Schwindendes Interesse an Nachrichten
Nach dem Peak in der Covid-19-Berichterstattung nimmt die Zahl der Nachrichtenverweigerer zu - sicher nicht nur in Großbritannien
Zu Beginn der Covid-19-Pandemie boomte der Besuch auf den Online-Nachrichtenseiten. Alles drehte sich um die Pandemie, die Menschen waren verunsichert, was da auf sie zukommt, und wollten wissen, wie sich die Pandemie weiter entwickelt. Überall wurden die Fall- und Todeszahlen präsentiert und in Grafiken veranschaulicht, in denen erst einmal alles noch oben ging, was den Blick ebenso bannte wie die Bilder aus Italien. Nach oben gingen auch die unglaublich hohen Geldsummen, die plötzlich überall mobilisiert wurden, um die Wirtschaft und die Menschen vor dem Absturz zu bewahren, der dennoch viele ereilen wird.
Auch wenn in den meisten europäischen Ländern die Fallzahlen und die Reproduktionszahl deutlich zurückgegangen sind und überall die mehr oder weniger strengen Notstandsmaßnahmen gelockert oder aufgehoben werden, ist weiterhin Angst verbreitet. In Deutschland beispielsweise waren Mitte Mai noch 54 Prozent der Deutschen für eine Beibehaltung aller Maßnahmen. 66 Prozent fanden die damaligen "Corona-Maßnahmen" richtig.
Vor allem in Deutschland, wo nur 9,9 Menschen pro 100.000 an oder mit Covid-19 starben, und in der Schweiz mit 19 Todesfällen pro 100.000 Einwohner wurde gegen die von der Regierung verhängten Maßnahmen mit Aktionen und Demos protestiert, als bereits Lockerungen in Aussicht standen und schon umgesetzt waren. Diese wurden sonst in Europa, sieht man jetzt von Protesten der Anhänger der rechtsextremen Partei VOX in Madrid am Samstag ab, obgleich hier auf 100.000 Einwohner 61,3 Todesfälle kamen, bislang weitgehend akzeptiert.
Das seltsame Gemisch der Protestierenden in Deutschland, die nach Umfragen mehrheitlich abgelehnt werden, könnte aber mitsamt der in Gang kommenden Diskussion darüber, ob die staatlichen Maßnahmen vernünftig waren und welche Weichen jetzt gestellt werden sollten, vermuten lassen, dass die Zugriffszahlen auf Nachrichtenseiten und deren Foren weiterhin hoch sind. Das lässt sich aber nicht beobachten. Vielmehr gab es im Mai wieder einen deutlichen Rückgang. Haben die Menschen die Schnauze voll von der Corona-Krise? Kehrt auch so die Normalität wieder zurück? Ist es nach der Corona-Überfütterung einfach ein Backlash?
Covid-19-Nachrichten - nein, danke!
Reuters Institute hat in Großbritannien, das von Covid-19 dank der irrlichternden Haltung von Boris Johnson deutlich schwerer als Deutschland und viele andere europäische Länder erwischt wurde, eine Umfrage über die Mediennutzung durchgeführt. In Großbritannien ist die Pandemie noch nicht ausgestanden. Es hat die größten Fallzahlen in Europa, auch die meisten Toten, bei den Todesfällen pro 100.000 Einwohner liegt das Brexit-Land mit 54,7 an dritter Stelle nach Belgien (80,7) und Spanien (61,3).
Man könnte also meinen, dass hier noch ein erhöhtes Interesse an Nachrichten über die Pandemie besteht. Aber nach der Umfrage, die zwischen dem 7. und 13. Mai durchgeführt wurde, als die Fallzahlen weiter anstiegen, gab es nach der ersten Gier nach Nachrichten einen starken Rückgang. 22 Prozent sagten, sie würden oft oder immer aktiv Nachrichten meiden, Mitte April sagten dies noch 15 Prozent. Wenn man diejenigen einschließt, die angeben, manchmal aktiv Nachrichten zu meiden, sind schon 59 Prozent nachrichtenmüde. Frauen (26%) im Übrigen stärker als Männer (18%). Gerade einmal 20 Prozent sagen, sie würden niemals aktiv Nachrichten vermeiden, 2019 sagten dies 36 Prozent, 2017 sogar 48 Prozent. Am stärksten werden Nachrichten von Fernsehsendern vermieden oder ausgeblendet, gefolgt von Online-Nachrichtenseiten.
Jetzt gaben 86 Prozent von denjenigen, die immer oder öfter Nachrichten vermeiden, an, dass sie von Nachrichten über Covid-19 zumindest zeitweise nichts wissen wollen. Zwei Drittel wollen sie wegen der Auswirkung auf ihre Stimmung nicht zur Kenntnis nehmen. Für ein Drittel gibt es einfach zu viele Nachrichten - und 28 Prozent meinen, sie könnten damit nichts anfangen. Ein Drittel der Nachrichtenverweigerer sagt auch, dass sie den Nachrichten nicht vertrauen, bei denjenigen, die sich als politisch Rechte geben, sind es 48 Prozent.
Da könnte man vermuten, dass der Scheuklappenblick dazu dient, in seiner Haltung nicht durch Nachrichten irritiert zu werden, die nicht in die Ideologie passen. Nachrichtenvermeider wollen insgesamt vermutlich ihre Angst nicht verstärken, aber natürlich will man auch nicht immer dasselbe hören, zumal wenn die Gefahr abklingt. Die exzessive Medienberichterstattung über alles, was mit Covid-19 zusammenhängt, hat wahrscheinlich auch den Effekt, dass das Thema schneller wieder in den Hintergrund rückt, also dass die Vorsicht abnimmt und der Druck zunimmt, wieder zur alten Normalität zurückzukehren.
Durch die exzessive und relativ einheitliche Berichterstattung der Mainstreammedien und der durch diese Herdenhaltung induzierten Stimmung dürfte auch der Nachrichtenfluss in den alternativen Medien gestärkt werden, die die Meinung der Abweichler bündeln und verstärken. Medien, die kollektiven Aufmerksamkeitsorgane einer Gesellschaft, prägen die Wahrnehmung und betreiben eine Massage der kollektiven Stimmung, wenn sie ein Rudelverhalten praktizieren.
Das kann höchst einseitig etwa angesichts einer vermuteten Gefahr werden, wenn eine Art Herdenimmunität praktiziert wird, also irritierende Positionen vom medialen Immunsystem ausgesondert werden. Besonders auffällig wird das, wenn scharfe Kehrtwenden kollektiv vollzogen werden. Waren zu Beginn der Pandemie die Warner, die eine Gefahr beschworen, die Verschwörungstheoretiker, wurden sie schnell zu denjenigen, die die in aller Eile verordneten und von den meisten Medien verteidigten Maßnahmen ablehnten oder kritisierten.