Schein der Rechtsstaatlichkeit
Bin-Laden-"Fahrer" Salem Achmed Hamdan wegen "Unterstützung des Terrorismus von US-Militärtribunal zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Washington lobt Urteil als "fair und angemessen"
Einmal mehr konnte man sich im Weißen Haus die Hände reiben. Nach dreitägigen Beratungen befand die Geschworenen-Jury im Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba – sie besteht aus sechs US-Offizieren, deren Namen geheim blieben – Salem Achmed Hamdan, den früheren „Fahrer“ von Osama Bin Laden, für schuldig, „wesentliche Unterstützung für den Terrorismus“ geleistet zu haben. Hamdan war Ende 2001 an einer Straßensperre in Afghanistan gefasst worden und als einer der ersten Häftlinge in das Gefangenlager auf der US-Militärbasis Guantánamo auf Kuba gebracht worden, das die amerikanische Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingerichtet hatte (Der Schatten der Diktatur).
In diesem Punkt folgte das Militärgericht dem Argument der Anklage. Allerdings sah die Jury den Vorwurf der Anklage nicht als erwiesen an, dass der 37-Jährige an der Planung oder Ausführung von Attentaten beteiligt war, weshalb sie ihn vom schwerwiegenderen Vorwurf der „Verschwörung“ freisprach. Die Militärjury blieb mit ihrem Urteilsspruch am Donnerstag daher deutlich unter dem Antrag der Anklage, die ein Strafmaß von mindestens 30 Jahren für den Jemeniten gefordert hatte. Hamdan würden zudem 61 Monate Gefangenschaft auf die Strafe angerechnet. Unter Anrechnung seiner bisherigen Gefangenschaft liege die Strafe für Salem Hamdan damit bei fünf Monaten, sagte Richter Keith Allred.
Allerdings erklärte das Pentagon, Hamdan werde nach der Verbüßung seiner Haft wieder als „feindlicher Kämpfer“ eingestuft und nicht freigelassen. Sein Status werde jährlich von einem Gremium überprüft. Pentagon-Sprecher Geoff Morrell ließ durchblicken, dass Hamdan möglicherweise sogar nie freigelassen wird. „Es gibt einen beträchtlichen Anteil von Gefangenen in Guantánamo, die wahrscheinlich nie freigelassen werden, weil sie eine Gefahr für die Welt darstellen“, sagte er. Dies könne auch für Hamdan gelten. Selbst bei einem Freispruch könnten einzelne Terrorverdächtige bis auf weiteres als „feindliche Kämpfer“ in US-Obhut festgehalten werden, so Morrell weiter. Erst im vergangenen Monat hatte ein US-Berufungsgericht der US-Regierung das Recht zugesprochen, dass es den als „feindlichen Kämpfer“ eingestuften katarischen Staatsbürger Ali Saleh Kahlah al-Marri ohne Anklage oder Gerichtsverfahren auf unbegrenzte Zeit festhalten darf (Guantanamo: Auch bei Freispruch unbegrenzte Haft).
Freigesprochen vom Vorwurf der Verschwörung
Hamdan wurde wegen Unterstützung von Terrorismus in fünf von acht Anklagepunkten schuldig gesprochen. Die Geschworenen folgten damit der Darstellung der Militärstaatsanwälte, dass Hamdan Terroristen Hilfe geleistet habe, indem er in Afghanistan Mitglied von Al Qaida geworden sei und Osama Bin Ladin als Fahrer und bewaffneter Leibwächter gedient habe. Der Angeklagte habe gewusst, dass Al Qaida eine Terrororganisation sei. Hamdans Verteidiger argumentierten demgegenüber, ihr Mandat sei lediglich einer von vielen Mitarbeitern im „Fuhrpark“ Bin Ladens gewesen, der das Geld zur Bestreitung seines und seiner Familie Lebensunterhalt benötigt habe. Auch widersprach Hamdam der Aussage eines Ermittlers aus dem US-Verteidigungsministerium, wonach er einen Eid auf Bin Laden geschworen haben soll.
