Schulz' Denkmal in Würselen

Spaßbad Aquana in Würselen. Bild: Xtremerides.nl. Screenshot: TP

Als Bürgermeister ließ der SPD-Kanzlerkandidat einen Investor ein Spaßbad errichten, das die Stadt heute schwer belastet

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Das größte Plus des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz - so ist derzeit oft auf Twitter zu lesen - sei, dass er nicht Angela Merkel ist: Deshalb sprechen sich in Umfragen nicht nur Sozialdemokraten für ihn aus, die traditionell nichts anderes wählen, sondern auch CDU-Wähler, die die einzige Möglichkeit, Merkel loszuwerden, in einem Wahlergebnis sehen, in dem die SPD vor der Union liegt und Anspruch auf den Kanzlerposten erheben kann. Danach müsste sich Merkel wahrscheinlich auch vom CDU-Vorsitz verabschieden - und Jens Spahn könnte übernehmen und eine Neuauflage der Großen Koalition verweigern, was Anfang 2018 Neuwahlen ohne Merkel zur Folge haben könnte.

Davor steht allerdings noch das größte Minus von Martin Schulz: Dass er Martin Schulz ist, der langjährige Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, dem er später als Präsident vorsaß. Manche Maßnahmen, die er auf diesen Posten verantwortete, könnten seiner relativen Beliebtheit im Vergleich zu Merkel schaden, wenn sie breiter debattiert werden: Zum Beispiel Ungereimtheiten bei Reisekosten oder dass er verhinderte, dass sich ein Untersuchungsausschuss mit Jean-Claude Junckers "In-Luxemburg-zahlt-ihr-einfach-so-viel-Steuer-wie-ihr-wollt"-Angeboten an die EU-Niederlassungen großer Konzerne beschäftigte.

Als Bürgermeister alles gelernt, worauf es ankommt

Wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb streicht Schulz seine Zeit im EU-Parlament im Wahlkampf nicht besonders heraus - stattdessen spricht er oft davon, dass er als Bürgermeister der rheinischen Mittelstadt Würselen all das gelernt hätte, worauf es in der Politik ankommt, weil sich die Bürger mit ihren Sorgen und Nöten immer zuerst an die Kommunalpolitiker vor Ort gewandt hätten. Sieht man sich diese Zeit etwas konkreter an - wie das beispielsweise die Wirtschaftswoche machte -, dann wirkt das Vermächtnis des Bürgermeisters ähnlich zwiespältig wie das anderer Sozialdemokraten und ihrer ideologischen Moden aus den 1980er und 1990er Jahren (vgl. Neolabourale Fantasy).

Eine wichtige ideologische Mode war damals die Vorstellung, dass öffentliche Einrichtungen in privater Hand besser, billiger und bürgerfreundlicher werden. In einigen Fällen bestätigte sich diese Vorstellung. In sehr vielen anderen dagegen nicht (vgl. Militärische Niederlagen als Folgen übertriebener Privatisierung?). Zu diesen anderen zählt das Würselener Schwimmbad.

Debakel mit privatem Investor

Öffentliche Schwimmbäder wie das, das Würselen hatte, bauten sich zu Zeiten, als die Gewerbesteuer und andere Einnahmen mit der Konjunktur flossen, zahlreiche deutsche Klein- und Mittelstädte. Die Bäder waren für Kommunalpolitiker damals Prestigeobjekte: sowohl Denkmäler als auch Stätten, in denen Arbeitnehmer (deren Arbeitszeit damals nicht nur auf dem Papier auf acht Stunden begrenzt war) ihre Freizeit mit Körperertüchtigung verbringen sollten.

In den 1980er Jahren, als die Konjunktur eingebrochen und die Arbeitslosigkeit gestiegen war, merkten die Kommunen, dass bei Schwimmbädern nicht nur die Bau-, sondern auch die Unterhalts- und Reparaturkosten beachtlich sein konnten. Martin Schulz setzte deshalb durch, dass das Würselener Schwimmbad nicht repariert, sondern abgerissen wurde. Stattdessen sollte ein Investor das Spaßbad "Aquana" errichten und betreiben. Solche Projekte waren damals vor allem bei britischen und deutschen Sozialdemokraten in alten Industrie- und Bergbaugebieten beliebt, die glaubten, damit den Strukturwandel bewältigen zu können (aber nicht immer in ausreichendem Maße berücksichtigten, dass das Geld, das Bürger in solchen Freizeiteinrichtungen ausgeben, irgendwo anders herkommen muss).

Auch in Würselen erwies sich das private Spaßbad als so große Pleite, dass die Stadt erst sehr viel mehr Zuschüsse als geplant zahlen und schließlich das ganze Objekt für eine symbolische Mark übernehmen und selbst betreiben musste. Die extrem hohen Unterhaltskosten in Höhe von aktuell eineinhalb Millionen Euro jährlich trugen dazu bei, dass anderswo massiv gespart wurde - und als 1998 die CDU die Macht im Rathaus übernahm, beklagte sie, dass die Schulen in einem so maroden Zustand gewesen seien, dass teilweise Tafeln von den Wänden fielen. Schulz war bei dieser Wahl gar nicht mehr angetreten, sondern hatte sich ganz auf sein Abgeordnetenmandat im Europaparlament konzentriert.

2015 stellte die für die Jahresabschlussprüfung kommunaler Eigenbetriebe in Nordrhein-Westfalen zuständige Gemeindeprüfungsanstalt (GPA), fest, dass "der Betrieb des Freizeitbades Aquana […] den Haushalt der Stadt Würselen in hohem Maße" belastet und dass "mögliche höhere Verluste […] ein Risiko für den städtischen Haushalt" bergen. Deshalb solle "die Schließung des Bades geprüft werden", wenn "größere Investitionen zu tätigen sind".

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