Schritt zum biologischen Wettrüsten

Biologischer Schutzschild: In den USA nehmen die Proteste gegen geplante Labore zu

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Geschichte wiederholt sich - manchmal in kurzem Abstand. Erst Ende vergangener Woche musste sich US-Präsident George W. Bush gegen Kritik aus der Demokratischen Partei rechtfertigen, er habe den Krieg gegen Irak ohne einen Friedensplan begonnen. Nun wird ihm ähnliches Fehlverhalten auch im Inneren angelastet. Ein Milliarden US-Dollar schweres Projekt unter dem Namen "BioShield" zum Schutz gegen terroristische Angriffe mit biologischen Stoffen hatte Bush bereits in seiner Ansprache an die Nation Ende Januar angekündigt. Sechs Milliarden US-Dollar sollen innerhalb von zehn Jahren in ein Netzwerk neuer Sicherheitslabore fließen, um Forschung und Produktion von Gegenmitteln gegen Krankheiten zu fördern, die theoretisch von Terroristen eingesetzt werden könnten.

Seit Januar aber ist der Widerstand gegen das Vorhaben stetig gewachsen. Juristen im Kongress bemängeln den laxen Umgang mit Arzneimittelkontrollen, Sicherheitsexperten weisen auf die diffusen Pläne zum Bau neuer Labore hin und die Anwohner der geplanten Laborstandorte protestieren gegen den Bau. Nun kam heraus, dass das Mega-Projekt ins Leben gerufen wurde, ohne dass nur eine verlässliche Analyse über das tatsächliche Bedrohungspotential vorliegt.

Derzeit existieren in den Vereinigten Staaten mehrere Hochsicherheitslabore der Stufe 4. Der Bau dieser Einrichtungen ist durch ihre Struktur und Sicherheitsvorrichtungen extrem kostenintensiv. Nach den Plänen des Weißen Hauses sollen aus den neuen Geldern nun mindestens sechs zusätzliche Stufe-4-Labore errichtet werden. Auch die Anzahl der einfacheren Labore der Stufe 3 soll mindestens verdoppelt werden. Ziel ist es, ein landesweites Netzwerk biologischer Forschungslabore zu etablieren, um, so Bush am 23. Juni in einer Ansprache an biotechnologische Unternehmen, "Produktion und Erhältlichkeit wirkungsvoller Impfstoffe und Behandlungsmethoden gegen Pocken, Anthrax und Botulinium, Ebola, den Pesterreger und andere bioterroristische Stoffe zu verbessern".

Während ein entsprechendes Gesetz im Senat bereits grünes Licht erhielt, erhoben Rechtsexperten im Repräsentantenhaus Einspruch, weil der Umgang mit bisher vom Zugang beschränkten Stoffen völlig ungeklärt sei. Das ist besonders brisant, da Tausende Menschen mehr als bisher Zugang zu potenziellen Kampfstoffen erhalten würden. Ohnehin scheint sich in Washington niemand wirklich Gedanken um Nutzen und Risiken einer derart gesteigerten defensiven Biowaffenforschung gemacht zu haben. Insgesamt sollen neun Behörden von Gesundheitsbehörden bis zum Verteidigungsministerium an dem Labornetzwerk beteiligt sein, klare Vorstellungen über die Koordinierung zwischen ihnen wurden bislang nicht bekannt.

Widerstand gegen das "Projekt BioShield" rührt sich vor allem an den geplanten Standorten. Die angekündigte Erweiterung einer bereits bestehenden Forschungsanlage für Tierkrankheiten auf Plum Island im US-Bundesstaat Massachusetts musste wegen massiver Proteste gestoppt werden. Die Anwohner befürchteten - wie auch an anderen Standorten - die von den Laboren selber ausgehenden Gefahren. Und das nicht zu Unrecht. Der deutsch-amerikanische Wissenschaftlerverband "Sunshine Project" berichtete in einem Rundbrief Anfang des Jahres von einem Unfall in der Anlage:

Die Stromversorgung des Plum Island Animal Disease Center fiel am Wochenende vom 14./15. Dezember für drei Stunden aus, auch die Versorgung über die vorhandenen drei Notgeneratoren versagte. In dem Hochsicherheitslabor werden hochinfektiöse Tierkrankheiten, wie z. B. Maul- und Klauenseuche, erforscht. Durch den Ausfall der Stromversorgung könnte es zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit gekommen sein.

Der Stromausfall war bei weitem kein Einzelfall. Im Februar dieses Jahres entkam aus einem Tierversuchslabor in Kalifornien ein infizierter Rhesusaffe, das Tier wurde nicht wieder gefunden. Die gleiche universitäre Einrichtung gelangte durch einen Strahlenunfall in den fünfziger Jahren zu trauriger Berühmtheit, dessen Nachwirkungen bis heute andauern. Samantha McCarthy von der Bürgerinitiative Stoppt Biolabore Jetzt! sieht vor allem in dem "Transport von Krankheitserregern aus und zu dem geplanten Labor eine uneinschätzbare Gefahr". Unlängst erst war ein solcher Transporter im US-Bundesstaat Ohio verunglückt.

Immer mehr Experten und Bürgerinitiativen in den USA stellen öffentlich die Frage, warum ein solches Risiko eingegangen wird. Zumal Angriffe mit den genannten Erregern nicht stattgefunden haben und nach Expertenmeinung auch kaum durchführbar wären. Richard Ebright, Biologe an der US-amerikanischen Rutgers-Universität, sieht der Entscheidung einen "bürokratischen Wahnsinn" zu Grunde liegen. Nach dem 11. September 2001 habe der US-Kongress der Gesundheitsbehörde NHI derart viel Geld zur Verfügung gestellt, dass man dort gar nicht wusste, was mit den neuen Mitteln anzufangen sei.

Bei der biotechnologischen Industrie, die Bush Ende Juni zum Angriff auf die Blockade des Repräsentantenhauses in Sachen BioShield rief, teilt man diese Bedenken kaum. Gregory Poland, ein Experte für Impfstoffe an der "Mayo Clinic" im Bundesstaat Minnesota, bezeichnet die Forschung an biologischen Kampfstoffen allen vorliegenden Erkenntnissen entgegen als "Rüstungswettlauf des 21. Jahrhunderts", vergleichbar mit dem atomaren Wettrüsten im Kalten Krieg. Ein besseres Beispiel, wie mit Angst Geschäfte gemacht werden, kann er damit kaum liefern.