"Schwarzer Februar" in Nigeria

Eine Rebellenorganisation im Nigerdelta macht gegen internationale Ölkonzerne mobil

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Im Nigerdelta eskaliert der seit Jahren schwelende Konflikt um die Verteilung des Erdölreichtums. In der Nacht zum Samstag ist ein Ultimatum einer bewaffneten Gruppe an internationale Erdölkonzerne ausgelaufen, die in der Region aktiv sind. Nach militärischen Auseinandersetzungen mit der nigerianischen Armee, die zum Schutz der Förderanlagen in die Krisenregion entsandt worden war, hat die „Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas“ (MEND) alle ausländischen Unternehmen aufgefordert, das Land zu verlassen. Nach der gesetzten Frist werde man einen totalen Krieg gegen die zerstörerische Ölausbeutung führen. Den Worten folgten Taten. Am Samstag wurden bei einem Überraschungsangriff auf einen Erdöltanker neun Erdölarbeiter gefangen genommen: drei US-Amerikaner, zwei Thailänder, zwei Ägypter, ein Brite und ein Filipino. Eine Förderanlage des Shell-Konzerns wurde in Brand geschossen.

Gegenüber der BBC hatte Generalmajor Godswill Tamuno, der sich als Kommandant der MEND ausgab, noch Ende der Woche die Ziele der Gruppe genannt: Man wolle die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen stoppen und den Reichtum fair verteilen. Um dies zu erreichen, habe die Rebellengruppe eine Militäroperation unter dem Namen „Schwarzer Februar“ begonnen.

Inzwischen ist klar, dass die brachiale Rhetorik ernst genommen werden muss. Immerhin hatte die bis dahin unbekannte MEND bereits Mitte Januar mit Schnellbooten eine Förderplattform von Royal Dutch/Shell angegriffen und 13 Soldaten töteten. Zeitnah zu dem Angriff auf die Plattform war eine Pipeline von Shell attackiert worden. Der Erdölexport Nigerias sank daraufhin um zehn Prozent.

Militärische Gruppen und politische Interessen

Offensichtlich ist die MEND aus bereits bestehenden politisch-militärischen Strukturen entstanden. Bis zu den Angriffen der MEND vor einem Monat hatte allein die Niger Delta People’s Volunteer Force (NDPVF) in der Region operiert. Ihre Forderungen deckten sich mit denen der neuen Gruppe. Beide wollen eine stärkere lokale Kontrolle der Erdölressourcen erreichen. Was zunächst nach hehren Zielen klingt, ist vor allem aber einem Eigeninteresse geschuldet und an kein übergeordnetes politisches Projekt gebunden. Es geht um Verteilungskämpfe zwischen der nationalen und der lokalen Elite. Darauf weist auch eine von MEND und NDPVF gleichermaßen erhobene Forderung hin: Beide Gruppen wollen die Freilassung des inhaftierten NDPVF-Chefs Mujahid Dokubo-Asari ebenso erreichen wie die Haftentlassung des ehemaligen Gouverneurs des Bundesstaates Bayelsa, Diepreye Alamieyeseigha, der auf einen Prozess wegen Geldwäsche wartet.

Die drängende soziale Frage

Doch auch wenn die Aufständischen kein politisch fortschrittliches Projekt repräsentieren, steht die von ihnen aufgeworfene Frage nach der Verwendung des Ölreichtums auf der nigerianischen Agenda obenan. Schon deswegen erhalten sie verlässliche Unterstützung von der lokalen Bevölkerung, vor allem von den Stämmen der Ogoni und Ijaw. Zu groß ist der soziale Widerspruch: Das Land ist mit 2,5 Millionen Fass Öl pro Tag (1 Fass, engl. Barrel, entspricht 158,9 Litern) der größte Ölförderer Afrikas südlich der Sahara. Auf der Liste der Erdöl exportierenden Staaten steht Nigeria weltweit auf Platz acht. Was schwerer wiegt: Die USA wollen bis zum Jahr 2010 mindestens 20 Prozent ihres Erdölbedarfs aus dem Land im Westen Afrikas decken.

Die Konflikte sind vorprogrammiert. Denn während der Exportumsatz in Nigeria bei einem Weltmarktpreis um 50 US-Dollar pro Fass Erdöl bei täglich 125 Millionen US-Dollar liegt, greift im Land die Armut um sich. Ausgerechnet im erdölreichen Nigerdelta lebt die Ogoni-Bevölkerung unter der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. 20 Prozent der Kinder werden nicht älter als fünf Jahre. Rund 300.000 Menschen sterben pro Jahr an AIDS, weil sie kein Geld für die notwendigen Medikamente haben. Die Bildungsausgaben in Nigeria sanken von 12,2 Prozent im Jahr 1985 auf 4,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2003.

Schmuggel, Waffenhandel und eine unsichere Zukunft

Sieben Jahre nach dem Wahlsieg von Präsident Olusegun Obasanjo blickt das Land in eine unsichere Zukunft. Dabei hatte der erste demokratisch gewählte Staatschef nach der blutigen Diktatur von General Sani Abacha glaubwürdig Reformen angestrebt; sowohl im Inneren als auch in der Außenpolitik, wo er zur Stärkung der G-77 beitrug, um den Interessen der so genannten Dritten Welt in der ONO mehr Gehör zu verschaffen.

Gegen die korrumpierende Macht des Erdöls konnte er sich bislang aber nicht durchsetzen. Und während die Regierung in der Hauptstadt Abudscha ihre Hilflosigkeit mit Appellen an die Erdölkonzerne demonstriert, diese mögen sich doch an die Gesetze des Landes halten, rüsten die Rebellen auf. Bevor die MEND ihr Ultimatum an die internationalen Erdölkonzerne richtete, war es in den vergangenen Monaten wiederholt zu Kämpfen zwischen Rebellen und der Armee im Nigerdelta gekommen. Im Visier der staatlichen Militäraktionen standen Schmugglerschiffe, mit denen abgezapftes Erdöl transportiert wird. Die bewaffneten Gruppen beschützen die Schmugglerbanden vermutlich, um an Waffen zu gelangen. So scheint selbst der Widerstand gegen die schmutzigen Ölgeschäfte in Nigeria Teil des korrupten Systems geworden zu sein, bevor er sich richtig formieren und politische positionieren konnte.