Schlüssel zu 200 Millionen Dollar im Rucksack
Irak: Die Hälfte des Verteidigungsbudgets des letzten Jahres wurde "vergeudet"
Menschen, die es wie Rechnungsprüfer vor allem mit Zahlen zu tun haben werden, von anderen oft etwas herablassend wegen ihrer langweiliger, zumindest trockener Arbeit belächelt. Doch hinter nüchternen Zahlen verbergen sich oft die absurdesten Geschichten und abenteuerlichsten Gestalten.
Was die Prüfer des obersten irakischen Revisionsausschusses (Iraqi Board of Supreme Audit) und andere Rechnungsprüfer wie der Special Inspector General for Iraq Reconstruction (SIGIR) seit einiger Zeit an Geschichten aufdecken, die sich hinter kolossalen Geldtransfers verbergen, ist schillernder, unverschämter und unglaublicher als manches, was sich die Phantasie so ausmalt.
Wie viel Gelder im Rahmen des Wiederaufbaus des Irak abgezweigt und veruntreut wurden, irgendwohin verschwunden und versickert sind, ist noch nicht ganz klar. Die "Reconstruction of Iraq" ist immerhin das größte von den USA geleitete Besatzungsprogramm seit dem Marshall Plan. Einen genauen Überblick über die unzähligen Transaktionen, die damit verbunden sind, hat derzeit wahrscheinlich niemand; viele Geschäftsvorgänge sind nur schlampig oder gar nicht festgehalten worden, manche Vorgänge sind gar nicht mehr zu rekonstruieren.
Spektakuläres Beispiel für einen sehr lässigen Umgang mit horrenden Geldsummen ist der Transfer von unglaublichen 1,5 Milliarden Dollar in bar, die am 12.April letzten Jahres von der amerikanischen Besatzungsverwaltung CPA (Coalition Provisional Authority) an einen "örtlichen Kurier" im nordirakischen Irbil ausgehändigt worden sind. Das Geld, Bündel von 100-Dollar-Scheinen, die drei Blackhawk-Helikopter füllten, stammte aus Ölverkäufen im Rahmen des UN-Oil for Food-Programms. Wie ein Prüfer-Bericht später feststellte, hatten Vertreter der CPA den Kurier kaum überprüft, bevor sie ihm das Geld übergaben. Das Risiko dafür, das Geld auf irgendeine Art zu verlieren, sei sehr hoch gewesen, monierten die Prüfer.
Paul Bremer, Chef der CPA bis zur Machtübergabe im Juni 2004, soll 600 Millionen Dollar als Bargeld-Budget zur Verfügung gehabt haben, für die es keine Unterlagen ("no paperwork") gibt. 200 Millionen davon wurden in einem Raum in einem der ehemaligen Paläste Saddam Husseins aufbewahrt. Den Schlüssel dazu bewahrte der Wachsoldat in seinem Rucksack auf, den er auf dem Tisch liegen ließ, wenn er zum Mittagessen ging.
Anschauliche Szenen, die zeigen, wie mit großem Summen in einem Land umgegangen wurde, in dem viele Bewohner an der Armutsgrenze leben und ihr Leben damit riskieren, dass sie für eine bescheidene Entlohnung bei Armee oder Polizei anheuern, weil es andere Jobs für sie kaum gibt. Obendrein handelte es sich dabei im Gelder, die nicht aus den USA stammen, sondern aus Öleinnahmen des Irak. Bis zur Machtübernahme der irakischen Interimsregierung unter Ijad Allawi Ende Juni letzten Jahres hatte die CPA 20 Milliarden Dollar davon ausgegeben. Im Vergleich dazu wurde bis zu diesem Zeitpunkt von US-Geldern nur 300 Millionen Dollar verwendet.
Muster an "Betrug" und "Schlamperei"
Wie die Gelder im Verteidigungsministerium verwendet wurden, darüber gibt nun ein Bericht des obersten irakischen Revisionsausschusses (Iraqi Board of Supreme Audit) Auskunft, der jüngst Journalisten der Knight Ridder Newspapers zugespielt wurde. War vor einiger Zeit in einer Vorabschätzung noch von 300 Millionen Dollar die Rede, von denen man glaubte, dass sie in einem Korruptionsnetzwerk, das sich um obskure Waffendeals herum gebildet hatte, verschwunden sind (vgl. dazu "Mehr Geld als kolumbianische Drug-Lords"), geht der oberste irakische Revisionsausschusses (Iraqi Board of Supreme Audit) jetzt von einem größeren Skandal in der Verwaltung des irakischen Verteidigungsbudget aus. Und von einem größeren Geldbetrag, der irgendwohin versickert ist: Mindestens 500 Millionen, vielleicht gar 1 Milliarde Dollar, sind in Waffengeschäfte gesteckt worden, von denen kaum Aufzeichnungen existieren. Die Waffen wurden zu maßlos überteuerten Preisen gekauft oder waren zum Teil nicht verwendungsfähig.
