Schöne grüne Scheinwelt: Umwelt und Klima als Werbegag
Seite 2: "Dein Markt für mehr Klimaschutz"
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Der Rewe-Konzern, der den Slogan "Dein Markt für mehr Klimaschutz" pflegt, verpflichtete sich schließlich, auf die "klimaneutrale" Fleisch-Werbung zu verzichten.
Grundlage der ursprünglichen Rewe-Aussage war eine so genannte "Ausgleichsagentur", die Unternehmen anbietet, so viele Treibhausgase an anderer Stelle einsparen zu helfen, wie bei der Produktion ihrer Ware entstehen. "Greenwashing bei 'klimaneutral'-Aussagen nachzuweisen ist sehr kompliziert, weil die Projekte komplex sind und man nicht alle Informationen bekommt", sagt Juristin Bindewald.
Zweifelhafte Waldprojekte
Bei Rewe wurden die eigenen Emissionen mit Zertifikaten aus einem Waldprojekt in Peru kompensiert, das die Ausgleichsagentur "climatepartner" vermittelte. In dem Projekt werden in industrieller Forstwirtschaft Eukalyptus-Monokulturen angebaut. Dabei wird das umstrittene Herbizid Glyphosat gespritzt, und es ist zudem fraglich, ob durch das Projekt tatsächlich zusätzliches Treibhausgas gebunden wird. Nach der foodwatch-Recherche gab Rewe das Projekt auf.
Entstandene Emissionen an anderer Stelle einzusparen – das ist das neueste Einfallstor für Greenwashing. "Eindeutig: Der Trend geht zum Kompensieren", sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer der Ausgleichsagentur atmosfair. Die Kreuzfahrt, das Auto, der Blumenladen, die Tagung – "mein Eindruck ist: Die Nachfrage ist marktgetrieben". Viele, die bei atmosfair nachfragen würden, täten dies, weil sie den Eindruck hätten, "ich muss das machen, das gehört jetzt dazu", so Brockhagen.
Oft wüssten solche Kunden gar nicht, dass sie andere Materialien verwenden, andere Ausschreibungen machen müssten, um wirklich einen Beitrag zu mehr Klimaschutz zu leisten. "Sie wollen das Label ‚klimaneutral‘, ohne wirklich was zu machen", urteilt Brockhagen. Es gebe aber eine Grenze der CO2-Kompensation, sagt der Geschäftsführer: "Wir arbeiten nur mit Firmen zusammen, denen es bei ihrer Kompensation wirklich um Klimaschutz geht."
Deshalb hat atmosfair eine Leitlinie zu "Anforderungen und Grenzen der CO2-Kompensation" entwickelt, die Mindestbedingungen definiert, die für eine Zusammenarbeit mit atmosfair erfüllt sein müssen. Bedingung Nummer Eins: "Es gibt keine realistische Alternative, die jetzt weniger CO₂ verursacht."
Zu Fleisch, Tomaten aus Spanien, Rosen aus Kenia oder einer Kreuzfahrt gibt es realistische Alternativen, weshalb atmosfair als Partner nicht zur Verfügung steht. Für den Umzug per LKW, das Verschicken eines Pakets oder den Interkontinentalflug fehlen dagegen solche Alternativen, weshalb atmosfair die dabei entstandenen Emissionen an anderer Stelle wieder einspart.
In einem ersten Schritt sucht atmosfair Projekte, deren Emissionen ersetzt werden können, beispielsweise die mit Diesel betriebenen Garküchen auf einem Pilgerweg in Indien. Im Schritt zwei wird ermittelt, wie viel Diesel im Jahr von diesen Küchen verbrannt wird, wie viel Kohlendioxid dabei entsteht. Im Schritt drei wird bestimmt, wie viel es kostet, die Garküchen auf leistungsfähige Sonnenkocher umzustellen.
Daraus ergibt sich der Preis, der etwa für einen Flug von Frankfurt/Main nach New York und zurück – Durchschnittliche Airline – erhoben wird, um die entstandene Klimaschuld auszugleichen: Für die 2,9 Tonnen, die dabei entstehen, müssen aktuell 68 Euro gezahlt werden.
Kleinbiogasanlagen in Nepal, solarbetriebene Wasserentsalzungsanlagen in Kenia oder einer Kompostanlage für Marktabfälle in Dar es Salaam, Tansania: atmosfair sucht weltweit Potenziale, um Wohlstandsemissionen durch Entwicklungszusammenarbeit auszugleichen.
