"Schön faul"

Silvana Koch-Mehrin schafft es mit ihrer Anwesenheitsquote in EU-Ausschüssen, den Stimmenanteil der FDP zu unterbieten

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Es gibt sie auch die "fabelhafte Welt der EU", wie sie Alexander Dill Ende August an dieser Stelle Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/35/35397/1.html: Rund 50.000 Beamte, die im Schnitt 8,72 Prozent Steuern bezahlen bei einem Bruttogehalt von 11.000 Euro. Kaum einer weiß, was sie genau tun, man weiß nur, dass Europa gut für sie sorgt. Die Bürokratie legt einen dicken Schleier über ihre Tätigkeit wie einstmals der berüchtigte Novembernebel über London zur Zeit Charles Dickens, wo sich Prozesse derart hinschleppten, dass das Verzeichnis der beteiligten Parteien schließlich zu "Leichenzettel" werden.

In der Karikatur wird die Wahrheit kenntlicher als in der wirklichkeitsgetreuen Schilderung, Dickens ist nur ein besonders gutes Beispiel dieser künstlerischen Methode. Was aber, wenn sich die Karikatur als Wirklichkeit herausstellt, wer ist dann der Künstler?

Das Bild des EU-Parlamentariers als Austragshäusl-Bewohner, der mit wenig Aufwand viel bekommt, ist eine Karikatur. Dass sie dennoch große Deckungsgleichheit mit der Wirklichkeit haben kann, das demonstriert in schöner Regelmäßigkeit ausgerechnet die FDP-Vorzeigefrau Silvana Koch-Mehrin, die von der Partei lange Zeit als attraktives Modell plakatiert wurde. Die schönen Fotos von Koch-Mehrin übersetzten die ideellen Werte der Partei ins Augenfällige: Leistung, Erfolg, Dynamik.

Nach Recherchen des ARD-Magazins Panorama ist Frau Koch-Mehrin vor allem "schön faul". Vorwürfe, dass es die EU-Politikerin mit der Anwesenheit bei Sitzungen nicht allzu genau nimmt, gab es schon in der Vergangenheit (Wie liberal ist Koch-Mehrin (FDP) mit ihrer Arbeit im EU-Parlament?). Die Reaktion darauf war ein Hinweis auf Mutterpflichten. Man darf gespannt sein, wie Koch-Mehrin auf die neuen Vorwürfe reagiert. Dass sie dabei einige Kühnheit entwickeln kann, bewies sie erst vor wenigen Monaten in ihrer Antwort auf den Entzug ihres Doktortitels (Rechtswidriger Titelentzug?).

Auch die Vorwürfe, die in dem Panorama-Beitrag gegen sie erhoben werden, haben es in sich. So heißt es, dass sie "in diesem und auch im vergangenen Jahr alle Sitzungen des Petitionsausschusses des Europäischen Parlamentes geschwänzt" habe. Im November 2009 soll sie zuletzt an einer Sitzung des "regelmäßig tagenden Ausschusses" teilgenommen haben. Der Ausschuss behandle Anliegen und Probleme der Bürger und es sei auch der einzige Ausschuss, in dem die FDP-Politikerin Vollmitglied sei, moniert der Magazin-Bericht, der heute abend gesendet wird. Auf der Homepage der Politikern heißt es:

Ein wesentlicher Teil der Arbeit im Europäischen Parlament findet in den Ausschüssen statt.

Damit nicht genug, die Recherchen ergaben zudem, dass Koch-Mehrin auch vor ihrem (erzwungenen) Rücktritt als Mitglied im Ausschuss "Industrie, Forschung und Energie" bei "fast allen Sitzungen" fehlte. Allerdings war Koch-Mehrin in diesem Ausschuss lange Zeit nur stellvertretendes Mitglied, als sie dann Vollmitglied wurde, gab es wegen der Plagiatsaffäre über ihre Doktorarbeit sehr laute und heftige Diskussionen, weshalb sie kurze Zeit später den Posten räumen musste. Das Bild von einer nur mäßig engagierten Vertreterin der Partei der Leistungsbewussten wird schließlich damit abgerundet, dass laut Recherchen "seit rund vier Monaten so gut wie keine öffentlichen Termine außerhalb des Europäischen Parlamentes bekannt geworden (sind), an denen Koch-Mehrin teilgenommen hätte".

Zu einer Stellungnahme sei Koch-Mehrin nicht bereit gewesen, weder vor der Kamera noch in schriftlicher Form. Als Reaktion habe man lediglich festgestellt, dass die Homepage der Politikerin plötzlich "geradezu hektisch verändert" wurde, nachdem sie laut Panorama zuvor das letzte Mal im Juni aktualisiert worden war "und in weiten Teilen auf dem Stand von 2009" war. Nun ist dort ein Zeitraum zu lesen für ihre Arbeit im Petitionsausschuss: von 2009 bis 2011. Möglich also, dass sie diesen Tätigkeitsbereich schon länger hat ausklingen lassen.

Der Vorwurf, den man ihr 2009 gemacht hat, dass sie so selten an Sitzungen des Europäischen Parlaments teilgenommen habe, kann man der Politikerin aber nicht mehr machen: Sie nahm an rund 84 Prozent aller Plenarsitzungen teil. Allerdings, so legt der Panorama-Bericht nahe, weil sie sich die Nichtteilnahme in ihrer Funktion als stellvertretende Parlamentspräsidentin (bis zum Rücktritt im Mai) nicht leisten konnte.

Silvana Koch-Mehrin bekommt als Abgeordnete des Europäischen Parlamentes ein Bruttogehalt von rund 8.000 Euro. Hinzu kommen eine allgemeine Kostenpauschale von rund 4.300 Euro sowie ein Tagegeld pro Sitzungstag von rund 300 Euro. Sie hatte das Mandat trotz der Plagiats-Affäre um ihre Doktorarbeit im Mai 2011 behalten.