Satanischer Sommer für die Bärte

Die religiöse Führung im Iran muss sich gegen massiven Druck von allen Seiten behaupten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auf 38° Celsius, verkündet der CNN-Wetterdienst, soll das Thermometer in Teheran in den kommenden Tagen klettern; die gefühlte Temperatur indes dürfte für die dunkel gekleideten Kleriker des Wächter-Rates noch deutlich höher ausfallen.

Für die dröhnende Hitze unter den langärmligen Religions-Talaren ist nicht die iranische Sonne oder die satanische Missionarsprosa der USA alleinverantwortlich; es ist auch ein inneres Fieber, welches das Klima im Iran derzeit aufheizt. Ob es zu einem revolutionären Fieber wird, ist - wie so oft in den letzten Jahren - spekulativ.

"Tötet Khameinei!" skandierten Teilnehmer der Studentenproteste. Und 250 iranische Intellektuelle setzten den kruden, zornigen Schreien der nächtlichen Straße ein moderateres und dennoch umstürzlerisches Statement obenauf, das eher vom Voltaireschen Geist des Widerstands beseelt ist:

Der Ayatollah solle vom Prinzip des "Höchsten Führers" absehen, wonach er Gottes Repräsentant auf Erden sei, und endlich seine Verantwortung für das iranische Volk akzeptieren. Der Besitz und Anspruch auf absolute Macht werden von den Unterzeichnern des Briefes, der gestern in einer iranischen Zeitung veröffentlicht wurde, als "Häresie" bezeichnet.

Unter den 252 Unterzeichnern sind laut AP außer Hashem Aghajari, dessen Verurteilung zum Tode schon im letzten Oktober zu massiven Studentenprotesten geführt hatte, der Führer der Oppositionspartei, Ebrahim Yazdi (Freedom Movement of Iran), zwei Vertraute des Präsidenten Khatami und Sajid Hjjarian, der als Architekt des Reformprogramms von Khatami gilt.

Khatami selbst wird von der Kritik der Studenten nicht ausgenommen. Sein Reformprogramm ist ins Stocken geraten; wichtige Gesetzesvorschläge, die ihn die politische Macht ausüben ließen, welche ihm von der Verfassung zustünde, wurden in den letzten Monaten von dem reaktionären Klerusklüngel abgeblockt. Jetzt will er ein Referendum, was die Kleriker mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Die Hochstimmung und Hoffnungen auf einen politischen Frühling im Iran, die mit seiner Wahl 1997 (fast 70% der Stimmen) ausgelöst wurden, scheinen in Frustration umzuschlagen.

Auch die US-Regierung scheint nur wenig auf Khatamis Fähigkeiten zur Reform zu setzen. Zumindest wird er in veröffentlichten Debatten zur US-Strategie gegenüber dem Iran an keiner entscheidenden Stelle erwähnt. Man beschränkt sich auf "moralische Unterstützung" der Reformbewegung, hat aber zumindest im Pentagon Größeres im Sinn (siehe Iran destabilisieren).

Während Colin Powell als Ziel hat, "mit dem iranischen Volk zu sprechen, um es wissen zu lassen, dass wir mit ihm übereinstimmen", und Präsident Bush die Studentenproteste von seinem Ferienort in Maine aus "positiv" beurteilt, kann Rumsfeld wie üblich die Debatte mit markigen Worten über die nukleare Aufrüstung des Iran verschärfen.

Eine kohärente Strategie gegenüber dem Iran sei Kritikern der US-Regierung zufolge seit Amtsbeginn von George W.Bush nicht zu erkennen, schreibt die Washington Post in ihrer gestrigen Ausgabe und zitiert erstmal notorische Neocons wie Michael Ledeen (siehe: Coalition for Democracy in Iran): "Die Administration hat noch nicht zu einer wirklichen Politik gegenüber dem Iran gefunden."

Schon in den nächsten Tagen wird sich herausstellen, wie diese aussehen mag. So üben die USA großen Druck auf die Internationale Atomaufsichtsbehörde (International Atomic Energy Agency) aus, um das Nuklearprogramm des Iran zu unterbinden. Wie es heißt, soll der Druck allerdings nicht allzu groß sein, um die Türen für diplomatische Verhandlungen offen zu halten.