Scanning Osaka

Die Re-Artikulation des öffentlichen Raums

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Das Projekt Scanning Osaka war Bestandteil eines Art In Residence (AIR) Projekts an der Intermediate Institute Graduate School (IMI) in Osaka im Dezember 1997. Es hinterfragt architektonische und stadtplanerische Entscheidungen der Stadt Osaka betreffs des öffentlichen Raums. Das Projekt, bei dem das Zentrum von Osaka "gescannt" wird, wird auf der Basis von zwei Konzepten ausgeführt, die von zwei IMI-Studenten erdacht und entwickelt wurden: Manabu MikiŽs "The Osaka Loop Line Project" und Midori Komatsubaras "The End of the New Towns".

Marina Grciniz und Arbeitsgruppe während des Arbietsprozesses von "Scanning Osaka".

"Scanning Osaka" ist durch die Arbeit eines Teams von Forschern, Künstlern, Studenten, Vortragenden aus dem Ausland und anderen, die zur Schaffung eines interkommunikativen Dialogs beigetragen haben, weiter entwickelt worden.

Beide Projekte beschäftigen sich mit dem wichtigen Thema, jene Denkmäler und Gebäude in Osaka ausfindig zu machen und neu zu interpretieren, die eine Dualität des vollen-leeren Raumes, des sozial-psychologischen Raumes und des real-virtuellen Raumes verkörpern, repräsentieren oder überlagern. Beide Projekte versuchen sich dem Konzept des öffentlichen Raums als einem höchst politischen Topos, inhaltlich wie formal, anzunähern.

Ich wurde beinahe zu einer Augenzeugin dieses internen Artikulationsprozesses einer neuen Generation zukünftiger japanischer und japanisch-koreanischer Künstler und Intellektueller in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart, welche die existentiellen gesellschaftlichen Machtstrukturen des geordneten Lebens und Arbeitens aufspüren und sichtbar machen wollen.

Osaka Loop Line

Das Osaka Loop Line Projekt von Manabu Miki untersucht zunächst vor allem, wie bestimmte ausgewählte Objekte und Monumente in der Stadt Osaka mit der politischen und ökonomischen Macht der Stadt zusammenhängen.

  1. als eine Möglichkeit die Frage aufzuwerfen, warum die Stadt Osaka (genauso wie die meisten japanischen Städte) keinen öffentlichen Raum aufweist, oder, genauer ausgedrückt, keine realen Räume aufweist, die als öffentliche Sphäre, als eine res publica, fungieren können.
  2. um zu fragen, wie spezifische Monumente und Gebäude in Osaka als dislozierte Monumente und Räume fungieren.
  3. um ihre Funktion in der Struktur der Stadt und innerhalb der Machtstrukturen der offenen Räume des städtischen Osaka zu befragen.

Es gibt verschiedene Interpretationslinien im Osaka Loop Line Projekt. Diese versuchten die folgenden Interaktionen und möglicherweise gefährlichen Verbindungen, Dualitäten und Bedeutungen von Räumen und Monumenten in Osaka herauszuarbeiten:

Das Rathaus von Osaka - Nakanoshima Kokaido
Der 21 Twin Tower - Das Schloß von Osaka
Das Schloß von Osaka - Das Stadtmuseum
Naniwano - Miya

1. Ein Fake - die Nakanoshima Kokaido ist eine Kopie oder Transposition des neoklassizistischen amerikanischen oder europäischen Architekturstils in die Stadtlandschaft von Osaka, was eine Menge dramatischer zwischenmenschlicher Geschichten beinhaltet.

2. Ein metastabiles Double - das Schloss von Osaka ist ein dislozierter Signifikant für die Twin 21 Tower Gebäude. Das Schloß hat sich in bezug auf die Zwillingstürme zu einer exzessiven Touristenattraktion gemausert, welche die ökonomische Macht des Twin 21 Towers verdeckt und überlagert.

3. Eine Leere - Nanivano-Miya ist der leere Park im Zentrum von Osaka.

Diese drei räumlichen Paradigmen (oder Raummodelle) - der Fake, das metastabile Double und die Leere - sind nicht einfach Metaphern für Räume, sondern funktionieren als Generatoren und Transformatoren des Stadtraums, sie codieren seine verschiedenen Geschichten, Erinnerungen und Identitäten, ebenso wie sie sie (un)sichtbar machen.

