Verantwortlichen des Senders. Bei NBC wollte man nicht zugeben, dass jemand 500 Filmrollen aus dem Archiv geklaut hatte. Das wäre zu peinlich gewesen.

Mit Underground wurde de Antonio zum Filmfestival in Cannes eingeladen. Dann wurde er wieder ausgeladen. Begründung: Der Film habe nicht die richtige Millimeterbreite und könne mit den in Cannes vorrätigen Projektoren nicht gezeigt werden. Ohne Begründung wurde das geplante Buch zum Film beerdigt. Der amerikanische Verlag wollte das Projekt so dringend loswerden, dass er gern auf den bereits ausbezahlten Vorschuss von 12 500 Dollar verzichtete. Der amerikanische Verleih, der sich Underground gesichert hatte, tat alles, um aus dem Vertrag wieder herauszukommen.

1977 verkaufte de Antonio Underground an den WDR, wo er prompt im Archiv verschwand. „Unser Argument“, so 1984 ein WDR-Redakteur, „dass es sich um ein Zeitdokument handelt, das einen hohen Informationswert hat, war damals von der Hierarchie des Hauses nicht akzeptiert worden. Unser damaliger Programmbereichsleiter und jetziger Direktor der Bavaria, Dr. Rohrbach, hielt den Film für einseitige Agitation und gab nicht seine Zustimmung, den Film auszustrahlen.“ Dr. Rohrbach wollte sich wohl keinen Ärger einhandeln, oder er hat nicht genau hingeschaut. Der Film macht keinen Hehl aus seiner generellen Sympathie für die WUO, aber verklärt wird bei de Antonio grundsätzlich nichts. Man spürt, wie aufgeladen die Atmosphäre war, in der die Aufnahmen entstanden sind. De Antonio, der Enkel eines Philosophie-Professors, war sehr bewandert in politischer Theorie. Durch den marxistisch-leninistischen Jargon war er nicht zu beeindrucken, die übliche Phrasendrescherei wollte er nicht hören:

Ich hielt die Weather-Leute für unglaublich arrogant. [...] Ich wollte, dass sie – und ursprünglich hatten sie dem auch zugestimmt – erzählten, wie sie da hingekommen waren, wo sie sich jetzt befanden. Mit anderen Worten: wie wurden Leute, die im Grunde zur Mittelschicht gehörten (und einige von ihnen kamen sogar aus der Oberschicht) Revolutionäre, die einen Untergrundkrieg gegen die Regierung führten? Das, hatte ich gedacht, war die Geschichte, die wir erzählen wollten, und als wir dann selbst im Untergrund waren, machten sie plötzlich ihr eigenes Ding. Wir stritten uns, und diesen Streit wollte ich im Film haben. […] Ich hatte das Gefühl, dass diese abstrakte politische Terminologie allen scheißegal ist. Sehr politisch eingestellte Menschen in Amerika, besonders solche SDS-Leute, haben fast gar kein theoretisches Fundament, auf das sie sich beziehen können. Jedes Mal, wenn ich sie über Lenin oder Mao reden hörte, setzte mein Herz einen Augenblick lang aus, weil das nie etwas anderes war als das, was sie in Prairie Fire geschrieben hatten. Ich dagegen dachte, dass die menschliche Seite das Faszinierende gewesen wäre.

Revolution mit Bonusmaterial

De Antonios Lösung: Er borgte sich bei Saul Landau, Chris Marker und anderen befreundeten Filmemachern ergänzendes Material über Malcolm X, Fred Hampton, Fidel Castro, Ho Chi Minh, Friedensdemos, Polizeiaufmärsche und das Pentagon. So wurde aus Underground auch eine Bestandsaufahme zur linken Protestbewegung der 60er und 70er Jahre – und ein Schatzkästlein mit seltenen Bild- und Tonaufnahmen.

1984 „befreite“ de Antonio die vom WDR erworbene Filmkopie aus dem Archiv des Senders. Underground wurde dann im Tübinger Arsenal gezeigt, beim Filmfest in Hof und in ein paar Programmkinos. Das ist lange her. In den USA sind inzwischen einige Filme von de Antonio auf DVD erschienen. Underground ist nicht dabei. Inzwischen gibt es einen Dokumentarfilm von Sam Green and Bill Siegel, The Weather Underground, der sehr informativ (und manchmal sehr selektiv) ist, den Film von de Antonio aber nicht ersetzen kann. In den Extras der DVD-Ausgabe sind wenigstens ein paar Ausschnitte von Underground enthalten. Bernardine Dohrn und Bill Ayers dürfen zum Hauptfilm einen Audiokommentar sprechen. Auch das ist ein interessanter Karriereweg: Vom Revolutionär zum Bonusmaterial.

