Schottland: Klares Votum für zweites Unabhängigkeitsreferendum
Seite 2: Die Reaktion von Boris Johnson
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In London ist man sowieso ganz anderer Meinung. Johnson hatte schon vor dem klaren Wahlergebnis ein Referendum mit den Worten abgelehnt, es sei "unverantwortlich und leichtsinnig". Er hatte zuletzt sogar behauptet, dass sich die SNP "von der Idee eines Referendums entfernt habe, und ich denke, das war sehr weise".
Johnson hat Sturgeon zwar zum Wahlsieg gratuliert, in einem Brief an sie aber gleichzeitig auch die Einheit Großbritanniens beschworen:
Es ist meine leidenschaftliche Überzeugung, dass den Interessen der Menschen im Vereinigten Königreich und besonders der Menschen in Schottland am besten geholfen ist, wenn wir zusammenarbeiten.
Boris Johnson
Der Nutzen dieser Kooperation habe sich besonders bei der Impfkampagne in der Corona-Pandemie gezeigt. "Das ist Team Vereinigtes Königreich in Aktion", erklärte Johnson. Er lud Sturgeon zu einem Treffen ein, um auf einem Gipfel auch mit den Regierungschefs von Wales und Nordirland darüber zu beraten, wie man die Herausforderungen bewältigen könne.
Sein unverantwortliches Verhalten zu Beginn der Pandemie, als er so lange zu denen gehörte, die Covid-Gefahren kleinredeten, und er auf eine Durchseuchung setzte, sprach er dagegen nicht an. Er änderte seine Einstellung erst, als er selbst schwer am Virus erkrankte. Das chaotische Vorgehen, das Großbritannien sowohl viele Tote und dazu einen massiven Wirtschaftseinbruch brachte, hat in Schottland nachhaltige Spuren hinterlassen. Auch die kann man beim ersten Stimmungstest seit dem Brexit nun auch in Wales gut sehen, wo Labour die Wahlen klar gewonnen. Sie konnte 30 von 60 Sitzen gewinnen.
Für die Schotten ist ein zweites Referendum von zentraler Bedeutung, schließlich hat sich ihre Lage mit dem Brexit dramatisch verändert. Sie hatten 2014 beim ersten Referendum, mit dem der frühere konservative Regierungschef David Cameron keine Probleme hatte, mit 55 Prozent gegen die Abtrennung von Großbritannien gestimmt.
Denn die EU, die nun schon "eilig" auf die Loslösung Schottlands aus dem Königreich wartet, hatte damals immer wieder gedroht, das Schottland mit einer Unabhängigkeit sich außerhalb der EU befinden würde. Beim Brexit-Referendum hatten sich dann die Schotten mit 62 Prozent klar gegen den Austritt aus der EU gestemmt. Sie wurden aber über die Mehrheit in Großbritannien gegen ihren Willen aus der EU gespült.
Das klare Wahlergebnis bringt Johnson nach Ansicht von Beobachtern schwer unter Druck, auch der eigenen Bevölkerung. Denn die ist in Großbritannien mehrheitlich der Meinung, dass nach dem Brexit die Schotten das Recht auf eine zweite Abstimmung haben sollten. "Mehr als die Hälfte der Menschen im Vereinigten Königreich glauben, dass Schottland ein zweites Unabhängigkeitsreferendum innerhalb der nächsten fünf Jahre erlaubt werden sollte", schreibt die Financial Times in Bezug auf eine Umfrage.
Regierungskoalition mit Grünen?
Zunächst steht nun aber die Regierungsbildung an. Eine große Frage ist, ob Sturgeon erneut einer Minderheitsregierung vorstehen will. Grünen-Chef Patrick Harvie würde das nicht überraschen. Harvie will sich auch nicht festlegen, ob die SGP in eine Regierungskoalition eintreten würde, allerdings gebe es auch noch "keine Pläne" für Koalitionsgespräche. Die schließt er allerdings auch nicht aus.
Seine Partei habe gezeigt, "dass wir einen wirklich ernsthaften Einfluss ausüben können, indem wir eine Minderheitsregierung aus ihrer Komfortzone herausdrängen und sie dazu drängen kann, progressiver und mutiger zu sein."
Es liege an der SNP, ob sie die Hand ausstrecken und andere Vereinbarungen diskutieren wolle. Letztendlich wird das aber eine Entscheidung der Basis sein. Die muss vor jeder Koalitionsbildung darüber abstimmen und das Ergebnis dieser Abstimmung ist bindend für die Parteiführung.
Auch für die SGP ist klar, dass die Tories diesen Wahlausgang nicht ignorieren können. Harvie meint, dass man in London nun mit juristischen Spielchen kommen werde. Die britische Regierung habe "eindeutig keine politische Glaubwürdigkeit in dieser Frage". Die Zukunft Schottlands liege nicht in den Händen eines Mannes in Nummer 10 der Downing Street.
"Alle wissen, dass die Zukunft Schottlands in die Hände der Menschen gehört, die in Schottland leben", sagte er. Die SGP werde im ganzen Land, wie die Mehrheit im Parlament, weiter auf das zweite Referendum hinarbeiten.
Großbritannien ist nicht Spanien
Bleibt Johnson bei seiner Haltung und lehnt ein zweites Referendum ab, wird der Konflikt mit Schottland zugespitzt. Die Mehrheit der Abgeordneten im schottischen Parlament kann ohnehin die für die Abstimmung nötigen Gesetze verabschieden. Johnson müsste dann vor dem britischen Supreme Court dagegen klagen. Erwartet wird, dass der Supreme Court in diesem Fall entscheidet, dass ein Referendum ohne Zustimmung aus London unmöglich ist.
Das können SNP und SGP aber aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht hinnehmen. In Schottland wird deshalb längst darüber nachgedacht, das Referendum einseitig nach katalanischem Vorbild durchzuführen. Vor allem Salmond und Alba drängen in diese Richtung. Die Frage ist, ob London dazu bereit wäre, wie seinerzeit Madrid im Fall Kataloniens, in Schottland mit massiver Repression durchzugreifen. Ob Johnson ein Referendum wie in Katalonien nach spanischem Vorbild in einer "militärähnlichen Operation" zusammenprügeln würde?
Ob er Sturgeon und ihre Regierungsmitglieder wegen Aufruhr oder Rebellion anklagen würde, so dass sie lange Haftstrafen befürchten müssten oder wie Carles Puigdemont ins belgische Exil flüchten, wo sie weiter verfolgt würden?
Das ist kaum vorstellbar, auch weil die britische Gesellschaft anders als die spanische strukturiert ist. In diesem Königreich besteht ein demokratisches Grundverständnis, das zeigte schon beim ersten Referendum in Schottland, aber auch beim Brexit-Referendum. Staatsminister Michael Grove wollte sich am Sonntag im Interview nicht einmal dazu äußern, ob die britische Regierung vor den Supreme Court ziehen werde, um "Indyref2" zu verhindern.
Solche Spekulationen seien "nichts anderes als massive Ablenkung", sagte er. Und er brachte einen Satz über die Lippen, der in Spanien in Bezug auf Katalonien nicht einmal von den Sozialdemokraten zu hören ist, geschweige denn von Konservativen, wie Grove einer ist: "Natürlich" habe Schottland das Recht auf ein zweites Referendum und damit das Recht Großbritannien zu verlassen, sagte er im Interview mit Sky News.