Schwangere mit mRNA-Impfstoffen vor Covid-19 schützen?

Bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 in der Schwangerschaft ist das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf und weitere Komplikationen deutlich erhöht

Nach den bisher vorliegenden Daten wird eine Impfung mit mRNA-Vakzinen von Schwangeren gut vertragen. Fachgesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe befürworten daher die prophylaktische Impfung. Sollten Frauen in der Schwangerschaft also mit den neuartigen Impfstoffen vor einer Covid-19-Erkrankung geschützt werden?

Es ist verwunderlich, wie wenig gesicherte Daten zur Beantwortung dieser Frage zu finden sind. Abhilfe schafft nun die September-Ausgabe der wissenschaftlichen Monatsschrift Der Arzneimittelbrief1, der aber hinter einer Bezahlschranke steht. Der vorliegende Text ist eine für Telepolis überarbeitete, leicht gekürzte und aktualisierte Fassung dieses wichtigen und grundlegenden Artikels.

Zusammenfassung

Im Arzneimittelbrief heißt es, dass es bisher keine offensichtlichen Hinweise für Sicherheitsbedenken einer Impfung gegen Covid-19 mit mRNA-Impfstoffen bei Schwangeren im dritten Trimenon gebe.

Im Rahmen des US-amerikanischen Impf-Surveillance-Systems (Vaers) habe es in der Nachbeobachtung von fast 4.000 Schwangeren seit Impfbeginn Mitte Dezember insgesamt 712 Lebendgeburten zum Stichtag Ende Februar 2021 gegeben.

Die Impfungen wurden von mehr als 35.000 Schwangeren innerhalb der gesamten Kohorte des Surveillance-Systems und in unterschiedlichen Stadien der Schwangerschaft gut vertragen. Alle unerwünschten Ereignisse entsprachen bisher der Inzidenz in der gleichaltrigen "Normalbevölkerung".

Die weitere Überwachung, besonders der Ereignisse in frühen Stadien der Schwangerschaft, sei von großem globalem Interesse, so die Autoren des Arzneimittelbriefs.

Die vorliegenden Daten können eine Hilfe sein in der Beratung Schwangerer mit Impfwunsch unter Einbeziehung des individuellen Infektionsrisikos für Corona. Weitere Ergebnisse werden dringend benötigt, denn das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 und die Letalität sei in der Schwangerschaft erhöht.

Elf Fachgesellschaften der Gynäkologie und Geburtshilfe in Deutschland kommen deshalb, gestützt durch Daten des deutschen Cronos-Registers, zu dem Schluss, dass Schwangere und Stillende priorisiert mit mRNA-basierten Impfstoffen gegen Corona geimpft werden sollten.

Außerdem wird am Schluss dieses Artikels darauf hingewiesen, dass eine akzidentelle Impfung in der Schwangerschaft keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch ist.

Zulassungsstudien ohne Berücksichtigung von Schwangeren

Der Artikel erinnert daran, dass in den Phase-III-Studien für die Notfallzulassung der beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty (Biontech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) in den USA und danach in weiteren Ländern Schwangere ausgeschlossen worden waren.

Untersuchungen haben aber ergeben, dass Schwangere mit Corona-Infektion, verglichen mit Nicht-Schwangeren im reproduktionsfähigen Alter, ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 aufweisen. Das bedeutet: häufigerer Aufenthalt auf der Intensivstation mit invasiver Beatmung sowie eine höhere Sterblichkeit und außerdem ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten.

Die Autoren des Arzneimittelbriefs gehen davon aus, dass für eine Impfempfehlung in der Schwangerschaft das Sicherheitsprofil dieser Impfstoffe von entscheidender Bedeutung sei, und jede Anwendung mit dieser Indikation besonders sorgfältig nachverfolgt werden müsse.

Auch der Herstellungsprozess dieser mittels neuer Technologien hergestellten Impfstoffe, die neben der mRNA auch Lipid-Nanopartikel enthalten, bedürfe einer strengen Überwachung.

Neue Studie zu Sicherheit von mRNA-Vakzinen in Schwangerschaft

Die Daten zur Anwendung von mRNA-Vakzinen in der Schwangerschaft sind bislang aber noch spärlich. Von desto größerer Bedeutung ist eine vorläufige Auswertung hinsichtlich der Sicherheit dieser Impfstoffe in der Schwangerschaft aus drei US-amerikanischen Impfstoff-Überwachungssystemen, die vor einigen Monaten im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde.2

Diese drei passiven Überwachungssysteme sind: "v-safe after vaccination health checker", "v-safe pregnancy registry" und "Vaccine Adverse Event Reporting System" (Vaers).