Wer Underground komplett sehen will, braucht viel Glück, muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das ist schade. Bei de Antonio erfährt man viel mehr über die Studentenbewegung, den Terrorismus und das Leben im Untergrund als in einem ziemlich überflüssigen Epos wie Der Baader-Meinhof-Komplex, in dem brav abgearbeitet wird, was in Stefan Austs Buchvorlage als wichtig präsentiert wird und wo die Terroristen zur Information immer die Tagesschau der ARD einschalten, weil mehrere ARD-Anstalten einen beträchtlichen Teil der Produktionskosten übernommen haben (eine besonders unappetitliche Form von Product Placement, für die wir auch noch doppelt bezahlen: an der Kinokasse und mit unseren Rundfunkgebühren). Für einen winzigen Bruchteil dieser Kosten könnte man Underground allgemein zugänglich machen, am besten mit den anderen Werken des Regisseurs. Das wäre auch eine schöne Aufgabe für unsere Zeitungen und Magazine, die uns immer neue DVD-Reihen verkaufen wollen. Nichts gegen Fische, aber: Eine „Emile de Antonio Box“ wäre mindestens so verdienstvoll wie die DVD-Edition mit Tauchfilmen von Jacques Cousteau.

„Sie waren“, sagt de Antonio in einem Interview über die Weathermen, „der letzte Seufzer einer Bewegung, deren Entwicklung ich seit den frühen SDS-Tagen verfolgt hatte. Es ist ein Film über etwas, das zuende geht, nicht darüber, wie das Leben weitergehen wird. Es geht um das Ende der wichtigsten politischen Organisation dieser Generation.“ Zumindest ein Teil der Gruppe scheint das ähnlich gesehen zu haben, obwohl sich die fünf Untergrundkämpfer in Underground alle Mühe geben, siegessicher zu wirken und zu bekräftigen, dass die Revolution unmittelbar bevorsteht. In der zweiten Hälfte der 70er zerfiel die WOU in zwei Fraktionen, die „May 19 Coalition“ und das „Prairie Fire Collective“. Die Koalition blieb im Untergrund und führte – unter wechselnden Namen und in verschiedenen Bündnissen mit anderen radikalen Gruppen – noch eine Weile lang Anschläge auf US-Institutionen aus. Das „Präriefeuer-Kollektiv“ um Bernardine Dohrn und Bill Ayers erwog, wieder aufzutauchen und sich den Behörden zu stellen. Diese Überlegungen wurden dadurch befördert, dass aus einem FBI-Büro Geheimakten gestohlen worden waren, mit denen sich allerlei illegale Aktivitäten der Ordnungshüter beweisen ließen, von Durchsuchungen über Abhöraktionen bis zur Einschüchterung. Das führte zu einigen Anklagen gegen FBI-Agenten und zu der Empfehlung, die Anklagepunkte gegen Weatherman-Mitglieder, die mit Sprengsätzen, Waffen und Verschwörungen zu tun hatten, fallen zu lassen.

Robin Hood wird monogam

Kathy Boudin fühlte sich dem „19. Mai“ (der Geburtstag von Ho Chi Minh) zugehörig, der mit der „Black Liberation Front“ fusionierte. Am 20. Oktober 1981 überfiel sie mit ihrem Lebensgefährten David Gilbert, anderen Weather-Mitgliedern und einigen Front-Aktivisten einen Geldtransporter der Firma Brinks. Der offenbar sehr stümperhaft geplante und ausgeführte Überfall, nach dem auf beiden Seiten Tote und Verletzte zu beklagen waren, gilt als das unrühmliche Ende der Weather Underground Organization. Am günstigsten (20 Jahre bis lebenslänglich) kam noch Kathy Boudin davon, die einen Anwalt aus der Kanzlei ihres Vaters mit ihrer Verteidigung beauftragte. Im Gefängnis betreute sie AIDS-Kranke und werdende Mütter, und sie entwickelte ein Programm, das Strafgefangenen zu einem College-Abschluss verhilft. 2003 kam sie auf Bewährung frei und trat eine Stelle in einer AIDS-Klinik an. Ihre mehrheitlich zu dreimal 25 Jahren verurteilten Mittäter sitzen bis heute im Gefängnis. Die Chancen, demnächst entlassen zu werden, sind gering.

