Schottland: Klares Votum für zweites Unabhängigkeitsreferendum

Grenzschild der britischen Eisenbahn bei Marshall Meadows Bay. Foto: Taras Young/CC BY-SA 4.0

Die SNP wird gestärkt, verpasst die eigene absolute Mehrheit; die Unabhängigkeitsbewegung hat aber eine klare Mehrheit im Parlament

Nur wenige Stimmen haben es in Schottland verhindert, dass alle Träume der Schottischen Nationalpartei (SNP) in Erfüllung gingen. Dass die absolute Mehrheit verfehlt wurde, lag an einem wahltaktischen Verhalten unter Unionisten, wie der Experte Sir John Curtice gegenüber der britischen BBC erklärte.

Das habe knapp verhindert, dass die linksnationalistische Partei mit 65 Sitzen auf eine eigene absolute Sitzmehrheit kommen konnte, so Curtice. Etliche Wähler der konservativen Tories, der sozialdemokratischen Labour oder Liberaldemokraten hätten demnach nicht nach Inhalten von Parteiprogrammen entschieden, sondern rein nationalistisch. In umkämpften Wahlkreisen wie Dumbarton sei von Unionisten der Kandidat mit den größten Siegeschancen gewählt worden, um einen Sieg der SNP zu verhindern.

"So war die taktische Stimmabgabe am stärksten bei Sitzen, die die unionistischen Parteien zu verteidigen versuchten und spielte eine wichtige Rolle dabei, dass eine Reihe von Sitzen, die die Opposition hielt, erfolgreich verteidigt werden konnten", so der Politikwissenschaftler, spezialisiert auf Wahlen und Fragen zur schottischen Unabhängigkeit.

Regierungspartei SNP: Nur einen Sitz von absoluter Mehrheit entfernt

Das genannte taktische Vorgehen hat aber den klaren Wahlsieg der SNP und der Regierungschefin Nicola Sturgeon nicht aufhalten können. Die Wahlen vom Donnerstag sind in etwa so ausgegangen, wie es sich die bisher regierende SNP und die Unabhängigkeitsbewegung insgesamt vorgestellt und erhofft hatten. Das zeigen die Wahlergebnisse der Erst- und Zweitstimmen, nachdem die komplizierte Auszählung am späten Samstag beendet war. Mit 64 Sitzen blieb die SNP nur einen Sitz hinter der eigenen absoluten Mehrheit von 65 Sitzen zurück.

Bei den Erststimmen kam sie beim vierten SNP-Wahlsieg in Folge auf fast 48 Prozent. Den Erfolg feierte die alte und neue "First Minister of Scotland" Nicola Sturgeon entsprechend.

Dass die SNP ihr Maximalziel knapp um nur einen Sitz verfehlt hat, kann die Partei, aber vor allem die Bewegung für die Eigenständigkeit, leicht verschmerzen. Denn sie wurde weiter deutlich gestärkt. Sie kann nun auf eine klare Sitzmehrheit bauen, da auch die grüne SGP, die ebenfalls für eine Loslösung vom Vereinigten Königreich eintritt, von sechs auf acht Sitze zugelegt hat.

Beide Parteien verfügen nun über eine stabile Mehrheit von 72 der 129 Sitze im Parlament, während die Unionisten nur noch auf 57 kommen. Die Wähler und Wählerinnen haben der Regierung ein klares Mandat dafür erteilt, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ("Indyref2") auf den Weg zu bringen, wie es SNP und SGP versprochen haben.

Erfolge der Regierungspartei

Sturgeon verweist auf die Rekorde, die ihre SNP bei diesen Wahlen erreicht hat: "Wir haben 62 Wahlkreissitze gewonnen - eine Rekordzahl und das sind unglaubliche 85 Prozent der Gesamtzahl." Sie fügte an, dass die SNP alle Wahlkreise halten konnte, die sie 2016 gewonnen hatte, aber Labour und Tories in den Wahlkreisen trotz des taktischen Verhaltens der Unionisten drei Sitze abnehmen konnte.

In der Tat haben wir mehr Stimmen und einen höheren Anteil an den Stimmen in der Wahlkreisabstimmung gewonnen als jede andere Partei in der Geschichte.

Nicola Sturgeon

Als weiteren Erfolg verbucht die offene linksnationalistische Partei, dass mit Kaukab Stewart erstmals auch eine "women of colour" ins Parlament gewählt wurde. Im Wahlkampf hatten Rechtsextreme wie Jayda Fransen von "Britain First" der SNP vorgeworfen, das Land zu zerstören.