Zur Methodik: V-safe verwendet ein freiwilliges smartphonebasiertes Abfragesystem, das zur Erfassung der Nebenwirkungen von Impfungen gegen Corona etabliert wurde. Bis zwölf Monate nach der zweiten Impfdosis können Geimpfte mittels eines Fragenkatalogs ihre Beschwerden nach der Impfung online dokumentieren.

Innerhalb der ersten Woche nach jeder Impfung können Lokalreaktionen und systemische Nebenwirkungen gemeldet werden, wobei diese von den Betroffenen als leicht, mittel oder schwer eingestuft werden. Die Abfrage erfolgt täglich. Wird wegen der Nebenwirkung eine Ärztin oder ein Arzt konsultiert, wird dies in einem Telefongespräch mit Vaers genauer geklärt.

Die Ergebnisse: Vom 14. Dezember 2020 bis Ende Februar 2021 konnten von allen registrierten Teilnehmerinnen im Alter von 16 bis 54 Jahren insgesamt 35.691 als Schwangere identifiziert werden. Davon waren über 60 Prozent im Alter von 25 bis 34 Jahren.

Mehr als 85 Prozent waren zum Zeitpunkt der ersten Impfung bereits schwanger. Beurteilt wurde die Reaktogenität (Art und Schweregrad der Impfreaktionen) der beiden oben genannten mRNA-Impfstoffe.

Lokale Impfreaktionen, d.h. besonders Schmerzen an der Injektionsstelle, wurden von Schwangeren etwas häufiger berichtet als von nicht schwangeren Frauen.

Systemische Nebenwirkungen, wie Kopfschmerz, Fieber, Schüttelfrost und Myalgie (Muskelschmerzen), waren bei Schwangeren dagegen seltener. Fieber über 38 Grad Celsius war bei weniger als ein Prozent nach der ersten Dosis und bei acht Prozent nach der zweiten Dosis aufgetreten, ähnlich wie bei nicht schwangeren Frauen gleichen Alters und unabhängig vom Impfstoff.

Auch bei schweren Nebenwirkungen ergab sich kein Unterschied. Bei mehr als 97 Prozent verlief die Schwangerschaft ohne Nachweis einer Corona-Infektion. Der Tag der ersten Impfung lag bei 2,3 Prozent zeitnah um die Konzeption, bei 28,6 Prozent im ersten Trimenon, bei 43,3 Prozent im zweiten und bei 25,7 Prozent im dritten Trimenon.

Von den 35.691 als schwanger identifizierten Frauen erklärten sich 3.958 (14,7 Prozent) bereit, am "v-safe pregnancy registry" teilzunehmen. Von ihnen gehörten 94 Prozent zum medizinischen Personal aus der Gruppe mit der höchsten Priorisierung für die Impfung. Bei 827 war die Schwangerschaft zum Stichtag bereits beendet.

Bei diesen Frauen zeigten sich keine auffälligen Ereignisse: Fast 14 Prozent hatten ihre Kinder verloren (12,6 Prozent Spontanaborte, mehr als 93 Prozent vor der 13. Schwangerschaftswoche; eine Totgeburt war zu verzeichnen).

Insgesamt 712 (86 Prozent) Kinder wurden lebend geboren. Bei diesen war bei mehr als 98 Prozent die erste Impfung im dritten Trimenon erfolgt. Zu den unerwünschten Verläufen gehörten Frühgeburten vor der 37. Schwangerschaftswoche (9,4 Prozent) und niedriges Geburtsgewicht (3,2 Prozent).

Bei den Neugeborenen waren keine Todesfälle innerhalb der ersten 28 Tage aufgetreten.

Insgesamt lagen alle Ereignisse im Bereich üblicher Inzidenzen in vergleichbaren Studien vor der Pandemie. Das betrifft auch kongenitale Anomalien (2,2 Prozent). Von diesen hatte angesichts des kurzen Beobachtungszeitraums keine Frau die Impfung im Zeitfenster der Konzeption oder im ersten Trimenon erhalten.

Von 221 in Vaers registrierten unerwünschten Schwangerschaftsereignissen wurden Spontanaborte (insgesamt 46) am häufigsten gemeldet, überwiegend im ersten Trimenon. Die meisten eingegangenen Meldungen standen nicht im eigentlichen Zusammenhang mit einer Schwangerschaft.

Diskussion: Bei der Interpretation der Ergebnisse weisen die Studienautoren darauf hin, dass das "v-safe pregnancy registry"-System der Bevölkerung nicht flächendeckend bzw. nicht in allen Impfzentren zur Verfügung stand. Die erfassten Daten beruhen außerdem auf subjektiven und nicht grundsätzlich validierten Angaben der Teilnehmerinnen und sind deshalb störanfällig.

