Schuld sind die Anderen
In und um Duisburg spielen die Behörden schwarzer Peter
Die Polizei und die Rettungsdienste haben großartige Arbeit geleistet. "Aber eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen einer Stadt als Genehmigungsbehörde und ihrer Polizei stelle ich mir anders vor." - So der neue NRW-Innenminister Ralf Jäger auf seiner Pressekonferenz im SPD-Fraktionssaal des Landtages gestern Nachmittag.
Stadtverwaltung und Veranstalter verantwortlich?
Der Veranstalter der Loveparade Rainer Schaller, die Stadtverwaltung Duisburg, Polizei und Feuerwehr spielen im Moment ein unwürdiges Spiel. Ihr Handeln scheint nur davon bestimmt zu sein, eins zu vermeiden - die Verantwortung übernehmen (müssen) für die inzwischen 21 Toten und um die 500 Verletzte vom Wochenende in Duisburg. Während Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), der die Loveparade unbedingt in seiner Stadt haben wollte, der Polizei "Fehlverhalten" vorwirft, und auch der Veranstalter, Rainer Schaller, die Polizei beschuldigen, sie habe mit ihren Beamten den Stau im Tunnel mitverursacht, ging der neue Landesinnenminister zu Gunsten der Polizeibeamten heute in die mediale Offensive.
Innenminister Jäger und der Inspekteur der Polizei, Dieter Wehe, machten deutlich, dass aus ihrer Sicht der Veranstalter der Loveparade, die Firma Lopavent GmbH, Berlin und die Stadt Duisburg einen Großteil der Verantwortung trügen - auch wenn sie eine klare Schuldzuweisung aufgrund der laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vermieden.
Gleich zu Beginn seines Statements erklärte Jäger, er fände es "unerträglich, dass Verantwortung auf Seiten des Veranstalters der Loveparade und der Stadt als Genehmigungsbehörde abgeschoben werde - und das bevor überhaupt alle Fakten bekannt sind.".
Der Minister und sein Polizist zogen für ihren Zuständigkeitsbereich eine rundum positive Bilanz. Die Polizei sei schließlich nur dafür zuständig "sicherzustellen, dass die Besucher möglichst reibungslos und sicher über die öffentlichen Straßen und Wege auf das Veranstaltungsgelände gelangen können. Das heißt, die Polizei übernimmt die Kontrolle für den nicht abgesperrten Bereich außerhalb des Veranstaltungsgeländes."
Das habe auch alles prima funktioniert. Auch die spätere Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten sei reibungslos und effektiv verlaufen. Auch habe die Polizei im Vorfeld der Veranstaltung Sicherheitsbedenken für den nicht zu ihrem Verantwortungsbereich gehörenden Tunnel und Rampenbereich vorgetragen. Diese Bedenken, so der Minister, "haben die zuständige Genehmigungsbehörde, also die Stadt Duisburg und der Veranstalter, entgegen genommen". Sie hätten "entsprechende Änderungen der von ihnen erarbeiteten und zu verantwortenden Sicherheitskonzeption angekündigt und zugesagt".
Die Stadt Duisburg "ist die zuständige Genehmigungsbehörde für die Love-Parade. Der Polizei wurde die Genehmigung erst am Samstagmorgen, also am Veranstaltungstag, auf eigenes Verlangen übergeben. Auch auf Nachfrage vom Freitag erhielt die Polizei die Genehmigung nicht." Erst am Samstag um 9.00 Uhr habe sich die Polizei die Genehmigung "durch ihren Verbindungsbeamten beim Stab der Feuerwehr übermitteln lassen".
Dem Minister zufolge erhielt die Polizei in Duisburg also erst zu einem Zeitpunkt, als die ersten Teilnehmer schon in Duisburg anreisten, Kenntnis vom Wortlaut der die Genehmigung und damit auch die Rahmenbedingungen für ihr polizeiliches Handeln. Schwer zu glauben.
