Schnittmengen: Ein Polizeichef, die Kiesewetter-Familie, der Verfassungsschutz und der NSU

Kriminaldirektor Michael Menzel steht für die politische Dimension des Skandals - Hatte das Trio doch Geheimdienstkontakte?

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Nach Andreas Temme ist Michael Menzel einer der Zeugen, die inzwischen am häufigsten vor parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) und vor das Oberlandesgericht in München geladen wurden, um die Hintergründe der NSU-Mordserie aufzuklären. Temme war einmal hessischer Verfassungsschutzbeamter, der im April 2006 vor Ort war, als der junge Deutsch-Türke Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen wurde, laut Anklagebehörde von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Menzel ist momentan leitender Kriminaldirektor im Thüringer Innenministerium und war der verantwortliche Polizeichef, als im November 2011 Böhnhardt und Mundlos tot in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden wurden. Der Mord von Kassel und der Tod von Eisenach sind zwei Schlüsselfälle im NSU-Gestrüpp.

Eine "alternativlose" Entfernung des Wohnwagens und ein Onkel von Michèle Kiesewetter als Mitarbeiter

Menzel musste bisher im Prozess in München erscheinen, vor den U-Ausschüssen in Erfurt und jüngst in Berlin. Für Nachfragen hat nicht nur sein unorthodoxes Verhalten am Tatort in Eisenach gesorgt, wie das Stochern mit einer Harke neben einer Leiche (Menzel: Um Glutnester zu löschen), das Ziehen eines Steckers im ausgebrannten Fahrzeug (Menzel: Aus Gründen der Gefahrenabwehr) oder der Abtransport des Wohnwagens (Menzel: Alternativlos). Fast von größerem Interesse ist die politische Dimension des NSU-Skandals, die sich hinter Menzels breitem Rücken verbirgt. Die sein widersprüchliches wie folgenloses Aussageverhalten vor den verschiedenen Gremien sowie seinen Aufstieg in Regierungsstrukturen verständlich machen kann.

Michael Menzel, 56 Jahre alt, begann seinen Polizeidienst zu DDR-Zeiten. Man hört das seiner technokratischen und autoritären Rhetorik noch an. Nach der Wende von 1989 ging seine Karriere bruchlos weiter. Mit Anfang 30 war er Leiter der Kriminalpolizei in Weimar. Später arbeitete er im Landeskriminalamt und im Innenministerium. 2009 wurde er Leiter der Polizeidirektion Gotha. Seit 2015 ist er wieder im Innenministerium tätig. Von besonderem Interesse sind seine Jahre als Kripochef in Saalfeld von 1998 bis 2001. Einer seiner Mitarbeiter dort war Mike Wenzel, der Onkel der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter. Menzel und Wenzel kennen sich persönlich.

Onkel stellte Verbindung vor BKA her

Kiesewetter-Onkel Mike Wenzel war Staatsschützer und hatte mehrfach mit dem Thüringer Heimatschutz (THS) zu tun, jenem rechtsradikalen Sammelbecken, in dem sich auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bewegten. Einmal war er dabei, als zahlreiche Neonazis festgenommen wurden, unter anderem Tino Brandt. Ein anderes Mal bei einer Hausdurchsuchung von Brandt. Brandt galt als der führende Kopf des THS. Er war zugleich V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Thüringen.

Wenzel hatte nach dem Mord an seiner Nichte eine Verbindung zu den neun ungeklärten Morden an Migranten hergestellt. Zu einem Zeitpunkt, als die obersten Ermittler des Bundeskriminalamtes diesen Zusammenhang noch nicht sahen. Wenzel zog seinen Schluss aus den Ähnlichkeiten der Tatbegehung, gezielte Kopfschüsse am helllichten Tag. Dass die Ceska-Morde und der Polizistenmord zusammengehören, war erst mit den Ereignissen in Eisenach und Zwickau vom 4. November 2011 belegt. Wie genau die Attentate zusammengehören und wer möglicherweise noch zum Täterkreis zählt, das ist allerdings bis heute im Dunkeln.

