Schnee-Chaos als Beruhigungspille: Fällt jetzt die Klimakatastrophe aus?

So tiefwinterlich war der Schönbrunner Schlosspark in Wien schon lange nicht mehr. Foto: Frank Jödicke

Passt wie die Faust aufs Auge zur Konferenz in Dubai: Viel Schnee in Bayern und Österreich! Ist die Klimaerwärmung abgesagt?

Die starken Schneefälle haben in der Nacht zum Samstag in weiten Teilen Süddeutschlands den Verkehr lahmgelegt. Auch der Münchner Flughafen musste zeitweise den Betrieb einstellen.

In Wien hacken Anfang Dezember die Mitarbeiter der Räumdienste mit eisernen Stangen auf die Gehsteige. Ein wenig sehen sie aus wie Eisfischer. Nur mit vielen, präzisen Schlägen gelingt es ihnen, die Eiskruste auf dem Asphalt aufzubrechen, um sie dann wegkehren zu können. So kalt war es schon lange nicht mehr in der Stadt.

Nun trügt die Erinnerung leicht – und deshalb kann sie schnell zum politischen Kampfmittel werden. Vereiste Straßen waren einmal eine übliche Begleiterscheinung des Winters in Wien.

In den letzten Jahren waren allerdings gefrorene Pfützen zu einer kleinen Sensation geworden. Wer auch im Winter Fahrrad fuhr, brauchte in manchem Jahr keine Handschuhe mehr.

So will sich zumindest die eine Seite des Arguments erinnern, während die andere in diesen Tagen gerne auf die tiefverschneite Landschaft deutet und ruft: "Seht ihr, ein Winter wie damals, warum regt ihr euch so auf? Erkennt, wie lächerlich eurer Weltuntergangswahn ist!"

Wer sich durch den heftigen Winter nun in seinen Annahmen bestätigt fühlt, hat in einem kleinen Nebenaspekt damit durchaus Recht, in der Hauptsache aber unrecht. Wie oft wurde, mit gutem Grund konstatiert, dass das Wetter nicht das Klima ist.

Das Argument gilt in beide Richtungen

Wer glaubt, er oder sie könne, mittels einzelner Phänomene, wie Hitzewellen oder Rekordkälte, den Klimawandel belegen oder widerlegen, irrt. Im Fall der Hitzewillen würden "Klimaskeptiker" jetzt eifrig nicken.

Die Mahner vor der hereinbrechenden Klimakatastrophe bedienen sich durchaus dieses Kniffs. Ein wenig mag es ihrem Frust geschuldet gewesen sein, Jahr und Tag Fakten aufgetischt zu haben und auf wenig Gehör gestoßen zu sein. Somit entstand die Hoffnung, wenn der Begriff nichts bringt, könnte vielleicht die unmittelbare Anschauung eines Besseren belehren.

In der Rekordhitze des letzten Sommers müssten die Menschen doch, angesichts ausgetrockneter Seen und brennender Wälder, endlich "konvertieren" und Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung werden. Annahmen dieser Art sind allerdings naiv. War im Oktober der Beginn des Ski-Weltcups in Österreich noch aufgrund des Schneemangels eine Farce, wirken die Bedenken jetzt eigentümlich abstrakt.

Nur: Eine Schneewehe macht keine Klimanormalität. Das Argument geht in beide Richtungen. An einzelnen Wetterkapriolen ist nichts festzumachen. In der politisch aufgeheizten Situation kommt es dann so weit, dass alle sich nur mehr an das Wetter erinnern, das in ihre Erzählung passt.

Die Klimakatastrophe ist kaum zu begreifen

Etwas wird hierbei tatsächlich verdrängt und man darf sagen, das ist geradezu natürlich. Die Klimakatastrophe ist ein Phänomen, das jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens liegt. Dafür gibt es eine ganze Reihe an Gründen, ein einigermaßen leicht greifbarer ist die Survivorship-Bias.

Vereinfacht gesagt, darf man sie sich so vorstellen: Ein Mensch, der bei einem Autounfall stirbt, hat zuvor ein Leben geführt, in dem er keinen tödlichen Unfall hatte. Selbst wenn er oder sie zahlreiche Beinahe-Unfälle oder minderschwere Unfälle erlebt hat, dann haben sie diese die Person sogar eher in dem Gefühl bestärkt, dass ein Unfall gar nicht so schlimm sei.

Denn schließlich hat man ja bisher noch alles überlebt. Kriegsreporter beginnen sich dank Survivorship-Bias für "bulletproof" zu halten und gehen immer größere Risiken ein. Vom letztlich letalen Treffer können sie nicht mehr erzählen und auch selbst aus diesem keine Schlüsse mehr ziehen.

