Saudi-Arabien: Umgehen der Zensur
Angeblich verdienen sich in der autoritären Monarchie Hacker ihr Geld, indem sie anderen helfen, die Internetfilter auszutricksen
Das Internet wimmelt nicht nur von Geschichten, sondern ist selbst auch immer wieder Gegenstand von solchen, die gelegentlich schwer nachprüfbar sind. Spielen die Geschichten noch dazu in arabischen Märchenländern, die derzeit teilweise zu angstvoll betrachteten Brutstätten von Terroristen geworden sind, so ist eine Überprüfung zumindest aus der Ferne kaum möglich, aber vielleicht ein gutes Beispiel dafür, wie "Wahr-Scheinliches" sich verbreiten kann. In einer Zeit, in der man angesichts der Propaganda von allen Seiten und dem Bewusstsein der mangelhaften Informationen der Medien wieder einmal hermeneutisch zwischen den Zeilen zu lesen beginnt, sind solche Geschichten, die wahr sein könnten, zumindest ein Teil der täglichen Nachrichten.
Die Story hatte ihre Anfänge in den englischsprachigen Arab News. Dann wurde sie von BBC aufgegriffen und nachrichtenkonform geglättet, wie ein üblicher Hoax, bei dem weiter getragen wird, was ein guter Freund gesagt oder eine vertrauliche Quelle mitgeteilt hat.. Arab News berichtet am 3. November, dass ein Reporter der arabischen Zeitung Eqtisadiah sich einmal als Kunde in "Computerzentren" der saudi-arabischen Hauptstadt Riad begeben und dort nach Menschen gesucht hatte, die ihm Zugang zu blockierten Internetseiten verschaffen würden. Das sei für ein wenig Geld - zumindest nach saudi-arabischen Verhältnissen - ohne Probleme möglich gewesen. Überall gebe es Hacker, die für das Austricksen der fürsorglich zensierenden Regierung zwischen 30 und 70 Dollar verlangen. Daneben würden sie noch den Zugang zu persönlichen Email-Accounts sowie DVDs mit Pornographie anbieten.
Saudi-Arabien hat lange gebraucht, um sich dem Internet halbherzig zu öffnen. Bedrohlich ist für autoritäre Regime die weite, wilde Welt des Web, die sich nicht so gut kontrollieren lässt wie heimische Medien und wie die nationalen Grenzen. Das zwar von den USA unterstützte, aber bekanntlich keineswegs demokratische Regime, das unter anderem auch von manchen islamistischen Revoluzzern wie bin Ladin als durch und durch korrupt bezeichnet wird und aus dem dieser deswegen auch erhebliche Unterstützung erhält, versucht, seine Untergebenen möglichst von politisch nicht erwünschten Informationen fern zu halten. Zudem sollen die Werte des Islam geschützt werden, so dass auch schon Pokemon wegen verderblicher Einflüsse auf die Kinder und ihre Moral verboten wurde (Pokemon unterstützt die Evolutionstheorie). Man geht zwar nicht so weit wie die Taliban, die gleich nahezu alle Medien verboten haben, aber man will deren Einfluss kontrollieren und hat daher das Land erst dem Internet geöffnet, als man den Zugang auf der Seite der Provider durch Filter auf die den arabischen (und politischen) Werten verpflichtete Inhalte beschränken konnte. Seitdem arbeiten Kontrolleure unaufhörlich daran, das explosiv wachsende Web auf Verpöntes zu durchforsten und die entsprechenden URLs zu sperren: eine Sisyphos-Arbeit.
Schon bevor die ersten Provider in Saudi-Arabien zugelassen wurden, konnten die Menschen sich natürlich bei Providern im liberaleren Libanon oder anderswo einwählen, um Zugang zum Internet zu erhalten. Das ist natürlich noch immer möglich, wobei dann die Filter nicht greifen und der Zugriff auf alles offen steht. Ob sich die Bezahlung der Hacker also lohnt, wenn man nur die Gebühren für Ferngespräche zahlen muss, ist doch die Frage - und lässt schon aus diesem Grund ein wenig Skepsis gegenüber der Story entstehen.
Wie auch immer, der Hintergrund der Geschichte ist der Versuch einer Zensur, also einer halbherzigen Öffnung in einem Land, das nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch wegen der islamischen Moral für viele Bewohner einengend und langweilig ist, die gerne einmal sich die anwogenden amoralischen Bedrohungen aus dem Westen anschauen, aber eben auch offene Kommunikation in Chat-Räumen suchen (Saudi Arabien sperrt wegen Pornographie Zugang zu den Yahoo-Clubs). Können die Frauen sich über das Internet aus ihrem Gefängnis in der islamischen Männerwelt ansatzweise befreien, so trifft das aber auch für die Männer zu, die vielleicht auch nicht nur fröhlich sind, in einer Männergesellschaft zu leben. Was die saudi-arabischen Internetkontrolleure in der King Abdul Aziz City for Science and Technology durch Zensur zu verhindern suchen, stellt sich im Iran gerade wieder einmal als Kampf der Konservativen gegen oppositionelle Fernsehsender aus dem Ausland dar, die sowohl die im staatseigenen Fernsehen fehlende Unterhaltung als auch unerwünschte Informationen und Aufrufe liefern. Der Zugang soll hier nicht durch Filter, sondern durch Konfiszierung der Satellitenschüsseln blockiert werden (Gefahr durch Satellitenschüsseln; Gebremster Heiliger Zorn auf das Internet). Auch in Saudi-Arabien sind Satellitenschüsseln verboten, doch viele Menschen verwenden sie dennoch. Die Zeitungen sind zensiert, ebenso wie die Radio- und Fernsehsender.
