Schöne, neue Konsumkultur

Seite 2: Richtiger Konsum

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Besser oder richtig ist Konsum dann, wenn die bewusst ausgewählten Dinge biologisch oder ökologisch etikettiert sind, zumindest lokal hergestellt, handgemacht, edel oder rar, und keinesfalls Mainstream bzw. Proll-Marken. Man kauft als achtsamer, politisch korrekter Verbraucher im Hofladen (Bio) und beim Gemüse-Türken (multikulti), gelegentlich bei Lidl (preisbewusst ist auch korrekt). Zum Wohnraum mit italienischen Designermöbeln kann die 60er Jahre Shabby Chic-Küche kombiniert werden, denn Essen geht man ja doch meist in neue kleine Lokale mit Flair, Biowein oder Craft Beer.

Ein Auto ist verzichtbar, es sei denn das Kind muss in den Waldorf-Kindergarten oder in die Montessori-Schule gebracht werden (Hybrid oder der geerbte Jeep vom Großvater). Gleichgesinnte Freunde sind ganz wichtig und der hier herrschende Gruppendruck, zudem man selbst meist kräftig beisteuert, bildet eine freundliche Subkultur, eine Filterblase des richtigen Konsums bzw. Lebens im falschen der übrigen Menschen. Marketingleute haben diese Gruppe schließlich Bobos (bourgeoise Bohemien) oder Lohas3 genannt und natürlich entsprechende Absatzstrategien dazu entwickelt.

Richtiger Konsum heißt, vom Denken der postmateriellen Gruppe als unter den gegenwärtigen Umständen vertretbar angesehener, damit gerechtfertigter Konsum. Das ist das selbstgefällige Distinktionsmerkmal gegenüber der Masse, die nicht bewusst konsumiert, jedoch sich ebenso verhalten könnte, wenn sie nur wollte, denn prinzipiell stehen ja allen alle Wahlmöglichkeiten offen.

Gruppendruck und Individualismus?

Tatsächlich verhalten sich Bobos beim Konsum bewusster, damit wählerischer bei Kaufentscheidungen, müssen sie doch schließlich einem höheren Gruppendruck standhalten, oft wollen sie auch Beispielgeber für den Freundeskreis sein, da kann man nicht blindlings darauf los konsumieren. Bedenkt man die beständig rigiden sozialen Normen, die Postmaterialisten sich und ihresgleichen - auch über Konsum hinaus - antun, dann bleibt vom Individualismus wenig übrig, aber das ist grundsätzlich ein Problem rosagrüner Denkungsart.

Ergänzend zum Gruppendruck (der einen selbst betrifft) können natürlich zur Disziplinierung der anderen Verbraucher und zur Etablierung politischer Korrektheit, vom Staat weitere Verbesserungen im Sinn der richtigen Konsumformen eingefordert werden. Etwa Tabakverbot, Alkoholverbot, Einschränkungen bei der Verwendung von Zucker usw., Fleischverbot (anfangs zumindest an einem Wochentag) oder zumindest in Hinblick auf kulturelle Rücksichtnahme auf bzw. Nichtdiskriminierung der Muslime, sowie zwecks Vermeidung von Tierleid, ein Schweinefleischverbot. Und das geht weit über Lebensmittel hinaus, rigorose Erbschaftssteuern auch für kleine Häuschen und Sparbücher.

Der Mensch ist, so das postmaterielle Verständnis, von Natur aus prinzipiell gut, erst die kleinbürgerliche, konservative oder rechte Gesellschaft verdirbt ihn. Dennoch bleibt ein Misstrauen - wenn es um allgemeine Partizipation (etwa direkte Demokratie) geht, traut man den Mitbürgern, insbesondere den Kleinbürgern lieber weniger über den Weg.

Vorstellungen davon, welcher Konsum "richtig", notwendig oder sinnvoll ist, gibt es bei allen Milieus, nicht nur bei den Postmaterialisten. Dazu verändern sich diese Konsum-Sets, diese "standard packages"4 mit Moden und mit dem technisch-konsumgesellschaftlichem Fortschritt. In der mild belächelten "Society", also bei den Celebrities sieht es anders aus (Privatflugzeug, Bodyguard, Champagner, Kaviar) als in der mitteleuropäischen Mittelschicht, bei den Bobos, oder bei radikalökologischen Suffizienz-Freaks - die letzteren wären ja die echten Öko- und Konsumverweigerungshelden.

Umweltfreundlich…

Ob Bobos und Lohas ökologiefreundlicher konsumieren? Bei Lebensmitteln und Bekleidung mag das wahrscheinlich so sein, vor allem hängt das jedoch vom Umgang mit den dauerhaften Konsumgütern und den sonstigen Gewohnheiten ab. Werden die sündhaft teuren Designermöbel bis ans Lebensende des Verbrauchers genützt, dann ja, ebenso wenn die nahezu unerschwingliche mechanische Goldarmbanduhr das ganze Leben lang getragen und dem Kind vererbt wird. Dazu kommt, die hohen Preise luxuriöser Güter verhindern den Kauf vieler Bling-Bling-Sachen - denn auch gut verdienende Bobos haben ein begrenztes Konsumbudget. Natürlich macht die jährliche Südamerikareise das dann alles wieder zunichte.

Die psychopathologische Haltung der Postmaterialisten zum Konsum gab es schon bei den Leuten der "68er Bewegung". Rhetorisch echauffierte man sich strikt über den Konsumwahn und die Werbung (was auch heute noch zum guten postmateriellen Ton gehört), jedoch wenn Geld verfügbar wurde, war man dem Luxus gegenüber überhaupt nicht abgeneigt, gewissermaßen im Sinn eines ausgeübten Konsumrechts für alle. Geändert haben sich nur die Objekte der Begierde. Und übersehen wurde dabei immer, dass der Mensch für Konsum ausreichend Geld benötigt und der Marsch durch die Institutionen - also die gute erwerbswirtschaftliche Integration in die Gesellschaft - auch nicht allen möglich ist, denn dazu bedarf es zumindest kleinbürgerlicher oder noch besser situierter Eltern.

Jedenfalls, im späten Kapitalismus sind unterschiedliche milieuspezifische Konsumvorlieben wie die der Bobos, nicht nur erlaubt, sie sind herzlich willkommen. Fordern sie doch die Flexibilität, die Anpassungsleistung des wirtschaftlichen Systems heraus. Sie sind ein wichtiger Wettbewerbsfaktor und Grundlage für neue Geschäftsideen. Genau das ist ein wesentlicher Stützpfeiler des Kapitalismus.

<FR>Der Text stammt aus dem eben erschienen Telepolis-eBook "Schöne neue Konsumkultur Fußweg durch den Konsumdschungel" des Ökonomen und Verbraucherforschers Karl Kollmann.<B>