89 Verträge des letzten Jahres haben die Prüfer durchgesehen und ein Muster an "Betrug" und "Schlamperei" festgestellt; die Hälfte des Verteidigungsbudgets verschwand in dunklen Kanälen. Obwohl in dem Bericht keine Rede davon ist, dass amerikanische Berater des irakischen Verteidigungsministeriums in die Vorgänge verstrickt sind, soll die amerikanische Botschaft auf die Enthüllungen bestürzt reagiert haben: "senior diplomats are hopping mad". Die Frage ist, ob die Berater, die engsten Zugang zum führenden Personal im Verteidigungsministerium hatten, etwas von den betrügerischen Geschäften wussten. Bislang wird dies vehement bestritten:
Die ganze Botschaft ist deswegen durcheinander. Ich schwöre bei Gott, dass die Berater nicht alles wussten, was da vor sich ging. Woher hatten sie die Informationen? Von den Irakern. Ich könnte Ihnen ein Budget vorlegen, wonach das Land blüht und ein anderes, das besagt, dass alles sch... verläuft. Die Iraker erzählten uns nur, was wir hören wollten.
Anonymer Vertreter des Iraq Reconstruction Management Office
Herausgefunden haben die Prüfer bislang folgende Irregularitäten: Geschäfte im Wert von mehreren Millionen Dollar, die ohne Wettbewerb durchgeführt wurden, ohne Gegenzeichnung des Premierministers. Der Chef-Unterhändler ein polnisch-irakischer Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums namens Ziad Cattan, der behauptet von Bremer direkt für den Posten eingesetzt worden zu sein, hatte seine Befugnisse mehrmals einfach überschritten. Von ihm stammt auch die Idee gebrauchsunfähige Hubschrauber aus der polnischen Armee für mehrere Millionen Dollar zu kaufen.
759 Millionen Dollar auf das Konto eines Mannes überwiesen
Auch von den großen ("major purchases") Waffenkäufen existieren keine oder nur spärliche Aufzeichnungen. Fast alle Geschäfte wurden - unüblich für internationale Verträge in dieser Größe – mit einer Klausel abgeschlossen, wonach die Waren bar bezahlt werden mussten. Statt die Waffen direkt von einer ausländischen Firma oder Regierung zu kaufen, wurde die Geschäfte über Dritte abgeschlossen. Als sich irakische Führer später über die Mängel beklagten, hatten sie keinen regresspflichtigen Ansprechpartner, da die Mittelsmänner, welche die Millionen erhalten hatten, verschwunden waren. Die Geschäfte beinhalteten keine Verpflichtungen gegenüber dem irakischen Verteidigungsministerium, so der Bericht der Prüfer.
Der Nutznießer von 43 der 89 Verträge ist ein Mann, der früher Devisengeschäfte durchführte, Nair Mohamed al-Jumaili. Sein Name erscheine nicht einmal in den Verträgen, aber mindestens 759 Millionen Dollar wurden auf sein persönliches Konto einer Bagdader Bank überwiesen. Der verdächtige Drahtzieher im Korruptionsnetzwerk, Ziad Kattan, der auch nach dem Machtransfer auf seinem Posten im Verteidigungsministerium blieb, kaufte Waffen, die das Land gar nicht brauchte. Kritikern im Ministerium, die auf den skandalösen Umgang mit irakischen Geldern aufmerksam wurden, beschied er, nicht nur Bremer, sondern sogar US-Verteidigungsminister Rumsfeld würde darauf bestehen, dass ihm der Posten garantiert sei (Bremer bestreitet dies, Rumsfeld äußerst sich gar nicht dazu). Kein Iraker habe die Macht, ihn zu feuern, soll er den Kritikern entgegnet haben.
Nach den irakischen Parlamentswahlen Wahl Anfang dieses Jahres soll Cattan das sunnitische Iraqi National Dialogue Committee, das mit Premier Dschafari über die Einsetzung sunnitischer Minister verhandelt hat, kontaktiert und 10 Millionen Dollar dafür geboten haben, das man ihn – Cattan ist Sunnit – als Kandidaten für das Verteidigungsministerium vorschlage. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Seither ist der Aufenthaltsort von Cattan unbekannt. In Emails, die er an die Knight-Ridder Korrespondentin Hannah Allam schickt, beteuert er seine Unschuld und verweist mit angehängten Photos und Dokumenten auf seine engen Beziehungen zu ranghohen US-Repräsentanten.