Scheckheftpolitik an den Hochschulen

"Sind Studiengebühren vernünftig?", fragte das Bundesverfassungsgericht bei seiner Urteilsverkündung und kippte das Verbot

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Was lang währt, wurde endlich klar. Der jüngste Richterspruch des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) macht den Weg für allgemeine Studiengebühren frei. Der lange Kampf der Befürworter hat sich gelohnt. Gegen das Bundesgesetz zum Verbot von Studiengebühren für ein berufsbefähigendes Erststudium haben sechs Unionsgeführte Länderregierungen geklagt und nun gewonnen (siehe auch: Bundesverfassungsgericht kippt Studiengebührenverbot). "Derzeit" war das Lieblingswort der Karlsruher Richter. Obwohl mit dem Urteil dem Bund die Zuständigkeit in Sachen Studiengebühren entzogen wurde, stand die hoheitliche Aufgabe der Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet im Mittelpunkt. Indirekt wurde deshalb eine einheitliche Regelung angemahnt, aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Dass diese im heutigen Urteil keine größere Rolle gespielt hat, geht auf mangelnde Erfahrungswerte zurück: Fast alle von der Bundesregierung geschilderten Probleme und Gefahren im Zusammenhang mit Studiengebühren können erst dann verhandelt werden, wenn sie tatsächlich eingetreten sind, denn erst dann werden sie auch zum Problem. Würden sich Probleme wie etwa studentische Wanderungsbewegungen in Richtung von kostenfreien Universitäten verschärfen, was derzeit noch nicht abzusehen sei, dann stehe immer noch die Frage im Raum, ob das BVG überhaupt für diese Art von Problemlösung zuständig ist. Dieser Strohhalm wir den Gegnern von Studiengebühren nicht von Nutzen sein, die weitere Verteuerung des Studiums wird nicht lange auf sich warten lassen.

Die Erosion des gebührenfreien Studiums begann vor Jahren mit der Einführung von Abgaben für Langzeitstudenten, dem kostenpflichtigen Zweitstudium, und der Erhebung allgemeiner Verwaltungs- oder Rückmeldegebühren, über deren Rechtmäßigkeit immer noch vor Gerichten verhandelt wird. Analog dazu haben sich die Argumente im Laufe der Zeit gewandelt: Zuerst waren angeblich jene zu teuer, die zu lange studierten; dann die, welche einen zweiten Abschluss haben wollten (oder mussten); zum Schluss waren es plötzlich alle Studenten, was folgerichtig Studiengebühren ab dem ersten Semester bedeutet. Die Gewinnerseite, zu der Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Saarland und Hamburg gehören, möchte nun so schnell wie möglich Studiengebühren erheben.

Viele Modelle für die Erhebung von Studiengebühren

Seit langem schon sitzen Experten aller politischen Schattierungen in den Startlöchern, um nach dem heutigen Startschuss ihr Programm als das beste zu präsentieren. Die Auswahl ist groß. Trotz der Vielfalt im Detail lassen sich einige evidente Strömungen herauskristallisieren. Insbesondere zwischen den zwei großen Volksparteien gibt es Unterschiede. Das wahrscheinlichste Modell aus dem Lager der derzeit sozialdemokratisch regierten Bundesländer ist das Studienkonten-Modell. Dabei bekommt jeder Student ein bestimmtes Kontoguthaben in Form von Semesterwochenstunden bzw. Kreditpunkten, welche er gegen Lehrveranstaltungen eintauschen kann. Ist das Guthaben erschöpft, muss bezahlt werden. Ziel ist es, das Erststudium gebührenfrei zu halten.

Die Unionsländer sehen in ihrem Modell von "sozialverträglichen Studiengebühren" einen Betrag von ca. 500 Euro ab dem ersten Semester vor. Die Sozialverträglichkeit dieses Modells ergibt sich nach ihrer Meinung aus der Möglichkeit der Darlehensaufnahme, wenn man den Betrag nicht gleich aufbringen kann. Nach dem Berufseintritt soll das Darlehen dann zurück bezahlt werden. "Nachlaufende Studiengebühren" lautet also die Zauberformel, die sich wohl im bürgerlichen Unionslager durchsetzen wird. Generell stellen die 500 Euro allerdings keine Grenze nach oben dar.

Grundsätzliche Ablehnung erfahren die neuen Modelle der Hochschulfinanzierung nicht mehr, jedenfalls außerhalb der Studierendenschaft. Manch ein Argument mutet allerdings doch etwas seltsam an. Von der Spitze der Hochschulrektorenkonferenz kam der Vorschlag zur Einführung von Studiengebühren zwischen 1.000 bis 6.000 Euro pro Semester. Die Logik: Alle Studierenden hätten Autos und Handys, und aufgrund dieses ausschweifenden Luxuslebens kämen auch Studiengebühren in Frage. Der Deutsche Hochschulverband (die Berufsvertretung der Hochschulprofessoren) dagegen schlägt ein Finanzierungsmodell vor, das sich an dem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks orientiert. Damit solle vor allem die Planungssicherheit für die Hochschulen verbessert werden. Dieser Vorschlag ist kaum in die öffentliche Diskussion eingeflossen.

