Schmerzmittel aus Hefen - Meisterleistung ohne Folgen?

Forscher können Opioide in Hefezellen erzeugen, doch eine Anwendung erscheint momentan weder realistisch noch notwendig

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Morphium und seine Derivate sind ein Grundpfeiler der Schmerztherapie. Mohnpflanzen liefern das Rohmaterial, doch seit kurzem gibt es eine Alternative: Ein synthetischer Stoffwechselweg erlaubt die Herstellung von Opioiden in Hefezellen. Für eine Großproduktion fehlen jedoch wesentliche Voraussetzungen, und auch die Frage des Bedarfs bleibt ungeklärt.

Über 20 Gene neu kombiniert - die Komplexität dieses künstlichen Stoffwechselweges schlägt alles bislang Erreichte um Längen. Kalifornische Wissenschaftler haben sich bei Bakterien, Pflanzen und Tieren bedient, um die vollständige Biosynthese von Opioiden zu konstruieren. Es ist das Ergebnis vieler Jahre mühevoller Kleinarbeit, doch am Ende stellt sich die Frage: Wozu der Aufwand?

Die synthetische Biologie - zu der auch die Konstruktion neuer Stoffwechselwege zählt - soll neue Lösungen für drängende Probleme liefern. In der Medizin gab es bereits greifbare Erfolge: Das Malariamittel Artemisinin kann halb-synthetisch in Hefezellen erzeugt werden (Paddon et al., Nature 2013, High-level semi-synthetic production of the potent antimalarial artemisinin). Seit 2014 deckt dieser Prozess etwa ein Drittel des weltweiten Jahresbedarfs.

Die natürliche Quelle von Artemisinin ist der Einjährige Beifuß, bei dessen Ernte kommt es jedoch immer wieder zu größeren Ausfällen. Die synthetische Alternative trägt wesentlich dazu bei, die Versorgung zu sichern und die Preise zu stabilisieren (M. Peplow, Nature 2013, Malaria drug made in yeast causes market ferment). Die Biosynthese von Opioiden soll - so die Hoffnung der Forscher - in Zukunft eine ähnliche Rolle spielen.

Opioide gehören laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zu den unverzichtbaren Arzneimitteln. Doch nur die westlichen Industriestaaten sind ausreichend versorgt, in den ärmeren Ländern klaffen große Lücken. Die Folge: Über 5 Milliarden Menschen haben nur ungenügenden oder gar keinen Zugang zu Morphium und seinen vielen Derivaten (Seya et al., Journal of Pain & Palliative Care Pharmacotherapy 2011, A First Comparison Between the Consumption of and the Need for Opioid Analgesics at Country, Regional, and Global Levels).

21 Gene u.a. von der Ratte, vom Mohn und Bakterien wurden in Hefe eingebaut, um durch Biosynthese Thebain zu erzeugen. Bild: Stephanie Galanie, Smolke Lab

Zehn Jahre mühevoller Kleinarbeit

Diese Tatsache bewegte bereits vor zehn Jahren eine Forschergruppe um Christina Smolke im kalifornischen Stanford dazu, ein ehrgeiziges Projekt zu starten (Galanie et al., Science 2015, Complete biosynthesis of opioids in yeast). Das Ziel: Hefezellen mit einem Stoffwechselweg auszustatten, der den einfachen Grundbaustein Zucker in das Opioid Thebain verwandelt. Thebain war aus zwei Gründen eine gute Wahl: Es ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die Erzeugung vieler Schmerzmittel, eignet sich aber nur schlecht für die Erzeugung illegaler Drogen wie Heroin.

Die Entwicklung der künstlichen Opioid-Synthese zog sich über viele Jahre hin. Es war ein mühsamer Prozess, der vor allem in der Optimierung kleiner Teilschritte bestand. Ein wesentliches Problem bestand darin, die Hefezellen dazu zu bewegen, einen großen Teil ihrer Ressourcen auf die Produktion eines für sie nutzlosen Produkts zu verwenden. Ein weiteres Problem war, die dafür notwendigen Enzyme zu finden: Manche waren noch gar nicht bekannt.

Mangelnde Effizienz

Letztlich waren es 21 Gene, die für die Biosynthese von Thebain neu kombiniert wurden. Manche waren veränderte Varianten von Enzymen der Hefe, andere stammten aus Bakterien, verschiedenen Pflanzenarten und sogar einem Säugetier, der Ratte. Als dieser Teil vollendet war, gingen die Forscher einen Schritt weiter und erzeugten direkt das Schmerzmittel Hydrocodon, das in den USA zu den am meisten verkauften Arzneimitteln gehört. Dafür waren insgesamt 23 Gene notwendig.

Für die Wissenschaft ist dies ein großartiger Triumph. Doch praktikabel ist das Verfahren noch nicht - die Ausbeute ist verschwindend gering. Fast 17.000 Liter Hefe-Lösung wären notwendig, um eine einzige Dosis Schmerzmittel zu erzeugen. Theoretisch ist diese Hürde wohl überwindbar. Auch die Herstellung von Artemisinin war anfangs ineffizient, fünf weitere Jahre waren nötig, um den Prozess an eine Großproduktion anzupassen. Allerdings musste die Produktivität von Artemisin nur um den Faktor 200 gesteigert werden - bei Thebain ist ein Faktor von 100.000 vonnöten.

Fraglicher Bedarf

Unklar ist auch die Frage des Bedarfs. Zwar sind fast 90 % der Weltbevölkerung mit Opioiden unterversorgt, doch ein Mangel an Rohmaterial scheint nicht die Ursache zu sein. In den letzten Jahren wurde meist mehr Mohn geerntet als verbraucht, die angehäuften Reserven haben sich daher seit 2004 annähernd verdoppelt. Und als zwischen den Jahren 2004 und 2012 der weltweite Bedarf an Thebain um das Dreifache stieg, hielt die Produktion mühelos mit. Im Gegensatz zu Artemisinin scheint es hier keine Lücke in der Versorgung zu geben, die die synthetische Biologie füllen müsste.

Noch einen weiteren Vorteil führen die Forscher an. Mit dem Einsatz der Hefen ließe sich die benötigte Anbaufläche um den Faktor 500 senken. Ackerland, das angesichts der steigenden Nahrungsmittelknappheit auch für andere Zwecke genutzt werden könnte. Doch der Anbau von Mohn benötigt nur wenig Fläche, und so überzeugt auch dieses Argument kaum: 100.000 Hektar genügen, um den aktuellen Jahresbedarf zu decken - das sind 0,002 % der weltweiten Agrarfläche.

Die Biosynthese von Thebain ist eine wissenschaftliche Meisterleistung. Doch solange die konventionelle Erzeugung aus Mohnpflanzen nicht an unerwartete Grenzen stößt, ist der praktische Nutzen der modifizierten Hefezellen begrenzt. Andere Projekte, bei denen konventionelle Methoden keine überzeugenden Lösungen liefern, erscheinen da wesentlich lohnender. Es sind vor allem diese Probleme, auf denen die synthetische Biologie einen einzigartigen und wertvollen Beitrag leisten kann.