Personengeflecht

Ausgerechnet in seinem Verantwortungsbereich findet der Polizeichef Michael Menzel die Dienstwaffe der im fernen Baden-Württemberg ermordeten Nichte seines Kollegen. Doch so eng sind andererseits die Kreise des NSU. Menzel ist Teil des Personengeflechtes, in dem sich das NSU-Umfeld und das Kiesewetter-Umfeld überschneiden und zu dem unter anderem der Schwager des Angeklagten Ralf Wohlleben gehört, der in Kiesewetters Thüringer Heimatort Oberweißbach eine Gaststätte betrieb, ein Treffpunkt der rechten Szene.

Im Januar 1998 tauchte das Trio aus Jena - Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe - unter, weil die Polizei ihre Garagen durchsuchte, wo Sprengstoff lagerte. Die drei Namen wurden in der Sprengstoffdatei des Bundeskriminalamtes (BKA) gespeichert. Nach Ablauf der Frist von zehn Jahren wurden die Daten wieder gelöscht - allerdings nur die von Mundlos und Zschäpe. Für Böhnhardt wurde eine Fristverlängerung vorgenommen und zwar durch die Polizeidirektion Gotha. Warum, geht aus der BKA-Datei nicht hervor.

"Kein Aktenbestand"

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages präsentierte diesen Sachverhalt dem langjährigen Polizeichef von Gotha und wollte von ihm wissen: "Gab es vor 2008 ein polizeiliches Ereignis, bei dem Böhnhardt auffiel?" Die Antwort Menzels war so direkt wie verwunderlich: "Klares Nein! Es gab in Gotha keine Ereignisse, dass Böhnhardt straffällig wurde. In der Polizeidirektion Gotha gibt es keinen Aktenbestand zu Uwe Böhnhardt." Dann fügte er noch einen Satz an, von dem man nicht weiß, ob er ernst gemeint war oder provokativ: "Vielleicht meint das BKA ja Uwe Mundlos und die Polizei in Jena." Dem Ausschussvorsitzenden Clemens Binninger, CDU, jedenfalls war er nur ein müdes Lächeln wert.

"Der PD-Leiter will alles tun, um Frau Zschäpe zu finden, bevor sie vom LfV abgezogen wird"

Hatte das Trio Verfassungsschutzkontakte? Seit Jahren taucht diese Frage immer wieder auf, ohne das sie abschließend beantwortet werden kann. Offiziell wird sie bestritten. Doch Aktenfunde des Bundestagsausschusses geben ihr neue Nahrung: Protokollnotizen über die Lagebesprechungen in der Polizeidirektion (PD) Gotha am 5. und 6. November 2011, die Menzel geleitet hatte. Am 5. November war schriftlich festgehalten worden: "[...] Die Zielfahndung nach dem Trio wurde 2002 eingestellt. Es wurde bekannt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Zielpersonen abdecke." Am 6. November wurde notiert: "Der PD-Leiter will alles tun, um Frau Zschäpe zu finden, bevor sie vom LfV abgezogen wird." An anderer Stelle heißt es: "Zumindest eine Person des Trios soll bis 2003 Mitarbeiter des Staatsschutzes gewesen sein." Wieder an anderer Stelle kann man lesen: "Das Trio oder ein Teil war nah an den Verfassungsschutz oder den Staatsschutz angebunden, hatte mit denen zu tun, was auch immer."

"Nur eine Vermutung Wunderlichs"

Ob er sich erinnere, dass bei den Lagebesprechungen solche Sätze gefallen sind und wenn ja, in welchem Zusammenhang, wollte der Ausschuss vom Zeugen Menzel wissen. Der bestätigte das, relativierte es aber. Er habe damals veranlasst, seine Maßnahmen zu protokollieren. Die zitierten Äußerungen seien aber nicht von ihm gekommen, sondern vom Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA), Sven Wunderlich.

Wunderlich sei bei der Besprechung am 5. November dabei gewesen und habe die These vertreten, das Trio sei vom LfV geschützt worden. Das sei aber nur eine Vermutung Wunderlichs gewesen. Den Satz "mindestens eine Person des Trios war Mitarbeiter des Staatsschutzes" bestritt Menzel nachdrücklich. Der polizeiliche Staatsschutz habe im Bereich Rechtsextremismus keine eigenen Quellen geführt, sollte es nicht, um nicht mit dem Verfassungsschutz ins Gehege zu kommen.

Überzeugend war diese Stellungnahme nicht, denn sie erklärt zum Beispiel nicht die Äußerungen am 6. November, als Zielfahnder Wunderlich nicht mehr bei den Lagebesprechungen dabei war.

