Schachmatt

Seite 2: Regiefehler

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Sofort nach den Schüssen war ein Fahndungsaufruf nach Oswald durchgegeben worden. Die Quelle dieser auffällig frühen Personenbeschreibung ist bis heute unbekannt. Doch offenbar lief beim Cover Up etwas schief. Der Statist wider Willen Oswald war nicht bei seiner Festnahme erledigt worden, sondern verließ das Schulbuchlager unbehelligt. Bei seiner später unter ominösen Umständen erfolgten Festnahme in einem Kino, der ein seltsam motivloser Mord am Streifenpolizisten J.D. Tippit vorausgegangen war, lieferte Oswald den Polizisten keinen Vorwand für einen Schusswechsel.

Inzwischen hatte sich Allen Dulles persönlich in ein militärisches Sperrgebiet nach Camp Peary begeben, das die CIA als geheimen Kommandostützpunkt nutzte. Was der pensionierte CIA-Chef auf dem in der Geheimdienst-Folklore als "Die Farm" bekannten Gelände zu suchen hatte, ist unklar. Dulles verließ es allerdings erst wieder, als der Mafioso Jack Ruby in plumper Manier Oswald zum Schweigen brachte, wenn auch ohne schlüssiges Motiv. Als Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft durfte Ruby einen Mordauftrag nicht ablehnen, selbst wenn dies die sichere Haft oder den eigenen Tod bedeutete. Tatsächlich wurde berichtet, dass Ruby vor dem Mord einen geheimnisvollen Anruf erhielt, der ihm sichtlich aufs Gemüt schlug. Jahre nach dem Attentat bot er vergeblich an, zu reden, allerdings nicht auf Territorium der Südstaaten. Aufgrund seiner Krebserkrankung war Ruby ein Zeuge, der absehbar von selbst verschwinden würde.

Die Kontaktpflege zur Mafia war nun einmal William King Harveys Aufgabe. Als 1975 Harveys Ansprechpartner Sam Giancana wegen des Attentats aussagen sollte, wurde er von Kugeln durchsiebt. Johnny Roselli machte vor der Church-Kommission Aussagen. Als er auch zum Kennedy-Mord befragt werden sollte, fand man seine zerhackte Leiche in einem Faß im Meer treibend - eine für die Mafia untypische Form der Exekution. Im Bonanno-Clan will man wissen, Roselli sei einer der Schützen gewesen.

Cover Up

Allen Dulles ließ sich von Johnson in die Warren-Kommission bugsieren, die er dominierte und manipulierte. Insbesondere verhinderte er jegliche Untersuchung in Richtung CIA, die Harvey hätte in Verlegenheit bringen können. Die offensichtlichen Schwächen des Warren-Reports wurden von den US-Medien eisern ignoriert, die Dulles stets im Griff hatte. Um Zweifler als lächerlich zu brandmarken empfahl die CIA-Abteilung für psychologische Kriegsführung 1967 in einem Memo hierzu den eigens entwickelten Begriff "Conspiracy Theorist" (Verschwörungstheoretiker).

Eine aufgetauchte Filmaufnahme des Kaufmanns Abraham Zapruder, die nicht zum Alleintäter Oswald passte, zog TimeLife-Verleger Henry Luce durch Kauf von Filmrechten und Original aus dem Verkehr. Luce, ein Förderer des italienischen Faschismus, der noch 1938 Hitler zum "Mann des Jahres" ausgerufen hatte, war ein enger Freund von Allen Dulles, ließ ihn sogar seine Frau Clare Boothe Luce vögeln. Im Gegenzug lieh der CIA-Chef dem Verleger seine Dauergeliebte Mary-Anne Bancroft. Zudem war Luce ein einflussreiches Mitglied der Studentenverbindung Scull&Bones, welcher der Nazibankier und Dulles-Mandant Prescott Sheldon Bush vorstand. Der Zapruderfilm gelangte erst 1975 in die Medienöffentlichkeit, als das Mordprogramm der CIA publik wurde.

