Schrittweise Aushöhlung der Freiheitsrechte
Bundesinnenminister Seehofer (CSU) plant eine Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei. Die neue Gebührenverordnung der Bundespolizei ist nur eine von mehreren Maßnahmen
Staatsbürgerliches Engagement könnte ab sofort teuer werden. Mit der Einführung der neuen Gebührenverordnung der Bundespolizei wären auch Einschränkungen des Versammlungsrechts möglich. Identitätsfeststellungen, Platzverweise, Anordnung von Gewahrsamnahme und viele weitere Tätigkeiten, die der Steuerzahler sowieso schon bezahlt, sollen seit Oktober 2019 mit zusätzlichen Gebühren belegt werden. Für einen normalen Polizeieinsatz können Bürgern nun hohe dreistellige Summen in Rechnung gestellt werden.
Teilnehmer politischer und anderer Versammlungen könnten aus Furcht vor hohen Zwangsgeldern von der Wahrnehmung ihrer bürgerlichen Rechte abgeschreckt werden.
Diese Strafgebühren werden ohne richterlichen Beschluss verhängt. Es liegt also im Ermessen der Bundespolizisten vor Ort, ob ein Einsatz "vermeidbar" gewesen wäre oder ein kostenpflichtiger Platzverweis für 88,85 Euro angebracht ist.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft DPolG verdeutlicht ihre Auffassung zu zivilem Ungehorsam und nicht genehmigten, bzw. verbotenen Protesten auf ihrer Internetseite. Sie verlangt über die bisherigen Gebühren hinaus sogar eine "Kostenbeteiligung" am gesamten Polizeieinsatz, der auch Hubschraubereinsätze und vieles mehr umfassen kann.
Nicht thematisiert wird, dass auf diese Art und Weise Demonstrationsteilnehmer vollends ruiniert werden können.
Angesichts der deutschen Geschichte, in der nicht erlaubte Demonstrationen wie auch die sogenannten "Montagsdemos" in der DDR eine wichtige Rolle spielten, eine bemerkenswerte Haltung.
Die Bundespolizei ist vor allem auf Bahnhöfen und Flughäfen tätig, viele Anreisende von Veranstaltungen müssen diese Knotenpunkte passieren. Auch für die Sicherung der Bundesministerien, im Grenzbereich und zur Abwehr von Gefahren gegen "wesentliche Vermögenswerte" und vieles mehr wird die Bundespolizei eingesetzt.
Im gesamten Bundesgebiet könne die Bundespolizei eigenverantwortlich momentan "nur im Rahmen einer Eilkompetenz zur Gefahrenabwehr (erster Zugriff) handeln", so ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Wenn sie hingegen von den Bundesländern angefordert wird, agiert sie bei diesen Einsätzen, laut eines Sprechers der Bundespolizei, gemäß jeweiliger Landesgesetze wie die dortige Landespolizei. Ein zu diesem Thema konsultierter Anwalt hält die Kompetenzverteilung in vielen Fällen für eine Grauzone. Eine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter (Die Linke) soll hierzu Klarheit schaffen.
Gewünschte Erweiterungen
Horst Seehofer (CSU) fordert in einem Entwurf für ein neues Bundespolizeigesetz die Ausweitung der Zuständigkeit der Bundespolizei auf sogenannte Hauptverkehrsrouten und den "präventiven" Einsatz von verdeckten Ermittlern. Das wird zwar mit dem Einsatz gegen Flüchtlinge begründet, soll aber im Gesetzestext nicht diesbezüglich beschränkt werden, so dass alle Bundesbürger betroffen wären.
Zudem empfiehlt das Innenministerium den Einsatz von Tasern (Geräte, die Strompfeile verschießen, die sich in die Haut bohren - laut Reuters überlebten seit 2000 in den USA 1.081 Personen Taser-Einsätze nicht [wobei auch andere Faktoren mitspielten, Einf. d. Red.]) und will eine rechtliche Grundlage für den legalen Einsatz des "finalen Rettungsschusses". Innenpolitiker der Union wollen die automatisierte Gesichtserkennung, die auch aufgrund von Protesten aus dem Entwurf genommen wurde, wieder in das Gesetz aufnehmen.
Obwohl die Erstellung zusätzlicher Gebührenrechnungen für die sowieso schon stark belasteten Bundespolizisten Mehrarbeit bedeutet und Bürokratie verursacht, frohlockt die Polizeigewerkschaft, dass mit der neuen Gebührenordnung der Staatskasse nun angeblich mehr Geld zur Verfügung stehen würde, das in die Anschaffung teurer Ausrüstungsgüter investiert werden könne.
Auffällig ist, dass an dieser Stelle keine staatliche Finanzierung aus den vorhandenen Töpfen für selbstverständlich gehalten wird, sondern dass die Finanzierung von Ausrüstung und Personal durch Strafgelder, die vom Bürger eingetrieben werden sollen, befürwortet wird. Dass die sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen derjenigen, die die Zwangsgelder nicht zahlen können, den Steuerzahler täglich tausende Euro kosten, weit mehr als von den Betroffenen ursprünglich hätte gezahlt werden müssen, wird nicht erwähnt.
Einspruch?
Ein Berliner Anwalt rät jedem Betroffenen dazu, vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Einspruch einzulegen und gegebenenfalls zu klagen. Wann die Gerichte tatsächlich über die Gebührenordnung urteilen werden, hängt vor allem davon ab, wann Klage erhoben wird - und das können sich oft nur diejenigen leisten, denen ausreichend Zeit und Geld zur Verfügung steht.
Eine Chance könnte der Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen sein, der momentan an einem Kommentar zum Schutz friedlicher Versammlungen arbeitet und Fachleute um Mitwirkung bittet. Im aktuellen Entwurf wird die Gefahr für die Versammlungsfreiheit durch die Verhängung von Zwangsgeldern laut Aussagen eines Kommissionsmitglieds noch nicht berücksichtigt.
Die Deadline ist der 21. Februar 2020 und momentan gibt es noch keine diesbezügliche Eingabe deutscher Menschenrechtsorganisationen. Inwieweit die Vorgaben der UN-Menschenrechtskommission bindend sind, ist allerdings umstritten.