Schäbiger Empörungswettbewerb um Klimaproteste und Verkehrsunfälle
Seite 2: Schneller Ausbau sicherer Radwege wäre logische Konsequenz
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- Schneller Ausbau sicherer Radwege wäre logische Konsequenz
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Geht es um die arme Radfahrerin, die vom Betonmischer überfahren wurde, dann müsste der Ruf nach einem schnelleren Ausbau von Radwegen die logische Folge sein. Dann müssten auf Berliner Landesebene die Oppositionsparteien CDU und FDP, die grüne Verkehrssenatorin, ob des mangelnden Ausbaus anzählen, die SPD-Innensenatorin ob mangelnder Durchsetzungsschärfe der Verkehrsregeln bei den gefährdenderen Verkehrsteilnehmern wie Lkw-, Betonmischer- oder Lieferfahrern.
Oder den parteilosen Wirtschaftssenator wegen mangelnder Aufsicht von Straßengüterverkehrsunternehmen mit ihren zu engen, zu stressigen, fast nicht einhaltbaren Dienstplänen: Streng genommen stellt sich sogar auch die Frage nach der deren genereller Eignung zur Führung von Straßenverkehrsunternehmen. Aber auch die Regierungsfraktionen müssten untereinander diese Diskussion führen, ginge es ihnen darum. Auch das unterbleibt.
Geht es um den potentiellen Todesfall und um die zahlreichen anderen fahrlässigen Tötungen, müsste sich die Diskussion noch viel mehr um Straftaten im Verkehrsbereich, um verharmlosende Gerichtsurteile, um eine Verschärfung der Verkehrsregeln und eine Abbremsung des Verkehrs auf sichere Geschwindigkeitsniveaus drehen. Aber auch diese Diskussion führt kaum einer derjenigen, die sich nun in Reflexen ergehen.
Müsste jeder mögliche Grund für einen Stau kriminalisiert werden?
Geht es um die Staus, dann müsste jede "Verkehrshäufung", jede Baustelle kriminalisiert werden – oder man macht sich systematisch Gedanken, wie man Millionen Autofahrer, die alleine in ihrem Pkw sitzen, dazu bringt, auf Bus und Bahn, Mitfahrgemeinschaften oder das Fahrrad umzusteigen – oder wie in Corona-Zeiten nach Möglichkeit gleich ganz zu Hause bleiben, mit den entsprechenden Konsequenzen der Umschichtung der Mittel für den Autobahn- und Straßenbau auf den öffentlichen Verkehr.
Aber um all diese Dinge geht es nicht: Die Nicht-Aussprache der oben aufgezeigten verkehrspolitischen Konsequenzen demaskiert die Heuchelei rund um die Klimaproteste. Dann soll man wenigsten so ehrlich sein und seine klimapolitische Untätigkeit klar ausdrücken und jedem Wähler und Wählerin klar machen, dass mit der eigenen Partei die Einhaltung der Pariser Klimaziele nicht zu machen sei.
Als ehemaliger Greenpeace-Campaigner und , als Fahrrad-Aktivist, der ich zig Aktionen im öffentlichen Straßenraum für den Strafrechtsparagraphen 315d gegen illegale Autorennen, gegen lächerliche Gerichtsurteile bei fahrlässigen Tötungen mit dem Auto oder für die Erhöhung der Bußgelder für Falschparker durchgeführt habe, kann ich aus professioneller Sicht "leider" nur konstatieren, dass gemäß den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie diese die Strategie der Protestgruppen aufgehen wird.
Und dennoch kann ich die Wut der Autofahrer verstehen, nicht nur im täglichen Zuviel an Autos, Stau genannt, festzusitzen, sondern nun auch noch für zusätzliche Stunden blockiert, in "Geiselhaft" für klimapolitische Untätigkeit genommen zu werden. Ich wünschte so manches Mal, dass die Klimabewegung strategischer wird, zuhauf in Parteien eintritt, Ausbildungen als Energiehandwerker macht, konkrete Einsparprojekte im eigenen Umfeld, beim Arbeitgeber, der eigenen Stadt mit umsetzt.
Ich wünschte mir mehr Aktivisten, die sich den Mühen des Klein-Kleins unterziehen und schauen, wo und woran es bei Energiewende genau hakt, die besser recherchieren, die noch mehr wirksame NGOs gründen oder überzeugender mit den (Fach)-Politkern ins Gespräch kommen, die Fakten besser beherrschen und gewinnbringender für unser aller Anliegen werben.
