Plötzlich wartet die EU "eifrig" auf das unabhängige Schottland
Bei einer neuen Umfrage spricht sich in Schottland nach dem Brexit nun eine Mehrheit für den Abgang aus
Die schottische Zeitung "The National" hat eine neue Umfrage veröffentlicht, wonach nun 52% der Schotten nach dem Brexit das Vereinte Königreich verlassen wollen. Die Umfrage wurde kurz vor dem definitiven Ausscheiden des Königreichs am 31. Januar durchgeführt.
Es sei ein "massiver Anstieg" derer zu verzeichnen, die Großbritannien in Richtung Unabhängigkeit jetzt verlassen wollen. Es habe sich eine Verschiebung um fünf Prozentpunkte seit der vorhergehenden Umfrage ergeben, schreibt die Zeitung. Eine Woche zuvor hatte schon eine andere Umfrage festgestellt, dass die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit jetzt in der Mehrheit sind.
Dass Boris Johnson stets erklärt hat, dass man "die EU als einiges Land" verlassen werde, erweist sich als klare Propaganda. Es war zudem schon zuvor bekannt, dass beim Brexit-Referendum die Mehrheit der Schotten mit 62% gegen den Brexit gestimmt hatte. Und auch bei den letzten Wahlen im Dezember waren die "Remainer" in Schottland in der Mehrheit. Die Schottische Nationalpartei (SNP) gewann sogar 48 der 59 schottischen Sitze.
Die SNP-Chefin und "First Minister" Nicola Sturgeon hat bereits ein zweites Unabhängigkeitsreferendum auf die Tagesordnung gesetzt. "Die schottischen Bürger müssen die Möglichkeit haben, zwischen einem harten Brexit und der Unabhängigkeit wählen zu können", sagte sie. Nach dem vollzogenen Brexit erklärte sie, dass die Trauer über den Brexit in Schottland "mit Wut gefärbt" sei. Ein unabhängiges Schottland habe eine "andere, bessere" Zukunft: "Unsere Aufgabe ist es, eine Mehrheit der Menschen in Schottland davon zu überzeugen."
Dass Schottland ein neues Referendum will, ist nur zu verständlich, denn die politische Lage hat sich nun vollständig seit der Entscheidung von 2014 verändert. Auch aus Brüssel wurde damals gebetsmühlenartig vorgetragen, dass Schottland aus der EU fliegen werde, wenn es sich in die Unabhängigkeit verabschiedet. Nachdem die Anführer der drei großen Parteien zuvor den Schotten noch allerlei Verbesserungen in der Finanzierung und bei Autonomierechten versprochen worden waren, votierten schließlich 55% gegen die Unabhängigkeit.
Für Sturgeon ist klar, dass die schottische Unabhängigkeit der einzige Weg ist, um in der EU zu bleiben. Die Forderung lehnt Johnson natürlich ab und will offenbar auch nach den schottischen Wahlen 2021 hart bleiben. Doch will er ein Referendum wie in Katalonien nach spanischem Vorbild zusammenprügeln? Will man Sturgeon wie Carles Puigdemont ins Exil treiben und die halbe Regierung wegen Rebellion anklagen und wegen Aufstand zu zweistelligen Haftstrafen verurteilen, weil Wahlurnen aufgestellt wurden und friedlich abgestimmt wurde, wie es Spanien undemokratisch vormacht? Das ist kaum vorstellbar.
Empathie für die Schotten
Wie aber zu erwarten war, hat sich nun der Wind in Brüssel in der schottischen Unabhängigkeitsfrage gedreht. Das zeigen die Worte des früheren Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk, der bis im vergangenen November Vorsitzender des Entscheidungsgremiums der Staats- und Regierungschefs der EU war. Der Pole zeigte in der britischen BBC plötzlich "Empathie" für die Schotten und erklärte, er sei nun "sehr schottisch, besonders nach dem Brexit". In der EU warte man nun "eifrig" darauf, dass Schottland unabhängig wird.
Er meinte, dass die schottische Regierung Brüssel um Hilfe bei der Wiedereingliederung in die EU als unabhängiges Land bitten solle: "Emotional gesehen besteht kein Zweifel, dass alle in Brüssel und in Europa im Allgemeinen" davon begeistert sein würden. Um nicht ganz dumm dazustehen, fügte er an, es gäbe aber keinen "Automatismus". So hatte sich die EU zuvor immer ganz anders aufgestellt und der frühere Kommissionspräsident Barroso sogar Schotten und Katalanen das Selbstbestimmungsrecht abgesprochen.
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