Schweden: Umstrittener Spurt zur Nato-Mitgliedschaft

Seite 2: Der Meinungswechsel

Beigetragen zum Meinungswechsel haben, wie angenommen wird, auch Umfragewerte, wonach etwas mehr als die Hälfte der schwedischen Bevölkerung für einen Beitritt votieren. Auch wollte die Regierungschefin nach eigener Auskunft die Nato-Frage vor dem Urnengang im September geklärt haben. Hinzu kommt der beschleunigte Prozess in Finnland, wo der Beitritt mittlerweile als sicher gilt.

Für einen Parlamentsentscheid braucht es 75 Prozent. Dies kann erreicht werden, wenn die sozialdemokratischen Abgeordneten einen Beitritt in dem Verteidigungsbündnis bejahen. Offiziell aufgrund einer möglichen russischen Einflussnahme wird ein Referendum von der sozialdemokratischen Regierung in Stockholm abgelehnt, das die Linkspartei fordert.

Doch an der Basis der Traditionspartei, die vornehmlich Schwedens Geschicke seit 90 Jahren bestimmt haben, gärt es. So ist der Jugendverband gegen die Mitgliedschaft, er will eine stärkere Zusammenarbeit mit der EU und, sollte es doch zu einem Beitritt kommen, so müsste die Stationierung von Atomraketen verboten werden.

Auch der Frauenverband richtet sich gegen eine Nato-Mitgliedschaft, die Sozialdemokraten in dem Regionaldistrikt Schonen votieren dagegen, wie auch die ehemaligen Premierminister Stefan Löfven und Göran Persson.

Eine Zoom-Diskussion der Mitglieder über das heiße Thema diese Woche sei undemokratisch gelaufen, so das Mitglied Kent Vilhelmsson, der für die linke Zeitung ETC arbeitet.

Bei dem dreitägigen Treffen, woran 1.800 Mitglieder teilgenommen hatten, sei es zu keinem Dialog gekommen, Gegenargumente seien nicht zu Wort gekommen, vielmehr hätten sich allein Nato-Befürworter ausgetauscht. Vilhelmsson fordert einen Kongress, wo der Beitritt unter den Parteimitgliedern debattiert wird.

Eine Facebook-Bewegung "Nein zur Nato" will am Samstag in Stockholm demonstrieren, doch gibt es noch wenig Follower.

Pazifistisch und russlandromantisch war die Partei der Arbeiter und Angestellten nie aufgestellt – so wurde unter der Regierung Stefan Löfven 2017 die Wehrpflicht wieder eingeführt.

Gotland

Für die strategisch wichtige Insel Gotland beschloss die Minderheitsregierung unter Magdalena Andersson umgerechnet über 150 Millionen Euro in die Verteidigungsstrukturen von Gotland zu investieren.

Die strategisch wichtige Insel in der Ostsee gilt als potenzielles Angriffsziel der Russischen Föderation.

Dort müsste Schweden auch mit Nato-Mitgliedschaft die erste Attacke aus dem Osten selbst kontern – nach Angaben eines Offiziers der schwedischen Verteidigungshochschule in Stockholm könne die Beihilfe der 30 Mitgliedsstaaten des Bündnisses aufgrund bürokratischer Wege einige Wochen auf sich warten.

Bei einem Ja zur Nato wird in Schweden mit weiteren Luftraumverletzungen, Handelsboykotten und Desinformationskampagnen gerechnet. Vor kurzem ließ der Kreml Plakate in Moskau aufhängen, wo der Autorin Astrid Lindgren, dem Regisseur Ingmar Bergman und Ikea-Gründer Ingvar Kamprad Nähe zum Nationalsozialismus nachgesagt wurde.

Von Russland kam noch keine Reaktion auf die schwedische Sicherheitsanalyse, jedoch aus der Türkei – dort meinte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, dass es ein "Fehler" sei, Schweden und Finnland aufzunehmen, vor allem Schweden, da das Land Aktivisten "der PKK und anderer Terrorgruppen" beherberge.

Mit einem grünen Licht des Nato-Rates ist für Schweden wie Finnland gegebenenfalls bald zu rechnen, jedoch muss die Aufnahme in das Bündnis von allen 30 Mitglieder abgesegnet werden, dazu gehört auch die Türkei mit ihrem Kurdenproblem.