Für Weatherman-Mitglieder durfte es keinen Unterschied zwischen der politischen Arbeit und dem Privatleben geben. Bürgerliche Daseinsformen wie die Monogamie waren verpönt. Ironischerweise scheint für einige der Kämpfer, nachdem sie in den Untergrund gegangen waren, die bürgerliche Kleinfamilie zum wichtigsten Halt geworden zu sein. Bernardine Dohrn und Bill Ayers wurden ein Ehepaar und bekamen zwei Kinder. Unbürgerlich daran war allerdings, dass sie immer auf der Hut vor dem FBI sein mussten, mit falschen Namen und Papieren lebten und oft Wohnort und Arbeitsplatz wechselten. 1988 hat Sidney Lumet aus dieser Konstellation einen sehenswerten, ganz unspektakulären Film gemacht: Running on Empty. (Christian Petzold erzählt in Die innere Sicherheit eine sehr ähnliche, auf deutsche Verhältnisse übertragene Geschichte.)

Die Sorge um das Wohl der Kinder war ein wesentlicher Grund dafür, dass Dohrn und Ayers schließlich wieder auftauchten. Als sie sich 1980 den Behörden stellten, fand das ein großes Medienecho. Beide erhielten Bewährungsstrafen; nach der Verurteilung von Kathy Boudin und David Gilbert wegen des Überfalls auf den Geldtransporter wurde ihnen die Vormundschaft über deren Sohn übertragen. Dohrn hatte bis zu ihrem Abtauchen Jura studiert und arbeitete von 1984 bis 1988 in einer sehr angesehenen Chicagoer Anwaltskanzlei, deren Seniorchef mit ihrem Schwiegervater befreundet war. Versuche, in die Anwaltskammern von Illinois oder New York aufgenommen zu werden, scheiterten an ihrer kriminellen Vergangenheit und daran, dass sie sich nicht zu den oft einstudiert wirkenden Zerknirschungs- und Entschuldigungsritualen durchringen konnte, die in solchen Fällen üblich sind. Es half auch nicht, dass sie lieber ein Jahr im Gefängnis absitzen wollte, als gegen eine ehemalige Mitstreiterin auszusagen.

1991 erhielt Bernardine Dohrn unter etwas dubiosen Umständen eine außerordentliche Professur an der juristischen Fakultät der Northern University in Chicago. Bill Ayers promovierte und wurde Pädagogik-Professor an der University of Illinois, ebenfalls in Chicago. Er und seine Frau engagieren sich in zahlreichen Wohltätigkeits- und Bürgerrechtsprojekten.

Bill Ayers

Kaffeeklatsch bei Bill und Bernardine: Obama wird „Sympathisant“

Diverse Ex-Weathermen haben inzwischen Bücher geschrieben, um die Deutungshoheit über das zu erlangen, was gewesen ist. Bill Ayers hatte Pech. Der offizielle Erscheinungstermin seiner Memoiren, Fugitive Days, war der 10. September 2001. Im Vorfeld gab er einige Interviews, die nach dem Erscheinen des Buches veröffentlicht wurden und Aussagen enthielten, die er bestimmt anders formuliert hätte, wenn er gewusst hätte, was am 11. September passieren würde. Sätze wie “Es tut mir nicht leid, dass wir Bomben gelegt haben” und “Ich denke, dass wir nicht genug getan haben“ hatten nach 9/11 einen ganz anderen Klang als vorher. Seither macht er immer wieder Anläufe, um zu erklären, dass er nur vom Widerstand gegen den Vietnamkrieg gesprochen hat, dass damit keine neuen terroristischen Anschläge gemeint waren und schon gar nicht das Ermorden anderer Menschen. Viel genützt hat es ihm nicht.

Ayers, Dohrn und das Ehepaar Obama haben Wohnungen im selben Viertel von Chicago. 1995, als Barack Obama das erste Mal für den US-Senat kandidierte, lud Ayers Anhänger der Demokratischen Partei zum Kaffeeklatsch in seine Wohnung; Zweck der Veranstaltung war es, Geld für Obamas Wahlkampf zu sammeln. Anfang dieses Jahrtausends engagierten sich sowohl Ayers als auch Obama in zwei wohltätigen Organisationen in Chicago. Beide nahmen an einer Veranstaltung teil, bei der über eine Schulreform diskutiert wurde. 2001, als die Wiederwahl des Senators Obama anstand, spendete Bill Ayers 200 Dollar. Diese äußerst belastenden Fakten hat schon das Wahlkampfteam von Hillary Clinton zutage gefördert. Eher unentschlossene Clinton-Versuche, sie im Vorwahlkampf der Demokraten gegen Obama einzusetzen, als dieser plötzlich in Front lag, wurden eingestellt, weil sie drohten, nach hinten loszugehen. In amerikanischen Wahlkämpfen sind solche Attacken durchaus üblich. Es gibt sogar einen Fachausdruck dafür: character assassination.