In den Zeiten des Kriegs gegen den (vorwiegend muslimischen) Terrorismus ist die Interpretation der saudi-arabischen Hackergeschichte schwierig geworden. Sind diese nun eine Art Freiheitskämpfer, die die Zensur überwinden und die Menschen am freien Fluss der Informationen teilhaben lassen, auch wenn sie auf gut kapitalistische Weise Geld dafür nehmen, oder handelt es sich einfach um Kriminelle, die sich aus Geldgier über die Gesetze eines Landes hinwegsetzen und daher tendenziell auch als Terroristen gelten könnten, zumal sie mit ihrem Wissen ja auch "cyberterroristische" Angriffe starten könnten? Eine neue Wende erhielt die Geschichte überdies durch die Meldung, dass die saudi-arabischen Behörden eine bessere Software zum Filtern suchen - und nun westliche Firmen Schlange stehen, um den Zensurgelüsten der autoritären Monarchen mit ihrem strengen Glaubensvorschriften zu Diensten zu sein (Zensur ist ein lohnendes Geschäft). Das freie Unternehmertum der westlichen Welt hätte sich vermutlich auch beeilt, den Taliban zu Hilfe zu kommen, wenn die nicht gleich das Internet ganz verboten hätten.
Arab News hält sich zurück, verweist auf Experten, die meinen, dass normale Hacker wie diejenigen, die in solchen Läden herumhängen, zwar Email-Accounts knacken könnten, aber nicht in der Lage wären, die Filter bei den Providern zu überwinden. Irgendwie scheint die Story aber auch im Kontext der Nachricht zu stehen, dass das Königreich Gesetze einführen will, die die Benutzung des Internet regeln und darin auch das Cracken unter Strafe stellen. Die Geschichte könnte also auch den moralischen Hintergrund haben, dass man solche Hacker bestrafen muss, da sie die Werte des Islam untergraben.
Bei BBC wird aus der Geschichte eine klassische westliche Geschichte über die Vergeblichkeit der Zensur, was schon erstaunlich ist, weil gerade auch in Großbritannien die Medien wegen des Krieges unter patriotischem Druck stehen. Es wurde nicht weiter recherchiert, sondern, korrekterweise unter Verweis auf Arab News, aber ohne die dort zumindest erwähnten Zweifel, wird affirmativ gesagt: "Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und es gibt keinen Mangel an Menschen, die bereit sind, Geld zu zahlen, um auf verbotene Websites zu gelangen. Das kann Pornographie sein oder Politik, aber was auch immer in diesem konservativen Muslimland verboten ist, ist irgendwo verfügbar - für einen Preis."
Aber welche Moral auch aus dieser wahren, erfundenen oder auch nur wahr-möglichen Geschichte gezogen wird, so ist das Internet sicherlich ein Medium, das eine Kontrolle der Informationen, wie dies noch mit den Massenmedien möglich war, sehr viel schwieriger macht. Die Grenzen ideologischer, politischer, kultureller oder religiöser Herrschaft können überschritten, diese allein schon durch die Präsenz des räumlich Entfernten und Andersartigen in Frage gestellt werden. Jeder ist zu einem Sender und Empfänger von Informationen geworden, was alle bestehenden Kanalisierungen unterläuft. Selbst die Menschen kriegführender Staaten könnten, wie teilweise im Kosovo-Krieg geschehen, miteinander kommunizieren. Kein Wunder, dass Regime wie das der Taliban gleich das Internet ganz verbieten, um die Menschen von der Welt zu isolieren, oder dass autoritäre Herrschaftssysteme wie in Saudi-Arabien den Zugang zur virtuellen Welt beschränken wollen.
Das anarchische, basisdemokratische und kaum kontrollierte Internet wäre tatsächlich eine subversive Waffe gegen jedes Herrschaftssystem und die Monster, die es gebären kann, aber offenbar ist die westliche Welt, die diese Waffe eines bislang undenkbaren Aufklärungsmediums geschaffen hat, nicht willens, dieses auch auszureizen. Auch die eigenen Hierarchien und Kontrollen, wie man dies gerade in Krisen- und Kriegszeiten erleben kann, könnten ins Wanken geraten, die Demokratie zu gefährlich werden, weswegen derzeit weniger an den Ausbau, sondern eher an Kontrolle und Einschränkung der Freiheiten gedacht wird. Und wer weiß auch schon, wohin sich die Menschen bewegen werden, wenn man sie ganz ihrer eigenen Dynamik überlässt und plötzlich die lokalen Biertische zu nationalen und globalen Öffentlichkeiten werden?