Schulanfang in Frankreich: "So normal wie möglich"

Bild: Maximilian Scheffler/unsplash

Maskenpflicht im Ganztagsunterricht ab der 6. Klasse, steigende Infektionszahlen und im Vergleich zu Deutschland zurückhaltende Kritik an den Maßnahmen

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Morgen gehen in Frankreich die Sommerferien zu Ende, am Dienstag sollen 12,3 Millionen Schüler wieder in den Unterricht. Die Klassenstärken rangieren zwischen 20 und 35 Schülerinnen und Schüler. Abstandhalten ist unter diesen Bedingungen nicht realisierbar, daher hat das Erziehungsministerium diese Verpflichtung aus seinen Vorgaben gestrichen. Neu hinzugekommen ist die Pflicht zum Tragen der Masken für Schüler ab der sechsten Klasse - sowie für alle Lehrkräfte und Erwachsenen im Schuldienst.

Das neue Schuljahr soll so normal wie möglich sein, nicht alles dürfe von der "Realité sanitaire" (Gesundheitssituation, gemeint ist die Corona-Virus-Epidemie), bestimmt werden, teilte Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer mit. In bestimmten Zonen würden Schulen noch nicht öffnen, aber das sollten laut Blanquer Einzelfälle in kritischen Gebieten bleiben.

Die Rückkehr der Schüler zum Unterricht hat Vorrang, so lautet die Maxime, wie sie die regierungskritische Webseite Médiapart zusammenfasst. Der Schlüsselsatz lautet: "Der erzieherische und soziale Nutzen durch den Schulunterricht ist weitaus höher als das Risiko einer möglichen Covid-19-Erkrankung eines Schülers im Kreis der Schule." Er stammt von der französischen Gesellschaft für Kinderheilkunde (Société française de pédiatrie, SFP). Diese fordert, dass der Unterricht für eine Klasse erst dann ausgesetzt wird, wenn mindestens drei Kinder in derselben Klasse infiziert sind.

Der Großteil des Artikels von Médiapart beschäftigt sich damit, anhand von Untersuchungen in Frankreich, Großbritannien und in den USA, aufzuzeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, sich in der Schule anzustecken, für Schulkinder geringer ist, als das Virus von außen, etwa von der Familie, in die Schule hineinzutragen. Das wird mit dem Rat des US-amerikanischen Epidemiologen Marc Lipsitch unterstrichen, wonach der beste Schutz für die Schulen darin bestehe, die Verbreitung des Virus im Rest der Gesellschaft zu begrenzen.

Die Schulen sind üblicherweise keine Ansteckungszentren, lässt sich als Tenor des Médiapart-Berichts herauslesen. Der offene Brief eines Ärzte-Kollektivs, das die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen schon für Schüler ab sechs Jahren(!) fordert, wird erwähnt, aber nicht weiter kommentiert. Das Ärzte-Kollektiv sieht Frankreichs Schulen schlecht aufs neue Schuljahr vorbereitet. Man hätte wie in Italien oder in Portugal auch Pläne für einen alternierenden Präsenz-und Teleunterricht ausarbeiten können oder wie in Dänemark die Klassenstärke reduzieren. Die Schüler und das Personal an der Schule müssten besser geschützt werden, so bestehe das Risiko, dass Klassen zu Dutzenden geschlossen würden und die Ziele verfehlt werden.

Immerhin waren französischen Berichten in den letzten Tagen hohe Zahlen an Neuinfektionen bekannt gegeben worden (siehe: 7379 Neuinfektionen in Frankreich). Laut der französischen Gesundheitsbehörde wurden in der vergangenen Woche 26.890 Fälle an bekannt gewordenen Neu-Infektionen gemeldet, was einem Zuwachs von 54 Prozent gegenüber der Vorwoche entspreche und die Santé publique France veranlasste, sogar von einer "exponentiellen Progression" zu sprechen. Auch das wird vermerkt, ebenso der Hinweis auf eine Reihe von Schulschließungen und Unterrichtsausetzungen auf der Insel La Réunion, wo das Schuljahr bereits begonnen hat.