Die Ergebnisse sind also vorläufig und betreffen fast nur Schwangere, die im dritten Trimenon geimpft wurden.

Bei fortlaufender Erhebung bestehen Chancen, auch seltenere Ereignisse bzw. Aussagen zu Impfungen in früheren Stadien der Schwangerschaft zu erfassen.

Es gibt zunehmend Hinweise dafür, dass bei im dritten Trimenon geimpften Schwangeren Antikörper gegen das Corona-Virus über die Plazenta auf das Kind übergehen und es nach der Geburt zu einem gewissen Grad schützen (sogenannte Leihimmunität).

Empfehlungen der Fachgesellschaften in Deutschland

Auf der Basis aktueller Ergebnisse haben jetzt insgesamt elf Fachgesellschaften der Gynäkologie und Geburtsmedizin in Deutschland eine Empfehlung für die Impfung von Schwangeren und Stillenden mit einem mRNA-Impfstoff ausgesprochen, die auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsmedizin nachzulesen ist.

Daten aus dem deutschen Cronos-Register, in dem im April 2021 bereits 1.905 Corona-positive Schwangere eingeschlossen waren, bestätigen aber das hohe Risiko dieser Frauen: Demnach verläuft bei einer von 25 Schwangeren eine Corona-Infektion mit einem Intensivaufenthalt und eine von 2000 Erkrankten stirbt.

Einschätzungen der Autoren des Arzneimittelbriefs

Bei Auswertung der zahlreichen zitierten Quellen, die dem Positionspapier der Fachgesellschaften zugrunde liegen, kommen die Autoren des Arzneimittelbriefs zu folgenden Aussagen:

Bei Sars-CoV-2 positiv getesteten Schwangeren ist im Vergleich zu Nicht-Schwangeren das Risiko erhöht für

  • intensivmedizinische Betreuung (6-fach),
  • Beatmung (23-fach),
  • Tod (bis zu 26-fach),
  • Frühgeburt (bis zu 80 Prozent), nach schwerem Verlauf 4-fach,
  • Totgeburt (2-fach),
  • Präeklampsie (80 Prozent höher), bei schwerem Verlauf bis 4-fach,
  • thromboembolische Ereignisse (4,5-fach),
  • die Notwendigkeit einer Intensivbehandlung (3-fach).

Die Impfung von Schwangeren mit mRNA-Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 führt dagegen:

  • nicht häufiger zu schwangerschaftsspezifischen Komplikationen.
  • nicht zu einem erhöhten Morbiditäts- oder Mortalitätsrisiko für die Schwangere oder den Feten.
  • zu keinem unterschiedlichen Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu nichtschwangeren Frauen.
  • zu einem potenziellen Infektionsschutz (Leihimmunität) für das Neugeborene durch die nach Impfimmunisierung gebildeten und transplazentar übertragenen mütterlichen Antikörper.

Die Impfung stillender Mütter mit mRNA-Impfstoffen:

  • zeigt eine gleichwertige Antikörperbildung und ähnlich geringe Nebenwirkungen wie in der Schwangerschaft und bei nichtschwangeren Frauen.
  • kann eine Nestimmunität (Immunität des gestillten Kindes) hervorrufen, da impfinduzierte Antikörper in der Muttermilch nachgewiesen wurden.
  • erfordert keine Stillpause oder -verzicht, da die mRNA des Impfstoffs nicht in der Muttermilch nachgewiesen werden konnte.

Die Autoren des Arzneimittelbriefs

Stiko gibt generelle Impfempfehlung für Schwangere

In einer ersten Stellungnahme im April dieses Jahres hat die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (Stiko) wegen mangelnder Daten die Impfung von Schwangeren nicht allgemein empfohlen. Inzwischen hat sich aber die Datenlage verändert.

Nach der Veröffentlichung des obigen Artikels im Arzneimittelbrief hat die Stiko in ihrem Epidemiologischen Bulletin vom 18.10.2021 für alle Schwangeren eine generelle Impfempfehlung ausgesprochen.

Sie hat ungeimpften Frauen im gebärfähigen Alter dringend zu einer Impfung gegen Covid-19 geraten, sodass ein optimaler Schutz vor dieser Erkrankung bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft besteht. Noch ungeimpften Schwangeren wird die Impfung mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs ab dem zweiten Trimenon empfohlen.

Wenn die Schwangerschaft nach bereits erfolgter Erstimpfung festgestellt wurde, sollte die Zweitimpfung erst ab dem zweiten Trimenon durchgeführt werden. Überdies empfiehlt die Stiko ungeimpften Stillenden die Impfung mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.