Im stark nach rechts tendierenden Medienhaus FOX, steht zu vermuten, gruselt man sich in diesen Tagen bei dem Gedanken, dass man im Falle von Obamas Wahl zum Präsidenten auf die Liste derer geraten könnte, die dem schwarzen Senator den Weg ins Weiße Haus geebnet haben. Denn der Held von Jack Bauer (Kiefer Sutherland), der in der von FOX produzierten Serie 24 seit Jahren die Welt rettet, heißt David Palmer (Dennis Haysbert) und ist der erste schwarze US-Präsident. Ein Schwarzer als Präsident: die Serie hat dazu beigetragen, dass sich das Wahlvolk an diesen Gedanken gewöhnen konnte. FOX zeigt tätige Reue und ist seit einiger Zeit darum bemüht, die Obama-Gegner mit belastendem Material zu versorgen.

Sarah Palin liest die 'New York Times'

Bei FOX News hat man sich daran erinnert, dass Bill Ayers dem Sender 2004 ein ausführliches Interview gegeben hat. In diesem August wurde noch einmal aufgewärmt, was Ayers damals gesagt hat: dass er die Weathermen nicht als Terroristen bezeichnen würde; dass irgendwann deutlich werden wird, dass die Weathermen auf der Seite der Gerechtigkeit standen; dass 9/11 „ein Akt reinen Terrors“ war; dass die US-Regierung vergleichbare Terrorakte begangen hat; und dass Terrorismus „immer falsch, immer böse“ ist. Man erfährt sogar, dass Ayers nach 9/11 geweint hat. Offenbar hat auch Bernardine Dohrn geweint, denn Bill Ayers glaubt, dass in den Wochen nach 9/11 alle Amerikaner geweint haben mit Ausnahme von denen, die schnell neue Gesetze in den Computer getippt haben, um ihre reaktionären Ziele zu verfolgen, weshalb jetzt „jeder Uterus überprüft, jeder Baum gefällt und jedes Ölbohrloch gegraben werden muss“.

Der Anlass für das 2004 geführte Interview war übrigens das Erscheinen eines Buchs über John Mitchells Verwicklung in den Watergate-Skandal. Jetzt, in der aufgewärmten Fassung von 2008, wird mit einem verwegenen Schachzug Ayers’ Beziehung zu Nixons Justizminister (der eine hat in den 1970ern versucht, den anderen hinter Gitter zu bringen) durch die zu Obama ersetzt (der eine hat 1995 zugunsten des anderen eine „informelle Wahlveranstaltung“ organisiert). Das hat gut funktioniert. Was von all dem haften blieb, ist im Wesentlichen eine Überschrift („Ayers ohne Reue wegen Gewalt von radikaler Gruppe in 1960ern, 1970ern“) und ein langer, etwas verschachtelter Satz, der sich, wenn man ihn zitieren will, sehr schön verkürzen lässt:

Ayers […] hat dabei geholfen, Obamas politische Karriere in Gang zu bringen […].

So etwas ruft natürlich die Konkurrenz auf den Plan. Der Nachrichtensender CNN, der mit FOX News um Einschaltquoten kämpft, hat gemeldet, dass Obamas Beziehung zu Ayers ganz harmlos ist. Auch als liberal geltende Blätter wie die New York Times haben recherchiert und dann berichtet, dass nichts zu finden war, was darauf schließen lässt, dass Obama mit Terroristen sympathisieren könnte. Schon hat man ein paar zitierbare Sätze aus Medien, die nicht im Verdacht stehen, rechte Propaganda zu betreiben. Mit solchen Sätzen hantieren jetzt die Redenschreiber von Sarah Palin, die liebend gern Bäume fällen und Ölbohrlöcher graben würde (das mit dem Uterus wollen wir nicht weiter beleuchten).