Gladio

Als Harveys Stellvertreter in Rom, F. Mark Wyatt, seinen Chef beim Ausnüchtern weckte und vom Attentat in Dallas berichtete, kamen Harvey nur verächtliche Worte über die Lippen. Wyatt hatte erstmals 1998 über Harveys geheimnisvolle Reise nach Texas im November 1963 berichtet.

Die von Kennedy protegierte Annäherung der Christdemokraten endete mit dessen Tod ebenfalls. General Giovanni die Lorenzo, vormals Leiter des Militärgeheimdienstes und der Carabinieri, drohte Staatschef Nenni mit einem Putsch, falls der Kurs nicht revidiert werde. Als CIA-Stationschef in Rom empfahl William King Harvey 1964 den italienischen Militärgeheimdienstler Renzo Rocca, der selbst über bewaffnete Handlanger verfügte, zum Kontaktmann für das Gladio-Netzwerk. Rocca sollte terroristische Attentate auf Politiker der Christdemokraten verüben, um diese den italienischen Kommunisten in die Schuhe zu schieben.

Wyatt berichtete entsetzt von Plänen Harveys, Mafiakiller für Mordaufträge an Linken anzuheuern. Als er einmal protestierte, hätte Harvey eine Waffe auf ihn gerichtet. Wyatt beantragte sein eigene Versetzung und beschwerte sich bei Vorgesetzten, doch Harvey schützte eine unsichtbare Hand

In den 1970er Jahren wurden Pläne im Stile Harveys in die Tat umgesetzt, etwa der scheinbar von linken Terroristen verübte Mord an Aldo Moro oder der blutige Bombenanschlag auf den Bahnhof in Bologna, die tatsächlich Rechtsterroristen zu verantworten haten.

Die erhoffte Mitwirkung an verdeckten Operationen in Laos blieb dem nach Europa abgeschobenen Harvey verwehrt. Der "amerikanische James Bond" Harvey eiferte dem literarischen Geheimagenten nicht nur bei der Lizenz zum Töten nach, sondern bewies auch große Kompetenz im Konsum alkoholischer Getränke. Nachdem letzteres seiner Gesundheit zusetzte, kehrte er aus Rom ins CIA-Hauptquartier in Washington zurück, wo er der einstige Held des Berliner Spionagetunnels wieder die Abhörabteilung leitete, bis er 1969 in den Ruhestand ging.

Church-Kommission

Nachdem politische Ausschüsse wie die Warren-Kommission und die Rockefeller-Kommission das Kennedy-Attentat mit Scheuklappen "untersuchten", nahm sich Senator Frank Church 1975 die CIA vor. Church zitierte hochrangige Personen in den Zeugenstand, darunter CIA-Chef Richard Helms, der dunkelsten Geheimnisse des inzwischen verstorbenen Dulles wahrte und lieber den Hut nahm, als sein Schweigen zu brechen.

Den Ermittlern des Church-Komitees galt Harvey als Hauptverdächtiger des Kennedy-Attentats. Der bestand darauf, nie etwas getan zu haben, das nicht autorisiert oder zügellos gewesen sei. Tatsächlich spricht alles dafür, dass der Haudegen stets nach den Vorgaben seiner Vorgesetzten handelte, zu denen er wohl Dulles auch nach dessen Demission zählte. Damit hatte Harvey klar signalisiert, dass eine weitere Untersuchung das politische Washington mitreißen würde, das die Beseitigung Kennedys gebilligt hatte. Wie schon bei der Untersuchung des vereitelten Putsches durch die American Liberty League 1933 gab man der Staatsraison den Vorzug.

Weitere Befragungen waren nicht mehr möglich, da Harvey bald nach seiner Aussage an Herzversagen starb. Dieses Leiden dürfte dem schlechten Gesundheitszustand des in die Jahre gekommenen Alkoholikers geschuldet sein. Ironischerweise war "Herzversagen" allerdings auch die scheinbare Todesursache eines damals nicht nachweisbaren Giftes, das die CIA mit einer speziellen Pistole in sich auflösenden Eisprojektilen verschießen konnte. Ob diese unheimliche Waffe jemals eingesetzt wurde, ist nicht bekannt.