"Waldprojekte bieten wir dabei nicht an", sagt Geschäftsführer Dietrich Brockhagen. Vor allem die "Permanenz" sei ein Problem, niemand könne garantieren, dass neu gepflanzte Bäume nicht abgeholzt oder durch Dürre und Schädlingsbefall vernichtet werden. Brockhagen: "Wir wachsen nicht so schnell wie andere Anbieter, haben aber einen guten Ruf".
71,9 Prozent vertrauen auf Werbekennzeichnung
Die "klimaneutrale" Landmilch von Aldi, die "klimaneutralen" Toilettenfeuchttücher von Rossmann oder die "klimaneutrale" Outdoor-Ausrüstung von Vaude – Umfragen belegen, dass "klimaneutrale" Produkte bei Verbrauchern hoch im Kurs stehen. "71,9 Prozent der Befragten bringen der Kennzeichnung ‚klimaneutral‘ Vertrauen entgegen und nur 20,7 Prozent werden misstrauisch, wenn sie eine solche Aussage auf einem Produkt entdecken", erhob das Onlinemagazin Utopia.
Die Plattform zum Thema Nachhaltigkeit hatte im März 2021 fast 4.000 Ihrer Nutzer:innen befragt. Dabei gibt es keinen Grund für so viel Vertrauen, wie Juristin Bindewald sagt: "Viele Hersteller werben mit irreführender Klimawerbung."
Neuerdings wollen Unternehmen und Konzerne selbst "klimaneutral" werden, Eon, die Deutsche Post, BMW oder Ikea zum Beispiel haben sich Klimapläne gegeben, bis Mitte des Jahrhunderts soll ihr Ausstoß bei Netto-Null liegen.
"Teilweise sind die Pläne sehr vage, die Ziele unverständlich formuliert – eine neue Form des Greenwashings.", erläutert Frederic Hans vom NewClimate Institute, das die Klimaschutzpläne der 25 größten Konzerne untersuchte: "Die Deutsche Post zum Beispiel hatte Stand Februar 2022 überhaupt nicht spezifiziert, wie viel Treibhausgase sie bis 2050 selber reduzieren will".
Stattdessen werde "Kompensieren" großgeschrieben, 24 von 25 Unternehmen verlassen sich der Untersuchung zufolge auf Kompensationsgutschriften unterschiedlicher Qualität. "Damit verpflichten sich die Konzerne nicht zum Klimaschutz über alle Schritte ihrer Wertschöpfungskette hinweg, sondern sie suggerieren ihn in Teilen nur", sagt Hans.
"Immerhin ist vielen Unternehmen bewusst geworden, dass es nicht reicht, ein bisschen was zu machen", sagt Nachhaltigkeitsforscher Stefan Schaltegger. Die große Naivität, die etwa der RWE-Riese ausstrahlte, sei verschwunden, viele Unternehmen würden begreifen, dass nachhaltige Kommunikation nur funktionieren kann, wenn man auch nachhaltiger wirtschafte.
Schaltegger sieht aber auch den Gesetzgeber in der Pflicht: "Wir brauchen für das Label 'klimaneutral' eine Regelung wie beim Biosiegel: klar umrissene Kriterien, die vom Träger eingehalten werden müssen."
Forscher Simon Mütze sieht das ähnlich, er konstatiert "einen Irrwald aus Umweltlabels", auch er mahnt Regierungsinitiativen, wie etwa beim Verbraucherschutz, an: "Drei bis fünf staatliche Labels, die bekannt und seriös sind – das würde helfen, nachhaltige Produkte einfacher zu erkennen". Und Foodwatch-Juristin Rauna Bindewald fordert: "Wir brauchen endlich Gesetze gegen Greenwashing!"
Scheint so, als habe dies die EU begriffen. Mit ihrer Taxonomie-Verordnung hatte sie einen Anfang gemacht. "Grundidee ist, zu definieren, was unter nachhaltigen Investitionen verstanden werden soll und was nicht", sagt Professor Schaltegger. Auf diese Weise würde ein Anreiz für grüne und nachhaltige Investitionen geschaffen. Jetzt startete die EU eine Gesetzesinitiative gegen das Greenwashing.
In der Präambel heißt es: "Verbrauchern fehlen verlässliche Informationen über die Nachhaltigkeit von Produkten, sie sind mit irreführenden Geschäftspraktiken konfrontiert wie Greenwashing oder der mangelnden Transparenz und Glaubwürdigkeit von Umweltkennzeichnungen."
Bleibt zu hoffen, dass es den Lobbyisten auf dem Weg bis zum Gesetz diesmal nicht gelingt, den Gesetzestext zu verwässern.