„Unser Gegner“, so Sarah Pailin bei einer Wahlveranstaltung, „ist jemand, der Amerika scheinbar als so unvollkommen wahrnimmt, dass er sich mit Terroristen abgibt, die ihr eigenes Land ins Visier nehmen.“ Denn Obama kennt Bill Ayers. Und Ayers war (ist?) ein Terrorist. Das, so Palin, hat sie nicht irgendwo gelesen, sondern in der New York Times. Ist das jetzt zynisch? Das zeigt, dass jetzt Profis am Werk sind, würde Steve Schmidt sagen. Schmidt hat sein Handwerk bei Bush und Cheney gelernt. Seit John McCains Umfragewerte sinken, gewinnt er immer mehr Einfluss auf dessen Wahlkampagne. Und was macht Bill Ayers? Im Vergleich zu Richard Nixon, zur Rüstungsindustrie und zum Krieg in Vietnam, hat er 2004 dem FOX-Reporter erzählt, waren die Weathermen ein ziemlich harmloser Haufen. Jetzt, vier Jahre später, könnte er am Ende wieder – Sorry, Bill! – als der nützliche Idiot dastehen, der er schon für Nixon war.

Joe Wurtzelberger und der Terrorismus

Im Moment will die republikanische Strategie der character assassination nicht recht gelingen. Ungünstig wirkt sich aus, dass auch Sarah Palin – wie vor ihr die Weathermen – keinen Unterschied zwischen privatem und politischem Leben gemacht und in ihrer Eigenschaft als Gouverneurin von Alaska nach einem erbitterten Scheidungskrieg einen Rachefeldzug gegen Trooper Wooten geführt hat, den Ex-Mann ihrer Schwester („Trooper-Gate“). Gravierender dürfte allerdings sein, dass das große Publikum derzeit voller Schrecken auf die Wall Street starrt, wo ein Spektakel namens „Finanzkrise“ aufgeführt wird und den Eindruck vermittelt, als sei der Kapitalismus gerade dabei, sich selbst den Garaus zu machen.

Aber während McCain anfangs noch sehr vorsichtig war, gerät Bill Ayers seit einigen Wochen immer mehr ins Zentrum seines Wahlkampfs. Einen Vorgeschmack auf das, was uns noch erwarten könnte, haben wir im letzten TV-Duell der Kandidaten bekommen. Wenn Richard Nixon volkstümlich wirken wollte, sprach er bei öffentlichen Auftritten gern einen imaginären Durchschnittsamerikaner namens „Joe Sixpack“ an. John McCain hat ihn beim Duell mit Obama wieder aufleben lassen – in Gestalt von „Joe the Plumber“. Der Held des Vietnamkriegs stellt sich damit in eine Tradition, angesichts derer einem leicht unheimlich werden kann. „Joe the Plumber“ hat er versprochen, ihn vor Klassenkampf, Steuererhöhungen und „Leuten, die uns nicht mögen“ zu beschützen. (Als Demagoge war Nixon besser. Oberstes Gebot: Die Dinge einfach halten. „Joe der Klempner“ hätte völlig ausgereicht. Der real existierende Joe heißt mit vollem Namen Samuel Joseph Wurzelbacher oder vielleicht auch – das ist noch nicht entschieden – Worzelbacher. Er heißt sicher nicht, wie von McCain im Fernsehen behauptet, „Wurtzelberger“. Jetzt stimmt der bekennende Republikaner aus Ohio am Ende noch für die Demokraten.)

Obama, so McCain, habe in Ayers’ Wohnzimmer seine Kampagne gestartet. Es müsse endlich aufgeklärt werden, welche Beziehung sein Gegner zu diesem Terroristen hat. Das impliziert, dass es da noch etwas gibt, das man aufklären kann und das bislang niemand entdeckt hat, nicht FOX News und nicht die New York Times. Bisher elektrisieren solche dumpfen Andeutungen nur die Fans von Sarah Palin, die Obama sowieso nie wählen würden und bei Wahlveranstaltungen bereits dessen Kopf fordern. Wenn aber morgen irgendein Islamist einen Bombenanschlag verübt, steht der „Krieg gegen den Terror“ wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Viele von den Joe Wurtzelbergers werden Barack Obama dann nicht abnehmen, dass er diesen Krieg glaubhaft führen kann. Denn Obama hat 200 Dollar von dem Mann genommen, der den Vietnamkrieg beenden und den Kapitalismus vernichten wollte, indem er eine leere Damentoilette in die Luft sprengte.