Science Fiction und Afrika
Seite 3: Das Fremdsein: Aliens in Afrika
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"Lagoon" schildert die Begegnung der Meeresbiologin Adaora mit einem Wasserwesen, das sie Ayodele nennt. Die Autorin Nnedi Okorafor kombiniert geschickt lokale Folklore (Glaube an Zauberwesen, Hexen, an Magie, die beeinflussen kann) mit Fragen zu einer fortschrittlichen Technologie. Das Meerwesen verfügt über eine außergewöhnliche Zellstruktur. Zunächst bleibt sein Aufenthaltsort unentdeckt, aber das Militär beginnt bald schon, sich auf die Suche nach dieser außergewöhnlichen Erscheinung zu machen. Adaora hat zusätzlich zu diesen Problemen auch ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Ehemann. Er ist ein gut verdienender Buchhalter, zudem gläubig und sucht Hilfe gegen das ihm dämonisch erscheinende Wasserwesen, das er im Privatlabor seiner Frau gesehen hat.
Ayodele stellt sich als Botschafterin von den Sternen vor, die meteoritengleich in die Lagune von Lagos stürzte. Und können Meteoriten nicht ganze Klimaregionen verändern? Okorafor platziert das weibliche Alien in ein Land im Umbruch: Das absolut Fremde wird von LGBT-Aktivisten in Nigerias Hauptstadt interessiert wahrgenommen; die jungen Erwachsenen entwickeln verschiedene Ideen, wie sie sich zu der Alienfrau stellen sollen.
Erneut ist es eine Großstadt, in der die SF-Handlung stattfindet. Wie in "Accra 2057" steht in "Lagoon" eine Hauptstadt im Fokus. Städte bieten kosmopolitische Freiheiten, Kommunikationskanäle - wie wäre es für homosexuelle Nigerianer auf dem Lande? In manchen Teilen des Landes treibt die Sekte Boko Haram ihr terroristisches Unwesen. Eine nicht unbedingt förderliche Umgebung. "Lagoon" nutzt die Science Fiction als Katalysator für einen utopischen Gesellschaftsentwurf - doch auch im Roman ist diese Welt noch nicht realisiert. Das Fremde in der Gesellschaft als das zu akzeptieren, was es ist: anders mit eigenem Recht.
Ein kurzer Verweis auf den Film "District 9" ist hier doch angebracht. Der Film aus dem Jahr 2009 thematisiert die Landung eines Raumschiffs über Johannesburg. Die Aliens werden in Lagern außerhalb der Stadt untergebracht. Es entwickeln sich Townships, d.h. improvisierte Wohn- und Handelsräume, die von Armut, Gewalt und Mangel an Hygiene geprägt sind. Johannesburg ist auch jetzt, mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes, eine Stadt der Ungleichheiten. "District 9" verlagert diesen Konflikt auf eine Alien-Invasion. Leider ergreift Regisseur Neill Blomkamp nicht alle Möglichkeiten der Charakterzeichnung. Der Film endet in einer Art Cronenbergscher Körperhorrormutation. Eine Alien-Landung in Afrika hätte Vorlagen für eine extensive Darstellung der sozialen Konflikte in Südafrika geliefert. Insbesondere auch für das Setting in Johannesburg, eine Stadt, die nach wie vor in gewissen Vierteln Gefahr für Leib und Leben bietet.
Alternative Geschichtsschreibung
Afrika ist reich an Konflikten, die historische Wurzeln im Kolonialismus haben. Wenn auch die Darstellung von Leid bezüglich Afrikas zu Stereotypen geführt hat, scheint sich manche SF-Autorin bewusst mit den Konflikten auseinanderzusetzen. So etwa Nisi Shawl, die einen Alternate-History-Roman namens "Everfair" in einer Steampunk-Welt lokalisiert. Shawl lebt in den USA.
Steampunk bedeutet, eine nahe Zukunft mit der Technologie des späten 19. Jahrhunderts (Dampfmaschine) zu beschreiben. Shawl beschäftigt sich mit der Frage, was passiert wäre, wenn im Kongo eine Alternativwelt entstanden wäre - wenn es möglich gewesen wäre, der Schreckensherrschaft des belgischen Königs Leopold II. zu entkommen, auf dem Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo.
Die Verbindung zum kolonialistischen Europa besteht auch im Roman. Neben dem afrikanischen Schauplatz tauchen europäische Orte auf. Unter strikter Definition wäre dieser Roman nicht als SF zu bezeichnen. Erstens fehlt der naturwissenschaftliche Kontext, zum Zweiten wird Technologie des 19. Jahrhunderts in die Zukunft projiziert.
Was haben diese Überlegungen mit afrikanischer SF zu tun?
Afrikanische SF versucht, dem Dilemma zu entkommen, eine Industrie zu beschreiben, die ihren Standort weit weg hat, die nur Schrott nach Afrika liefert, die Handelsverträge ausarbeitet, die wenig ökonomischen Spielraum für die afrikanischen Produzenten lässt. Die immer noch auf Vorteile des Kolonialismus baut - mit der Folge, dass der westliche Wohlstand aber aufgrund der Unterdrückung der afrikanischen Kolonien entsteht. Zumindest die billige Einfuhr von Rohstoffen schafft zum Beispiel für Europa eine gute Grundlage, Profite zu maximieren.
Es stellt sich die Frage, ob Science Fiction (des Westens) nicht ein Produkt der Industrie ist? Wenn dem so ist, so haben Autoren Afrikas die Chance, dagegen zu steuern. Oder ist es eine Pflicht?
Dieses Thema begleitet die Technologiekritik. In Nisi Shawls Roman weicht der technologische Aspekt den soziopolitischen Konsequenzen einer veränderten Geschichtsschreibung. Die koloniale Ausbeutung vom heutigen Kongo ließe sich in einer Parabel auf einen anderen Planeten setzen, in etwa, wie manche Künstler im Afrofuturismus vorgehen. Ein afroamerikanischer Künstler stamme nicht aus einem Land dieser Erde. Ein ferner Planet in einer anderen Galaxie oder der Saturn sei das Zuhause. Dieses ganz externe Fremde, das Gefühl von Einsamkeit ohne entsprechenden Beistand. Die Situation auf der Erde ist so katastrophal, dass nur eine Flucht in den Weltraum hilft.
Mit der Annahme, dass in einer fernen Galaxie oder Zukunft kein Rassismus und kolonialistische Ausbeutung anzutreffen seien. Die Science Fiction-Literatur mag dann auch als utopisches Experimentierfeld gelten, in der Kritik an irdischen Machtstrukturen möglich ist. Nur zu häufig kippt die Utopie jedoch in eine Dystopie um. (Besonders im Film ist letztere ziemlich beliebt, vielleicht ist sie durch die innewohnende Gewalt auch tauglicher für Special-Effects-Szenarien?)
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