Schritt für Schritt in den Krieg
Deutschland will mehr Ausbilder in den Irak schicken, Großbritannien Hunderte von Soldaten
Schritt für Schritt scheinen die USA mit ihrer Anti-IS-Koalition in den Krieg im Irak und möglicherweise auch in Syrien zu rutschen. Die USA haben bereits 3000 Soldaten in Bagdad und in Erbil stationiert, zum Schutz der US-Botschaft und zur Beratung der irakischen und kurdischen Truppen. Deutschland hat bislang mit Anlaufschwierigkeiten Waffen nach Erbil geliefert und ein paar Soldaten zur Einweisung für die Peschmerga-Kämpfer geschickt, die neben den irakischen Truppen (und schiitischen Milizen) als Bodentruppen gegen den IS kämpfen sollen.
Der britische Vereidigungsminister Michael Fallon hat nun angekündigt, Hunderte von Soldaten in den Irak zu entsenden. Auch sie sollen die kurdischen und irakischen Soldaten auf vier Stützpunkten im Irak ausbilden, einer in den kurdischen Gebieten, die anderen drei bei Bagdad. Dazu werden aber auch "kleine" Kampfeinheiten entsendet, die die britischen Ausbilder schützen sollen. Gegenwärtig sind 50 britische Soldaten im Irak stationiert. Die deutsche Regierung will hingegen nur die Ausbilder schicken, andere Soldaten sollen deren Schutz garantieren. Eine schizophrene Entscheidung, zwar einerseits den Krieg aktiv mit Waffen und Soldaten zu unterstützen, aber nicht direkt in Kämpfe verwickelt zu werden. Das sollen dann andere austragen, weil man nicht in den Krieg ziehen und schon gar keine Bodentruppen entsenden will. Damit würde man in Deutschland wohl großen Widerstand ernten.
Natürlich wollen auch die Briten und Amerikaner nicht wieder in einen Bodenkrieg hineingezogen werden, aus dem sie erst im Irak ausgestiegen sind und gesehen haben, dass sich damit nichts zum Besseren wendet, wenn nicht die Iraker selbst für Stabilität sorgen. Allerdings sind spätestens durch den "Blitzkrieg" des IS sowohl Syrien als auch der Irak zu zerfallenen Staaten geworden, die sich vermutlich auch nicht mehr durch wie Gewalt und Tyrannen wie Assad oder Hussein zusammenhalten lassen. Auch wenn Kurden und Bagdad im Kampf gegen IS und unter dem Druck durch die USA wieder stärker kooperieren und sogar Vereinbarungen über die Einnahmen durch den Ölverkauf gefunden haben, dürfte dies bestenfalls ein gefrorener Konflikt bleiben.
Fallon machte im Interview klar, dass die Luftangriffe gegen IS-Stellungen im Irak - in Syrien ist die britische Luftwaffe nicht beteiligt - dazu geführt haben, dass der IS eine neue Taktik entwickelt hat. Er versucht nicht mehr wie zu Beginn, ungeschützt vor Luftangriffen, auch wenn immer wieder Hubschrauber abgeschossen wurden, Territorien im offenen Gelände mit großen Kampftruppen zu erobern oder zu kontrollieren, sondern verlegt sich noch stärker auf Anschläge und Stützpunkte in den Städten: "Sie verstecken sich in Städten und Dörfern. Das bedeutet, sie müssen durch Bodentruppen vertrieben werden." Daher müssen nun die angeblich unerfahrenen irakischen Truppen von britischen Soldaten trainiert werden. Besonderer Augenmerk gilt der Entschärfung von Bomben, was die Briten in Afghanistan gelernt hätten.
Die Trainingsorte sollen nicht dort sein, wo gekämpft wird, sondern in "sicheren" Gebieten. Aber das ist natürlich vor allem ein frommer Wunsch, da der IS sowohl in Bagdad als auch in den kurdischen Gebieten Anschläge ausübt oder dies zumindest versucht. Angeblich sollen insgesamt 1500 Soldaten aus den Ländern der Anti-IS-Koalition kurdische und irakische Soldaten ausbilden. Um das Problem, dass man damit auch den kurdischen Drang nach Autonomie stärkt, was den Zerfall des irakischen Staats fördern kann, drückt man sich ebenso herum, wie um die Existenz der schiitischen, vom Iran unterstützten Milizen, die neben der irakischen Armee gegen den IS kämpfen. Es ist ein Wespennest, in dem man kaum etwas richtig machen kann, ohne fatale Nebenwirkungen zu provozieren.
Klar ist auf jeden Fall, dass der IS durch die Angriffe und die Ausbildungsmissionen weiterhin Rückhalt bei der sunnitischen Bevölkerung in Syrien und im Irak finden kann, währen die zunehmende Zahl der dort stationierten Soldaten das Risiko erhöht, dass Soldaten aus den USA oder aus Europa getötet werden oder in die Hände des IS geraten. Schnell kann es dann dazu kommen, dass tatsächlich Bodentruppen in größerem Ausmaß entsendet werden müssen und der Krieg aus der Distanz sein Ende findet. Erschwert wird die Situation durch den Konflikt der Nato mit Russland und durch die Gefahr, dass der Krieg in Syrien und im Irak auf weitere Länder wie Jordanien, den Libanon, die Türkei sowie Iran und Saudi-Arabien übergreifen kann oder allein schon durch Flüchtlingsflut neue Konflikte aufbrechen.
Die Situation im Ukraine-Konflikt ist bereits verfahren, obgleich hier Lösungen zur Deeskalation denkbar wären, im Nahen Osten sieht die Lage heillos aus, weil hier zu viele unterschiedliche geopolitische Interessen gegeneinander arbeiten. Es wäre Größe und Interessenlosigkeit vonnöten, eine Neuordnung der Region auf diplomatischen Weg zu versuchen. Eine militärische Lösung, die stets einseitig ist, reduziert zwar die Komplexität, was attraktiv erscheinen mag, aber langfristig nichts löst, was eben der Irak - und Afghanistan - vor Augen führt. Aber diplomatisch scheint von keiner Seite eine Bereitschaft vorhanden zu sein, eine Lösung zu finden, zumal auch die Vereinten Nationen nur im Sinn der territorialen Souveränität denken, aber nicht eine Selbstbestimmung der Völker berücksichtigen können. Realistisch werden wir davon ausgehen müssen, dass aufgrund eines veralteten Völkerrechts und falsch verstandener geopolitischer Interessen, inklusive blinder Bündnistreue, der Westen, Deutschland inklusive, in einen Krieg hineinmanövriert wird. Und man wird ihn weiterhin damit verkaufen, dass man militärische Verantwortung übernehmen muss.
In den USA wird jedenfalls weiterhin auf die militärische Supermacht gesetzt. Repräsentantenhaus und Senat haben einen Verteidigungshaushalt von 585 Milliarden US-Dollar gebilligt, 63,7 Milliarden werden für Auslandseinsätze genehmigt. Mehr als 3 Milliarden sind für Soldaten im Irak vorgesehen, 1,7 Milliarden für die Ausbildung von Anti-IS-Kämpfern. Das gab es schon einmal. Die USA haben die Taliban und auch Bin Laden in Afghanistan im Kampf gegen die sowjetischen Truppen gefördert. Es ist kaum langfristig von Vorteil, auf den Feind des Feindes als Freund zu setzen. Aber so scheint Politik zu ticken.