Freigesprochen wurde der Jemenit hingegen von dem Vorwurf, er habe sich auch deshalb wegen Unterstützung von Terrorismus schuldig gemacht, weil er Boden-Luft-Raketen für Al Qaida transportiert habe und weil er gewusst habe, dass seine Dienste für terroristische Zwecke benutzt würden. Ferner wurde Hamdan vom Vorwurf der Verschwörung mit Al Qaida zu Angriffen auf die Vereinigten Staaten freigesprochen. Für diese zu offensichtlich konstruierten Vorwürfe war die Anklage selbst den Schatten eines Beweises schuldig geblieben, hätte sie hierfür doch zumindest den Nachweis führen müssen, dass Hamdan die Absicht gehabt hatte, Terrorakte zu unterstützen. Hamdans Verteidiger hatten von Anfang an vehement bestritten, dass ihr Mandant in die Planung oder Ausführung von Terrorattentaten verwickelt war.
Trügerischer Schein von Rechtsstaatlichkeit
Der Chefankläger Army-Oberst Lawrence Morris zeigte sich „völlig zufrieden“ mit dem Urteil. „Im Wesentlichen“ sei damit die Fairness und Gerechtigkeit des Tribunalsystems bestätigt worden. Morris hatte diesen Posten übernommen, nachdem sein Vorgänger, der Oberst der Air Force Morris Davis, sein Amt wegen mangelnder Fairness des Verfahrens am 4. Oktober 2007 niedergelegt hatte. Morris hatte unter anderem beklagt, Vorgesetzte hätten ihm gegenüber deutlich gemacht, dass sie bei den Guántanamo-Verfahren Verurteilungen und keine Freisprüche erwarteten. In der Los Angeles Times schrieb Davis im Dezember 2007, er sei „zu der Erkenntnis gelangt, dass ein korrektes (full), faires und offenes Verfahren unter dem gegenwärtigen System nicht möglich ist“.
Die Verteidiger wiesen die Einschätzung der Anklage zurück, lobten aber die sechs Offiziere – fünf Männer und eine Frau – , die über Hamdans Schuld zu befinden hatten. Es sei „höchst bedeutsam“, dass die Geschworenen die Verschwörungstheorie der Militärstaatsanwaltschaft zurückgewiesen hätten“, sagte einer der Anwälte Hamdans. Der vom Militär bestellte Hauptverteidiger erinnerte zudem daran, dass die Anklagepunkte, in denen Hamdan schuldig gesprochen wurde, erst später hinzugefügt worden seien.
Bereits zum Prozessauftakt hatte Hamdan auf nicht schuldig plädiert und damit auf die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung zwischen Verteidigung und Anklage verzichtet. Voraussetzung dafür wäre ein Geständnis gewesen, wie es die US-Behörden dem im März 2007 ebenfalls von einer Militärkommission verurteilten Australier David Hicks nach jahrelanger Einkerkerung, darunter acht Monaten absoluter Isolation, Misshandlung und Folterung, schließlich abgerungen hatten.
Von Beginn an spottete das Verfahren gegen Hamdan selbst minimalen rechtsstaatlichen und demokratischen Standards. Die Jury war geheim, die Verhandlungen in Guantánamo Bay fanden im Wesentlichen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, verfolgt lediglich von einer Handvoll ausgewählter Medienvertreter. Viele Zeugenaussagen wurden im Geheimen abgelegt, wobei vier Zeugen anonym blieben und zwei weitere, offenbar Mitglieder der Special Forces, ihre Aussage unter Abwesenheit der Prozessbeobachter ablegten. Die Erwähnung der CIA war mit einem Tabu belegt, was auch für die vier CIA-Agenten gilt, die an Hamdans Verhaftung, Befragung und Folterung und schließlichen Überführung nach Guantánamo beteiligt waren. Der Vorsitzende Militärrichter Navy-Kapitän Keith Allred entschied, dass grundlegende demokratische Rechte für Hamdan nicht gälten, darunter das Recht, mit seinen Belastungszeugen konfrontiert sowie nicht zu Aussagen gegen sich selbst gezwungen zu werden.