Schulterzucken

Im Besprechungsraum der Polizeidirektion Gotha hing damals ein Fahndungsschaubild mit den Fotos und Namen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und allen möglichen Querverbindungen zu anderen Personen. Eine war Andreas Rachhausen, Neonazi aus Saalfeld, Mitglied des Thüringer Heimatschutzes (THS) und zugleich V-Mann des LfV. Wie kam dieser Name auf die Tafel?, wollte der Ausschuss jetzt von Menzel wissen. Der passte und zuckte nur mit den Schultern.

Am 5. November - also einen Tag nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos, der Brandstiftung in der Wohnung in Zwickau und der Flucht von Beate Zschäpe - rief Menzel einen Verfassungsschützer an, der bereits im Ruhestand war: Norbert Wießner. Das kann als gesichert gelten, selbst wenn Wießner ursprünglich dachte, dieses Telefonat sei am 4. November gewesen. Wießner war einmal V-Mann-Führer von Tino Brandt sowie von Andreas Rachhausen.

Menzel fragte den Pensionär nach Hinweisen auf frühere Aufenthaltsorte des Trios und wo Zschäpe sein könnte. Wießner soll geantwortet haben, - auch das deckt sich weitgehend - er solle bei Ralf Wohlleben oder André Kapke nachfragen, zwei bekannte THS-Aktivisten aus Jena. Umstritten ist, ob es ein zweites Telefonat einen Tag später zwischen Menzel und Wießner gab.

Gegenteil der Behauptung vom Februar 2013

Vor dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte Wießner genau das im Februar 2013 behauptet. Menzel soll dabei gedroht haben: "Wenn du jetzt nichts sagst, gehe ich ins Landesamt [für Verfassungsschutz] und beschlagnahme die Akten!" Menzel bestritt das vor dem Ausschuss in Berlin entschieden. Es habe nur ein einziges Telefonat zwischen ihnen gegeben.

Offiziell soll die Leitung des Thüringer LfV am 7. November 2011 von der Dimension des Falles erfahren haben. SoKo-Leiter Menzel selber wandte sich erst am 8. oder 9. November an das Amt, um es über die Ermittlungen zu informieren. Warum nicht früher?, wollte der Ausschuss wissen. Das sei noch nicht nötig gewesen, antwortete Menzel, es habe "keinen sachlichen Grund" dafür gegeben.

Ausschuss: "Aber einen pensionierten Verfassungsschützer haben Sie doch Tage vorher angerufen und Auskunft verlangt." Menzel: "Weil er mir persönlich bekannt war." Ausschuss: "Aber warum wenden Sie sich an einen Ex-Verfassungsschützer und nicht ans LfV?" Menzel: "Ich wollte jemand haben, der einmal Kontakt zu der Szene gehabt hatte." Ausschuss: "Und das war nützlich im Jahr 2011?" Menzel: "Ja."

Die Antworten des höheren Beamten sind weder plausibel noch glaubhaft. Hat sich Menzel inoffiziell an Wießner gewandt, damit dessen mögliche Informationen nicht in die Akten kommen und dort Spuren hinterlassen? Oder weil er davon ausging, es stimmt, dass das Trio Kontakte zum Verfassungsschutz hat und geschützt wird? Das LfV also Gegenspieler ist. Doch eine Aufklärung dieses Hintergrundes lassen Menzels Aussagen nicht zu. Von Amtswegen hat er trotz seines widersprüchlichen Aussageverhaltens nichts zu befürchten - diese Erfahrung dürfte er inzwischen verinnerlicht haben.

Vielleicht spielt auch folgendes Datum dabei eine Rolle: Am 7. November 2011 wurde Polizeichef Michael Menzel zum Innenministerium nach Erfurt einbestellt. Er sollte über seine Ermittlungen zu den Ereignissen vom 4. November berichten. Anwesend war der Innenminister persönlich sowie die Behördenspitze: Der Abteilungsleiter Polizei, der Referatsleiter und ein Beamter für die Öffentlichkeitsarbeit. Hat sich der Mann danach gewandelt? Gibt es einen Menzel vor dem 7.11.11 und einen danach? Erklärt das vielleicht sein widersprüchliches Verhalten?