Das Fazit des Berichts: Normal wird die Rückkehr nach den Ferien nicht verlaufen, auch wenn der Erziehungsminister dieser Autosuggestion frönt.

Auffallend ist, wie unaufgeregt der Bericht das Thema behandelt. Keine Empörung über die Zumutung des Maskentragens für Schüler, die in Frankreich ganztägig Unterricht haben, keine Kritik, die sich daran macht, deutlich zu betonen, dass die Maßnahmen überzogen sein könnten. Vorsicht gibt den Ton an. Es wird darauf hingewiesen, dass dem hohen Anstieg der Neuinfektionen ein relativ leichter Anstieg bei den Krankenhauseinweisungen gegenübersteht. Aber das wird nicht weiter akzentuiert.

900.000 Tests habe man in der letzten Woche durchgeführt, erklärte die Regierung am Sonntag, das sei ein neuer Rekord, das Ziel sei eine Million Tests pro Woche, so der Gesundheitsminister. Der Anteil positiver Tests lag in dieser Zeit bei 3,9 Prozent. Die Neuinfektionen werden anders bewertet als im Frühjahr, als Macron den Krieg gegen das Virus ausgerufen hatte.

Die deutlichste Veränderung gegenüber den Monaten März und April zeigt die Kurve der Einlieferung in Krankenhäuser, wie sie in einem großen Grafik auf France Inter dargestellt wird. Sie beruht auf Zahlen der Gesundheitsbehörde. Am ersten April wurden 4.281 Neueinlieferungen in Krankenhäuser verzeichnet, am 29. August sind es 135, am Tag zuvor waren es 241 und am 25. August 265.

Vergleicht man dies mit Zahlen im Juli, die sich im Bereich von "100 plus" bewegen, so bilden die Balken einen leichten Anstieg seit etwa 10. August (180) ab, dramatisch sieht das aber nicht aus. Premierminister Castex fasst den Unterschied so: Derzeit verzeichne man wöchentlich 800 Einweisungen ins Krankenhaus im Zusammenhang mit Covid-19, Mitte Juli seien es 500 gewesen. Das sei zwar kein starker Anstieg, aber er erhärte sich, so der Figaro. Die bürgerlich-rechte Zeitung zitiert den Premierminister mit der Beruhigung, dass die Krankenhäuser auf eine mögliche neue Welle vorbereitet seien.

Man habe 12.000 Betten in Intensivstationen zur Verfügung, so Gesundheitsminister Véran, auf dem Höhepunkt im April habe man 7.148 Patienten auf den Intensivstationen gezählt. Insgesamt, so Véran, könnte das Krankenhaussystem für längere Zeit 29.000 versorgen. Auch dieser Bericht plädiert zur Vorsicht. Man wisse nie, welche Formen die Epidemie annahmen könne, ob sie dieselbe wie im Frühjahr habe oder ob sich neue Formen entwickeln.

Auch in Paris gab es am vergangenen Samstag eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Geht es nach Informationen von Le Monde beteiligten sich daran 200 bis 300 Teilnehmer.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Zahlen untertrieben sind (bei den Gelbwestendemonstrationen gab es jedes Mal eine ziemliche Kluft zwischen offiziellen Angaben, bzw. Angaben einer Schätzagentur, auf die viele Medien rekurrierten und den Angaben der Organisatoren), so zeigt sich doch ein deutlicher Unterschied zur Teilnehmerzahl der Demonstrationen am vergangenen Samstag in Berlin. 150 Demonstranten versammelten sich im Norden Frankreichs, um gegen Entlassungen zu protestieren.

Es ist gut möglich, dass der Regierung Macron ein schwieriger Herbst bevorsteht, aber, wie es noch(?) aussieht, sind es nicht die "Anti-Masques", die ihr Schwierigkeiten machen werden.