Schmutzige Alternative zu russischer Kohle

Seite 2: Glencore will Interessen mit privaten Schiedsgerichten durchzusetzen

Bereits vor dem Urteil habe der Präsident der Mine öffentlich Stimmung gegen die indigenen Anwohner gemacht und mit der Schließung sowie dem Verlust tausender Arbeitsplätze gedroht, berichtet Stephan Suhner vom ASK. Das Gericht hatte Unternehmen, Behörden und Anwohner aufgefordert, gemeinsam eine Lösung zu finden. Stattdessen verklagte Glencore im Mai 2021 den kolumbianischen Staat.

Grundlage ist ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien, welches zu Zeiten der Dekolonisierung entstand, als die Industriestaaten ihren direkten Zugriff auf die Rohstoffe im globalen Süden in Gefahr sahen.

Dadurch kamen internationale private Schiedsgerichte ins Spiel, die Rechtsprechung und demokratische Prozesse des betroffenen Landes untergraben können, indem sie Staaten zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilen, wenn zum Beispiel durch hohe Umweltstandards Gewinne geschmälert werden oder Projekte ganz abgebrochen werden müssen.

Mit seiner inzwischen dritten Klage dieser Art blockiert der Konzern nun das Urteil des höchsten kolumbianischen Gerichts. Der Spielraum für die Durchsetzung von Umweltstandards werde immer enger. Man habe Klage gegen Kolumbien eingereicht, weil keine Lösung gefunden werden konnte und der Wert des Arroyo-Bruno-Projektes gesunken sei, lassen Konzernsprecher offiziell verlauten.

Unterdessen sind bei den indigenen Führungspersönlichkeiten Todesdrohungen eingegangen. Offenbar blieb es aber nicht bei Drohungen. Es war am Abend des 21. Mai 2022, als Luz Ángela Uriana, eine der Klägerinnen, sich mit ihren acht Kindern und ihrem Mann in ihrem Haus in der Gemeinde Hatonuevo aufhielt. Plötzlich kamen Männer auf Motorrädern und feuerten sechs Schüsse auf das Dach ihres Hauses ab. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Cerrejón distanziert sich von dem Anschlag. Das Unternehmen arbeite Hand in Hand mit den Gemeinden zusammen und setze sich für die Entwicklung des Gebiets ein, hieß es in einer Pressemitteilung. So plane man in Provincial einen neuen Gesundheitsposten, Maßnahmen zur Bodenstabilisierung sowie die Errichtung einer Baumschule.

Ein großer Teil der geförderten Kohle geht an die USA, seit kurzem auch verstärkt nach China, vor allem aber in die EU. Deutsche Kunden sind vor allem Steag und die EnBW. Auch Uniper und RWE kaufen Kohle aus Kolumbien. Und die stammt vermutlich aus der Mine von Glencore. Steag berichtet von Gesprächen mit den Wayuú. Die Firma habe Cerrejón mit Fakten konfrontiert, etwa der Verletzung von Wasseremissionswerten, so ein Steag-Sprecher.

Die deutschen Unternehmen müssten Risiken für Menschenrechte und Umwelt umfassend untersuchen, klare Anforderungen an die Bergbauunternehmen in Kolumbien stellen und sich zudem an der Wiedergutmachung für Schäden beteiligen, die sie mitverursacht haben, fordert Armin Paasch von Misereor. Vertreter deutscher Unternehmen sollten herkommen, um sich selbst ein umfassendes Bild vor Ort zu machen, fordert außerdem Luz Ángela Uriana.

Kohle-Importe aus Kolumbien nehmen massiv zu

Ermordete Gewerkschafter, Vertreibung von Menschen, massive ökologische Schäden - die Nachrichten aus Kolumbien während der letzten Jahre warfen kein gutes Bild auf die Kohleunternehmen und deren deutschen Geschäftspartner. Auch deshalb hatte die deutsche Regierung bis vor Kurzem noch auf russische Kohle gesetzt: Allein im letzten Jahr kam mit 20 Millionen Tonnen jährlich mehr als die Hälfte der deutschen Steinkohle-Importe aus Russland. Bis Russland in die Ukraine einmarschierte.

Wegen des Kohleembargos gegen Russland sucht Europa nun nach Alternativen. Russische Kohle-Importe werden gedrosselt und die Importe aus Kolumbien wieder hochgefahren. Wurden im letzten Jahr gerade mal sechs Prozent der Steinkohle aus Kolumbien importiert, waren es im März bereits 690.000 Tonnen - rund dreimal so viel wie noch im Vormonat. Auch Deutschlands Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) kündigte an, in der Stromerzeugung wieder mehr auf Kohlekraftwerke statt auf Gas zu setzen.

Bereits vor einigen Wochen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wegen der Kohle-Importe mit dem scheidenden kolumbianischen Präsidenten Iván Duque telefoniert. Noch am Tag des Anrufs erhielten indigene Gemeinden, die gegen den Ausbau der größten Kohlemine des Landes und die Umleitung von Flüssen geklagt hatten, eine Mail vom kolumbianischen Umweltministerium: Man wolle den Tagebau noch vergrößern, hieß es darin.

Deutsche Nachfrage nach Steinkohle stößt auf Kritik

Der Vorstoß von Olaf Scholz stehe "im Gegensatz zu dem, was wir hier in den letzten Monaten ausführlich im Ausschuss diskutiert haben", kritisierte die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger auf Anfrage des ARD-Magazins Kontraste.

Aus dieser Region "Blutkohle" zu importieren sei falsch, denn die Importe seien "koloniale Ausbeutung", kritisiert die grüne Abgeordnete, die im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie sitzt. Statt zusätzlicher Kohleförderung sollte Deutschland Entschädigungen für all jene Menschen zahlen, die vor Ort unter den Umweltschäden durch die Kohleförderung leiden.

Die ehemalige Pressesprecherin des Anti-Kohle-Aktionsbündnisses Ende Gelände fordert einen ehrlichen Diskurs darüber, wie für die entstandenen Schäden der letzten Jahrzehnte Gerechtigkeit geschaffen werden könnte. Konkret denkt Henneberger dabei an "Ausgleichsmaßnahmen". Doch die meisten Vertreter der Grünen, die kürzlich noch gegen zusätzliche Steinkohle-Importe protestierten, verweigern jeden Kommentar - sowohl zu den Kohle-Importen, als auch zur Umwelt- und Menschenrechtslage in den kolumbianischen Minen.

Stattdessen verweist das Wirtschaftsministerium auf das Sorgfaltspflichtengesetz, das ab Januar 2023 in Kraft treten soll. Demnach sollen Kohle-Importeure ihre ausländischen Vertragspartner danach auszuwählen, ob sie vor Ort Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards einhalten. Noch bevor es in Kraft getreten ist, wird das Gesetz von Kritikern als zu lasch und zu unzulänglich bezeichnet.

"Ich dachte, wir kommen langsam über die toxische Beziehung zwischen Deutschland und Kolumbien hinweg", empört sich Anderson Sandoval über die deutsche Kehrtwende. Nun wirft die aktuelle Entscheidung die deutsche Energiepolitik um 20 Jahre zurück.

Unidos por La Paz - Alemania, das Kollektiv der kolumbianischen Diaspora, dem auch Sandoval angehört, startete aus gegebenem Anlass eine Petition, die die Regierungen auffordert, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Die globale Erwärmung müsse auf unter 1,5 Grad zu begrenzt werden, heißt es darin. Den indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften stehe eine saubere und gesunde Umwelt zu. 164 Organisationen aus 28 Ländern haben die Forderung bereits unterzeichnet.