Obwohl er zunächst Beweismittel gegen den Angeklagten zurückgewiesen hatte, weil dieser in Afghanistan nach seiner Festnahme „höchst zwanghaften“ Bedingungen unterworfen gewesen sei, ließ er trotz des Protestes des Angeklagten dann doch zwei Videos mit den ersten Verhören Hamdans zu, die Ende 2001 kurz nach seiner Festnahme in Afghanistan stattgefunden hatten. Zugleich erlaubte Allred der Anklage, Aussagen zu verwenden, die Hamdan in Guantánamo gemacht hat, obwohl diese Hamdans Verteidigern zufolge unter Zwang wie Schlafentzug und Einzelhaft zustande gekommen waren. Im Rahmen einer Anhörung vor dem eigentlichen Verfahren hatte Hamdan bereits Mitte Juli 2008 vor dem Militärgericht über Folterungen und Misshandlungen während seiner Haft, u.a. systematischen Schlafentzug, Isolationshaft und Schläge, ausgesagt.
Nach dem Urteil gegen Hamdan dürften die Schauprozesse gegen die angeblichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001, darunter den zum „Mastermind“ aufgebauten Khaled Scheich Mohammed, ihren von der Bush-Regierung geplanten Lauf nehmen. Galt das Verfahren gegen Hamdan doch als eine Art Lackmustest für die Tribunale gegen die so genannten „Gitmo Five“ sowie weitere 15 Guantánamo-Häftlinge. Deren Beginn ist noch vor den Präsidentschaftswahlen am 4. November zu erwarten. Damit könnte die öffentliche Aufmerksamkeit erneut auf den „Krieg gegen den Terror“ gelenkt werden, was erfahrungsgemäß den republikanischen Kandidaten zugute käme.
Das Urteil hat darüber hinaus symbolische Bedeutung, triumphiert mit ihm doch die von der Bush-Regierung etablierte Willkürjustiz erneut über die Reste amerikanischer Rechtsstaatlichkeit. Hamdans Name wurde zum Symbol für den juristischen Kampf gegen diese Willkürjustiz. Im Juni 2006 hatten seine Verteidiger einen weltweit beachteten Sieg gegen die Regierung erzielt, als der Supreme Court in Washington das System der Militärkommissionen für verfassungswidrig erklärte. Doch das Urteil war inkonsequent und machte es der Bush-Regierung leicht, es mit einem neuen Gesetz zu unterlaufen, das den Bedenken des Obersten US-Gerichts scheinbar Rechnung trug, und das der Kongress im Oktober 2006 verabschiedete.
Sowohl der Republikaner John McCain als auch sein demokratischer Rivale um das US-Präsidentenamt Barack Obama begrüßten das Urteil und bemängelten lediglich die langen Verzögerungen im Verfahren. Bezeichnender Weise enthielt sich Obama jeder konkreten Kritik an der von der Bush-Regierung geschaffenen Willkürjustiz. McCains demokratischer Konkurrent Barack Obama sprach dagegen von „gefährlichen Mängeln“ im „gesetzlichen Rahmenwerk“, schwadronierte dann aber darüber, dass es an der Zeit sei (it is long past time) „Osama Bin Laden und die Terroristen gefangen zu nehmen oder zu töten, die annährend 3.000 Amerikaner ermordet haben”. Damit empfahl sich der Mann mit dem „sympathischen Lächeln“ der herrschenden Klasse Amerikas aufs Neue als treuer und rücksichtsloser Sachwalter ihrer Interessen.