The End of The New Towns

Midori KomatsubaraŽs präzise Vorstellung der japanischen Neuen Stadt (New Town) zeigt, wie diese mehr und mehr den neuen Friedhöfen gleicht, wodurch sich die Bedeutungsleere verdoppelt, die in den japanischen Stadtlandschaften bereits früher identifiziert wurde.

Das Erscheinungsbild der New Town ähnelt dem des neuen Friedhofs. Komatsubara zeigte, daß die neuen Friedhöfe ebenso reguliert sind wie "Städte", und daß die dramatisch veralternden Gemeinden der New Town wie gut organisierte Friedhöfe funktionieren.

Die Leere spiegelt den Verlust der Erinnerungen und die vollkommen unintegrierten sozialen Strukturen in den Enklaven der New Town, die wie traumatisierte Geister erscheinen. Sie sind Symptome von Anti-Gemeinschaften. Das Ende des Geistermodells New Town wird zum Beginn der Artikulation von Erinnerungen und verschiedener Geschichtsschreibungen.

Osaka ist ein Stadtkörper, der aus den verschiedensten Schichten von Fälschungen aufgebaut ist, die als Simulationen der oberflächlichsten und kitschigsten Stereotypen dessen gesehen werden können, was als (west)europäische Einkaufsstraße und (nord)amerikanischer Vergnügungspark betrachtet wird. All diese Fälschungen stehen eng nebeneinander im Stadtzentrum, sich überlappend und ineinander übergehend, ohne Grenzen, ohne Ränder, ohne klare Formen. Fälschungen über Fälschungen: Der Eiffelturm, die Freiheitsstatue, Modelle amerikanischer Vorstadthäuser, usw.

Das Forschungsteam kam zu der Auffassung, daß sogar das, was als japanisch betrachtet werden könnte, ein gefälschtes Image von etwas ist, das bereits verlorengegangen ist, heute aber durch Fälschungen permanent reproduziert wird. Die kitschigen Äußerungen von Bühnenbildern verdecken die traumatische Realität der städtischen Struktur von Osaka und ihres Mangels an öffentlichem Raum. Die Fälschungen füllen die traumatische Leere des realen Raums, jenes Raums ohne öffentliche Zonen.

Um dieses Trauma des Realraums ohne öffentliche Zonen zu durchbrechen, hat das IMI-AIR Forschungsteam folgende Schritte unternommen:

  1. Die Schlaf- und Küchenräume des IMI wurden zu Öffentlichen Räumen erklärt. Am Küchentisch sitzend, essend und trinkend wurde eine Gesprächsreihe begonnen, bei der die Teilnehmer Meinungen und Informationen austauschten, zu Themen wie Kunst, Kultur, öffentlicher und privater Raum. Auf diese Art und Weise wurde die Küche des Gästehauses zu einem besser genutzten öffentlichen Raum.
  2. Im komplett künstlichen und dislozierten Raum von Osaka gelang es den IMI-Studenten, einen realen Raum zu belegen (der GPOD genannt wurde - Green Pocket On the Dislocation). GPOD könnte als Raum historischer Bedeutung gesehen werden, wenn es gelingt, in der näheren Zukunft einen alternativen kulturellen Raum mit geplanten Aktivitäten und Inhalten zu füllen. Es wäre der erste derartige Ort in Osaka, ein Raum, der physisch die Struktur, das Modell und das Paradigma des Öffentlichen Raums in die reale urbane Struktur Osakas zurückverlagert.

Das Projekt "Scanning Osaka" von IMI AIR zeigte, daß eine neue Generation von Künstlern, Schreibern und Aktivisten in Japan eine klare Vorstellung davon hat, wie eine kritische Verlagerung innerhalb der dislozierten Stadträume initiiert werden kann.

Die Artikulation des dislozierten Raums von Osaka durch zwei klar ausgearbeitete Kunstprojekte ist ein erster Schritt hin zu einer kritischen Interpretation des Lebensraums Osaka - urbanistisch, geistig, historisch. Das Ziel ist, einen neuen Öffentlichen Raum wiederzugewinnen, ebenso wie Geschichte und Erinnerung.

Nicht zuletzt war das Projekt daran beteiligt, einen wirklichen öffentlichen Raum in Osaka zu schaffen.

IMI AIR Projekte