Den Klimaschutz "den Profis" überlassen – so hat es der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) noch 2019 die großen Klimaproteste arroganter Weise abtropfen lassen. Daran müssen sich Lindner, die Regierungsmannschaft, die 736 Bundestagsabgeordnete und deren Büroteams nun eben messen lassen.
Arbeitsverweigerung in Ministerien, Ignoranz gegenüber NGOs
Wie kann es sein, dass die 10.000 von unseren Steuergeldern bezahlte Mitarbeiter im Bundeswirtschafts-, umwelt-, landwirtschafts-, innen- und -verkehrsministerium samt Kanzler- und Umweltbundesamt die Arbeit verweigern, während die einzigen Studien, wie Deutschland seinen fairen Anteil an den international vereinbarten Klimazielen einhalten kann (was Klimaneutralität bis 2035 bedeuten würde), von spendenfinanzierten NGOs wie EnergieWatchGroup, GermanZero oder Fridays for Future erarbeitet werden? Und dann noch nicht mal aufgegriffen werden?
Wie kann es sein, dass junge Menschen – und auch zunehmend ältere aus der Mitte der Gesellschaft – auf diese Arbeitsverweigerung aufmerksam machen müssen, in dem sie sich auf die Fahrbahn kleben? Wenn Autofahrer auf jemand wütend sein können, dann doch bitte auf die Arbeitsverweigerung der Bundesregierung und unserer Berufspolitiker, höchstrichterlich vom höchsten Gericht unseres Landes attestiert.
Wünschen würde ich mir, dass die Legislative Gesetze schreibt, entwirft, verabschiedet, die der Einhaltung des selbst gesetzten und ratifizierten Pariser Klimaziels dienen und sie sicherstellen, dass die Exekutive mit der Umsetzung dessen beauftragt wird, dass im Sinne der Gewaltenteilung nicht das Bundesverfassungsgericht die Untätigkeit und Unzulänglichkeit rügen muss.
Selbst habe ich diverse Klima-NGOs wie Changing Cities, GermanZero und KlimaUnion gegründet, um im Rahmen von Gesetz und Ordnung für Veränderungen zu sorgen. Und kann leider nur feststellen, dass dies alles zu wenig fruchtet, dass unser Staat, unsere Demokratie, unsere Politiker und Parteien die Legitimität verlieren, uns als Bürger zu schützen, vor den wissenschaftlich festgestellten drohenden Katastrophen.
Das Grundgesetz kennt in Paragraph 20a, Absatz 4 das Widerstandsrecht. Es ist für den Ausnahme- und Notfall gemacht, "wenn andere Abhilfe nicht möglich ist" und wird auch nur dann wirksam – so steht es im Webarchiv auf den Seiten des Deutschen Bundestages.
Tatsächlich legitimiert es demnach nicht generell den zivilen Ungehorsam: "Doch solange "Konflikte noch in zivilen Formen" ausgetragen werden können, das demokratische System intakt ist und solange "friedlicher Protest noch Gehör" finden kann, dürften sich Bürger nicht auf dieses Widerstandsrecht berufen.
So wie der UN-Generalsekretär das Versagen der Klimapolitik anprangerte, stellt sich die Frage nach dem "intakten" demokratischen System. Die Legitimität unserer Demokratie steht zur Diskussion – nicht durch angeblich "kriminelle", "terroristische" Proteste, sondern durch die klimapolitische Trägheit von Exekutive und Legislative, durch die "Arbeitsverweigerung" demokratischer Institutionen angesichts der Größe der Aufgabe.
Es wäre wünschenswert, wenn die Legitimität nicht auf der Straße ausgehandelt werden müsste, sondern in bester staatstragender, parteiübergreifender Haltung schnell, forciert und wirksam für die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits gehandelt würde. "Dem deutschen Volke" – so steht es am Reichstag in großen Lettern. Was hält uns davon ab, diesem großen Konsens entsprechend zu handeln, statt heuchlerisch bis schäbig auf die Klimaproteste auf der Autobahn zu reagieren?
Ich wünschte mir, dass Gesetz und Ordnung mehr eingehalten würden. Der Pariser Klimavertrag und das Bundesverfassungsgericht hat dazu genügend eindeutige Hinweise gegeben.
Heinrich Strößenreuther ist Klima- und Verkehrslobbyist, NGO-Gründer und CDU-Mitglied
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