Es gefiel ihnen überhaupt nicht, dass nun auch Flüchtlinge wählen durften. Als Fransen Sturgeon am Wahltag aggressiv anging, wie hier im Video zu sehen ist, erklärte die nur ruhig: "Sie sind eine Faschistin und Rassistin". Die Unionistin und ihre Anhänger gaben zwar vor, für das Volk zu sprechen, doch die verurteilte ultrarechte Gewalttäterin kam gerade auf 46 Stimmen.

Die neue Partei Alba

Gescheitert ist der frühere SNP-Chef Alex Salmond. Dessen Abspaltung von der SNP kam nur auf knapp 45.000 Stimmen und damit nicht ins Parlament. Umfragen hatten seiner Partei "Alba" - die schottisch-gälische Eigenbezeichnung für Schottland - bis zu drei Prozent vorhergesagt. Der politische Ziehvater von Sturgeon kam in seinem Wahlkreis aber nur auf knapp 8.300 Stimmen.

Unter Salmond hatte die SNP 2011 mit 69 Sitzen eine absolute Mehrheit erreicht und sich auf den Weg zum ersten Unabhängigkeitsreferendum gemacht. Damals kam die grüne SGP allerdings nur auf zwei Sitze. Gemeinsam haben die Unabhängigkeitsbefürworter nun einen Sitz mehr als damals. Salmond meint, dass die SNP nur mit Alba-Unterstützung zwei Sitze in umkämpften Wahlkreisen gewonnen habe. Alba habe die Menschen in beiden Regionen angehalten, in denen es knapp gewesen sei, SNP zu wählen.

Warnung an Johnson

Sturgeon will sich nun sofort an die Arbeit machen. "Die Menschen haben den Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, eine Mehrheit gegeben", erklärte sie in ihrer Siegesrede. "Das ist der Wille des Landes." Es gebe für konservativen britischen Regierungschef "Boris Johnson oder irgendjemand anderen angesichts dieses Ergebnisses keine demokratische Rechtfertigung, das Recht der schottischen Bevölkerung, unsere Zukunft selbst zu wählen, zu blockieren". Sie warnte Johnson vor einem "Kampf mit den demokratischen Wünschen des schottischen Volkes", wenn er versuche, eine zweite Abstimmung zu blockieren.

Sie wendete sich in ihrer Rede auch direkt an den britischen Premierminister:

Sie werden keinen Erfolg haben. Die einzigen Menschen, die über die Zukunft Schottlands entscheiden können, sind die Schotten.

Nicola Sturgeon

Sie machte in ihrem Fahrplan aber auch deutlich, dass zunächst die Coronavirus-Krise überwunden werden müsse und grenzte sich damit von Salmond ab. Der Fokus ihrer Politik werde zunächst darauf liegen, das Land durch die Pandemie zu führen und die Menschen zu schützen. Es gehe darum, die Wirtschaft mit einem ehrgeizigen Programm wieder in Gang zu setzen und zu stärken.

"Und, ja, wenn die Krise vorbei ist, sollen die Menschen in Schottland das Recht haben, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden", kündigte sie die zweite Abstimmung an. "All das habe ich versprochen und all das habe ich vor zu liefern."

Die zweite Abstimmung über die Unabhängigkeit

Sturgeon ließ am Sonntag nun aber auch durchblicken, dass es schon im kommenden Jahr eine zweite Abstimmung geben könnte. Sie schließe nicht aus, dass die entsprechende Gesetzgebung "Anfang kommenden Jahres" ins schottische Parlament eingebracht werde. Der Zeitpunkt eines Referendums sei allein eine Sache, über die das schottische Parlament zu entscheiden habe. Es sei "keine Entscheidung von Boris Johnson oder irgendeinem Politiker in Westminster".

Wann Schottland ein zweites Referendum durchführen soll, darüber sind sich Sturgeon und Salmond nicht einig. Salmond will es so früh wie möglich angehen. Für ihn ist die Unabhängigkeit auch für die ökonomische Erholung des Landes von zentraler Bedeutung, weshalb die Frage sofort auf die Tagesordnung gesetzt werden müsse:

Schottland kann es sich nicht leisten, die wirtschaftlichen Entscheidungen darüber, wie wir uns von dem Coronavirus erholen, in den Händen von Westminster zu lassen.

Alex Salmond