Da stellt sich die Frage, warum die Polizei nicht die Veranstaltung spätestens Freitagabend aus Sicherheitsgründen untersagt hat? Liegt es vielleicht daran, dass es zuvor einen Personalwechsel in der Position des Polizeipräsidenten gab. Rolf Cebin, der Amtsvorgänger des amtierenden Chefs der Duisburger Polizei (die Funktion des Polizeipräsidenten ist im offiziellen Organigramm weiterhin mit "NN" gezeichnet - also vakant) ging im Mai 2010 in Pension, nachdem er erhebliche Sicherheitsbedenken gegen die Durchführung der Love-Parade auf dem vorgesehenen Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs äußerte.
Polizeipräsident warnte frühzeitig
Cebin hatte frühzeitig, nämlich bereits am 6. Februar 2009, Sicherheitsbedenken hinsichtlich einer Großveranstaltung in Duisburg mit mehr als 500.000 Teilnehmern geäußert. Drei Tage später richtete der damalige Duisburger CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige CDU-Kreisvorsitzende einen Beschwerdebrief an den damaligen NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP, in dem er - auch unter Hinweis auf frühere (unbestreitbare) Polizeiskandale in Duisburg, wie etwa dem Flaggenstreit um eine israelische Fahne während einer Palästina-Demo in Duisburg", die Abberufung Cebins forderte. Zitat aus dem Schreiben Mahlbergs:
Am vergangenen Wochenende ließ die Duisburger Polizei erklären, eklatante Sicherheitsmängel stünden einer Durchführung der Love-Parade in Duisburg im Jahr 2010 entgegen...
Mahlberg bat den Minister, die Stadt von einer schweren Bürde zu befreien und den personellen Neuanfang im Polizeipräsidium Duisburg zu wagen.
Der frühere Polizeipräsident von Bochum, Thomas Wenner, dessen Sicherheitsbedenken gegen die Durchführung der Love-Parade in Bochum zu deren Absage für 2009 führten, hat mittlerweile Strafanzeige gegen den Duisburger OB Sauerland, seine leitenden Beamten und die Loveparade-Veranstalter wegen fahrlässiger Tötung erstattet. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen aufgenommen und alle Unterlagen zur Loveparade im Duisburger Rathaus beschlagnahmt. Die strafrechtlichen Ermittlungen werden von der Kripo in Köln geführt, mit der sachlichen Lageauswertung der Ereignisse in Duisburg wurde die Polizei in Essen beauftragt.
Seltsame Zahlenspiele
Normalerweise sind Veranstalter stolz auf große Besucherzahlen. Bei der Duisburger Horrorparade ist das jetzt ganz anders. Jetzt rechnet Veranstalter Rainer Schaller die Zahlen niedrig. War zuvor von einer Millionen Teilnehmern und mehr die Rede, sprechen die Veranstalter nun von höchstens 200.000, die verteilt über Stunden auf dem Gelände gewesen seien. Auch die Polizei spricht von höchstens 350.000 bis 400.000 Menschen, die sich in ganz Duisburg bewegt hätten.
Der NRW-Innenminister unterstützt diese Darstellung. Er habe die Szenerie aus dem 18. Stock eines Gebäudes beobachtet und Flächen gesehen, auf denen sich überhaupt keiner aufhielt. Das Gelände sei nie ganz voller Menschen gewesen. Die Genehmigung ging von höchstens 250.000 Teilnehmern aus.
Seltsam, Mitglieder der Polizeigewerkschaft werden in der WAZ mit der Aussage zitiert, Rainer Schaller "500.000 Teilnehmer" angemeldet und eine Genehmigung für 250.000 Teilnehmer erhalten. Auf der Pressekonferenz des Innenministers wurden die mit Schaller in Verbindung gebrachten Angaben, wonach eine Million Teilnehmer erwartet würden, als "PR-Zahlen der Veranstalter" bezeichnet. Wie viele waren es? War die eine Million nur Fiktion, gedacht als wohlklingende Worte für die Ohren der Sponsoren? In Duisburg ist noch viel aufzuklären.