Der Menschheit insgesamt geht es ähnlich. Der deutsch-österreichische Philosoph Günther Anders formte aus dieser Beobachtung, damals im Rahmen der drohenden Nuklearkatastrophe, den Begriff der Apokalypse-Blindheit. Die Menschheit blickt auf eine Geschichte überstandener Katastrophen zurück und leitet daraus ab, dass sich auch die nächste Katastrophe noch irgendwie wird biegen lassen.

Das kann stimmen, muss aber nicht. Gerade die Klimakatastrophe ist hier ein besonders tückischer "Gegner", weil sich in ihr Faktoren relativ langsam und graduell verändern, wie eben der Temperaturanstieg in der Atmosphäre, der dann wiederum zu katastrophalen und für Jahrhunderte unumkehrbaren Folgen führen kann. Ein einmal abgetauter Gletscher kann nicht zurück gezaubert werden.

Es gibt keinen naturwissenschaftlichen Hinweis darauf, dass die durch die Industrialisierung bedingten Zunahme des CO2-Ausstoßes nicht schwerwiegende Folgen für die menschliche Zivilisation haben wird.

Welche genau, ist selbstverständlich alles andere als einfach zu beantworten. Genau diese Grauzone nutzen all jene gerne aus, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Wirtschaftsweise haben.

Der Vorsitzende der laufenden Weltklimakonferenz (COP28) Sultan Al Jaber bietet hierfür ein aktuelles und sehr bezeichnendes Beispiel. Er stellt in Frage, dass der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen überhaupt einen wissenschaftlich belegbaren Einfluss auf die Einhaltung des 1,5 Grad-Zieles hat.

Kampf gegen Klimawandel unterliegt Wetterwechsel

Al Jaber leugnet, was ihm nicht in den Kram passt und bedient ansonsten die rhetorischen Tricks des Stammtischduells. Die anderen sollen doch Vorschläge machen, nicht immer mit dem Finger auf ihn zeigen und sich überlegen, ob sie lieber in "Höhlen" leben wollen.

Letztlich lädt der Vorsitzende der Klimakonferenz dazu ein, mit den Naturgesetzen zu verhandeln. Muss die Erwärmung unbedingt immer alles wärmer machen? Vielleicht können wir auch der Schwerkraft ausreden, die Dinge immer so schwer zu machen?

Die COP28 reiht sich damit in eine lange Reihe weitgehend unsinniger Debatten. Seit den 1960er Jahren sind die dramatischen Folgen der Klimaerwärmung bekannt und beschrieben. Übrigens waren auch die Mineralölkonzerne von Anfang an gut informiert.

Statt konsequent zu handeln, entstanden allerdings politische Wellen, die einem Wetterwechsel nicht unähnlich sind. Mal schlägt das Pendel Richtung mehr Klimaschutz – bereits Präsident Jimmy Carter ließ in den 1970er-Jahren Solarpaneele neben dem Weißen Haus aufstellen. Beide großen Parteien in den USA bekundeten damals aufgrund der gesicherten wissenschaftlichen Fakten ihren eisernen Willen zum Handeln.

Es gab Kongressanhörungen, zu denen auch sowjetische Wissenschaftler eingeladen waren und die ganze Welt war auf Wandel gepolt. Dann kam Ronald Reagan. Dem war der Klimawandel viel zu kompliziert. Faktische Probleme widersprachen auch seiner Wohlfühlpolitik. Eine Studie bestätigte ihm dann auch noch den allenfalls geringen Einfluss des Klimawandels auf das Bruttoinlandprodukt der USA und der Kampf ums Klima wurde abgeblasen.

Wertvolle Jahrzehnte verstrichen, in denen die unaufhaltsam herannahende Katastrophe nur mehr Spezialisteninteresse war. Allerdings ließen sich die Änderungen immer weniger leugnen, denn Jahr um Jahr wurde die Erde tatsächlich, wie vorhergesagt, immer wärmer. Dem ehemaligen Vizepräsident Al Gore gelang es dann 2006 das Thema wieder ins Zentrum zu rücken.

Bei seinem höchsterfolgreichen Klimafilm "Eine unbequeme Wahrheit" unterlief ihm allerdings ein fataler Fehler. Er machte den Film über sich selbst. Seine Moderation beginnt mit den Worten "Hallo, mein Name ist Al Gore und ich sollte einmal der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden." Am Ende dieses Satzes schalten ziemlich genau 50 Prozent des US-amerikanischen Publikums zumindest innerlich ab.

Genau diese Spaltung macht den Kampf ums Klima bis heute zu einem unsinnigen und gefährlichen Kampf zwischen links und rechts. Viele Konservative wollen den Klimawandel für einen Trick linker Eliten halten, die eine "Hintertür für den Kommunismus" suchen. Die nächste Kältewelle (die es auch bei einer Erwärmung über 1,5 Grad noch geben wird) ist ihnen dann gerade recht, um die Apokalypse wieder genüsslich absagen zu können.

Die interessiert sich allerdings nicht für den dauernden politischen Wetterumschwung, sondern geht langsam und scheinbar unaufhaltsam ihren Weg.

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