Die ungewöhnlichste Alternative zur Verbesserung der Bildungs- und Hochschulsituation kommt vom FDP-Vorstandmitglied Daniel Bahr. Der hatte kürzlich in bester Darwinscher Manier die Kinderarmut von Akademikerinnen angeprangert, deren Ursachen er in falschen Anreizen durch die Umwelt ausgemacht haben will. Steuerliche Vergünstigungen für Akademikerinnen sollen seiner Meinung nach dafür sorgen, dass wieder die Richtigen mehr Kinder bekommen. "In Deutschland bekommen die Falschen die Kinder", sagte Bahr, und meinte damit die sozial Schwachen. Da der Bildungserfolg laut PISA stark vom Bildungsniveau der Eltern abhängt, wäre ein besseres Abschneiden Deutschlands bei den internationalen Schultests durch das vermehrte Kinderbekommen von Hochschulabsolventinnen wünschenswert. Durchsetzen wird er sich damit allerdings kaum: Von Parteifreunden wurde geäußert, die Aussagen seinen diejenigen eines "geistig Verwirrten".

Elitär gedacht: Bildung als Bürgerrecht?

Es verwundert nicht, dass das Urteil in jenen Bundesländern am meisten Freude auslöst, in denen hartnäckig am Dreigegliederten Schulsystem von Hauptschule, Realschule und Gymnasium festgehalten wird. Bezieht man das aktuelle Urteil in die allgemeine Bildungsdiskussion mit ein, so haben sich die Verfechter einer "neuen" Elitenkultur durchgesetzt. Aber die Entwicklung kommt einem Rückschritt gleich. Oder ist sie nur Ausdruck der gesellschaftlichen Realitäten?

Gerade die wirtschaftlich prosperierenden Bundesländer brauchen nicht mehr Akademiker als die Hochschulen heute schon hergeben. In den Vorzeigebranchen der Bundesrepublik, im Automobil- und Maschinenbau sowie im Handwerk, werden überwiegend Facharbeiter benötigt. Diese kommen hauptsächlich von den Haupt- und Realschulen und werden gegebenenfalls nach dem Fachabitur an einer Fachhochschule studieren. Zu Problemen kommt es hierbei nur, wenn, wie es häufig geschieht, die Politik die Hauptschule zu einer Restschule verkommen lässt. Die zugeteilten Mittel an die jeweilige Schulform sprechen hier Bände.

Auch die frühe Selektion der Kinder wird von einer Mehrzahl der Experten heute als schädlich für alle bewertet. Der Vater des mobilen Zeitalters, Henry Ford, sagte einmal: "Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt nicht im Forschungslabor, sie beginnt im Klassenzimmer." Zu dieser wahren Erkenntnis werden auch Studiengebühren niemanden bringen, die Folgen für andere Ausbildungsarten wurden bislang überhaupt noch nicht diskutiert.

Auch wenn das Gesetz von Bundesbildungsministerin Bulmahn (SPD) nun vom politischen Gegner vor dem BVG gekippt wurde: Da Kinder bildungsferner Schichten so oder so kaum an den Hochschulen studieren, betrifft die Änderung sie nur marginal. Angesichts der zu vernachlässigenden Kohorte klassischer SPD-Klientel an den Hochschulen, die Bildungsexpansion der 70er Jahre hat hier kläglich versagt, bräuchte sie sich nicht zu grämen. Welche bildungspolitischen Schlüsse können heute noch daraus gezogen werden? War das alles am Ende nur ein Rückzugsgefecht, scheinbar gefochten für diejenigen, die noch nicht begriffen haben, dass die "Neue Mitte" längst an den Universitäten angekommen ist?

Die starke Rhetorik ist plötzlich verstummt - seltsam genug. Angesichts dieser Sprachlosigkeit wagt man im 1-Euro-Job-Zeitalter kaum noch auf die hohe Forschungsrelevanz der Informations- und Kommunikationsindustrie hinzuweisen. Diese benötigten eigentlich mehr Akademiker, denn das entscheidende Differenzierungsmerkmal zu den klassischen Industrien ist der höhere Etat bei Forschung und Entwicklung.

Lösen Studiengebühren die Probleme der Hochschulen?

Der momentane strukturpolitische Doppelschlag an den Hochschulen ist auch ein weiterer Rückschlag für all jene, die "Bildung als Bürgerrecht" (Lord Ralf Dahrendorf) definieren: Die Hochschulmisere wird im Zusammenspiel von Bildungsgebühren und Strukturreformen (Bachelor- und Master) gelöst, die Selektion noch stärker mit der finanziellen Potenz der Studierenden bzw. deren Eltern geregelt werden. Dazu gehören auch Themen wie steigende Kindergartengebühren und die partielle Abschaffung der Lehrmittelfreiheit. Von den teueren, aber boomenden Privatschulen einmal abgesehen, käme den Hochschulen in der Wissensgesellschaft eigentlich eine besondere Bedeutung zu. Ob Studiengebühren in diesem System ein mehr an Gerechtigkeit bringen, wie oft behauptet wird, ist zweifelhaft.

Und ob die Hochschulen von den Studiengebühren profitieren werden ist ebenso ungewiss. Die Verwendung der Einnahmen obliegt der Politik, und schon heute versickern Langzeitstudiengebühren in den Finanzlöchern der Länderhaushalte. Allenfalls zweifelhaft bleibt die Qualitätsverbesserung: Studierende haben keine Möglichkeit eines einklagbaren Anspruchs auf bestimmte Qualitätsstandards. Sie können nur die Hochschule wechseln. Es ist zu befürchten, dass der Finanzbeitrag der Studenten zur Verbesserung der Hochschulen in Form von Studiengebühren nur eine zusätzliche Belastung der Studierenden darstellt, die grundsätzlichen Probleme des Systems aber genauso wenig löst, wie die 1,1 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen des Gesundheitswesens durch die Praxisgebühr.