Science Fiction und Afrika

Seite 4: Allgemeine Tendenzen

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Eine Grundtendenz in afrikanischer Science Fiction ist es, eine Art von technologischer Welt zweiter Hand (Second-Hand-Tech) zu schildern. Der Kontrast zwischen traditioneller Lebensweise und hochtechnologischer Ausrüstung ist ein weiterer Modus, in dem häufig diese Art Kulturbericht geschrieben wird.

In den 1960ern entsteht eine Welle neuer Science-Fiction-Literatur: entsprechend wurde sie New Wave genannt - in dieser SF wurden andere Gebiete erforscht - statt unbedingt in den äußeren Raum vorzustoßen, rückte der innere Raum, auch oft in Austausch mit dem äußeren, in den Fokus. Zumindest die Autoren in der Diaspora sind von der New Wave beeinflusst.

In afrikanischer SF zeigt sich sowohl ein kritisches wie auch spielerisches Technologieverständnis, immer auch eine Auseinandersetzung mit lokalen und historischen Traditionen. Unter dem Begriff Afro-Tech sammeln sich Bastler, Tüftler, Hobby-Ingenieure und Informatiker in Afrika, um aus gebrauchten Gegenständen und billigem Material funktionierende Geräte herzustellen.

Ein möglicher Schauplatz sind Riesenstädte, die immer noch wachsen und mit ihrer Infrastruktur, ihrer Akkumulation von Kapital, Kultur und Menschen eine bessere Zukunft versprechen.

In mehreren Romanen entwirft die Autorin Okorafor eine selbstbewusste junge Frau, die trotz des Studiums im Weltraum immer die Bindung zu ihrer Ethnie aufrechterhält. Die Himba verlassen ihr Gebiet kaum, geschweige denn die Erde. Binti ist eine Ausnahme. Bintis Familie ist gespalten, was die Astronautenlaufbahn ihrer Verwandten angeht: einerseits sind sie stolz auf diese Leistung, andererseits werfen sie Binti vor, das Familiengefüge dadurch auf die Probe zu stellen. Das sind Gedanken, die in afrikanischen Gesellschaften von besonderer Relevanz sind. Was sagen die Ahnen und wie ist die Großfamilie davon betroffen?

Ein Blick in die Geschichte des Genres zeigt, dass sich der Stil und die Inhalte über Jahrzehnte verändert haben. Im Kalten Krieg nahmen sich die Konflikte in der SF noch ganz anders aus als in Zeiten der Fake News, Drohnenkriege und geplanten Marsmissionen. Afrikanische SF arbeitet sich an den SF-Themen ab, verbindet diese mit einem afrikanischen Kolorit. In den vorgestellten Werken spielt Afrika stets eine tragende Rolle.

Afrika besitzt ausreichend thematische Anknüpfungspunkte: schleichende Digitalisierung; Ausbeutung der Rohstoffe durch internationale Konzerne; Parallelwelten von früher Industrialisierung und digitaler Mobilität; ein bis heute eigener Umgang mit Übernatürlichkeit.

Auch in Bezug auf das Space-Thema erscheint Afrika in einem eigenen Licht:
Zum Beispiel gab es in den 1960ern ein Raumfahrtprogramm in Sambia. Kurz vor der Mondlandung entwickelte Mukuka Nkoloso ein Programm, das vorsah, sogar bis zum Mars zu fliegen. Er gründete 1960 die Academy for Science, Space Research and Philosophy und hoffte auf Zuhörer. Er fand zehn junge Männer und eine junge Frau, die zu Afronauten ausgebildet werden sollten. Das Programm hat auch die Entwicklung von Raketen vorgesehen. Allein, es fehlte an entsprechender Hochtechnologie. Nkoloso nahm Kontakt mit den Supermächten auf. Die Russen sollten ihn bei der Beförderung unterstützen, die Amerikaner ein Jointventure mit Sambia eingehen: das technologische Know-How mit dem Wissen der Sambianer könnte den Mondflug ermöglichen. Bedingung: Die sambische Flagge sollte auf fremden Planeten als erste gehisst werden. Die Kooperation mit den Supermächten kam nicht zustande.

Am Tag der Unabhängigkeit im Jahr 1964 wollte Nkoloso eine Rakete Richtung Mars starten lassen, aber die erste Regierung Sambias nach der Unabhängigkeit teilte diesen Traum nicht. Die Rakete hieß "D-Kalu 1". (Das stand für David Kaunda President No. 1).

Solch visionäres Ansinnen kam dann schließlich zum Erliegen. Solche Versuche, Raumfahrt in Afrika zu etablieren, verbinden sich heute mit afrofuturistischen Überlegungen.

Bislang jedoch haben vor allem afroamerikanische Autorinnen und Autoren ein gutes Standing. Ausländische Verlage können entsprechend Werbung machen. In Ländern wie Südafrika oder Botswana und Namibia haben gewisse Teile der Gesellschaft ein gutes Auskommen. Der Luxus von Literatur und Film kann in solchen Kontexten interessieren.

Für Raumfahrt müsste eine Nation über Hochtechnologie verfügen. Diesen Luxus kann sich momentan kein afrikanisches Land leisten. Eine ganze Zeitlang unterhielten die Franzosen in Algerien einen Raketenstartplatz. Davon abgesehen, dass er von der ehemaligen Kolonialmacht unterhalten wurde, haben die Franzosen diesen bereits in den 1960ern durch Kourou in Französisch-Guyana ersetzt.

In der Republik Südafrika wurde während der Apartheid an der südlichsten Spitze Afrikas die Overberg Test Range (OTR) installiert. Pro Jahr waren in den 1980ern zehn Starts möglich. Die OTR gehörte zum südafrikanischen R5b-Raumfahrtprogramm. 1993 wurde das Programm eingestellt.

Gerade weil in der Realität kaum SF-Kontexte bestehen, öffnen sich diese in der Fiktion und in der Utopie des Afrofuturismus umso besser.

Gibt es ein SF-Werk aus Afrika, das in einer einheimischen Sprache geschrieben und dann übersetzt wurde? Wäre es für Yoruba, Kisuaheli oder eine andere Verkehrssprache nicht ein Fortschritt, für Science Fiction-Inhalte passabel zu werden?

Ein aufmerksamkeitsökonomisches Argument widerspricht - dies lohne nicht den Aufwand. In Afrika sei SF noch nicht allgemein etabliert. Die Leser könnten alle auch gut in Englisch lesen, und die großen Märkte jenseits des Atlantiks, des Indischen Ozeans und des Mittelmeers könnten auch ihren Teil vom Kuchen erhalten.

Es scheint, dass die SF aus Afrika bislang noch eine mutige Investition ist. Ihr Anliegen, Zukunft und Technologie zu beschreiben, ist dringlicher denn je. Gerade auch hinsichtlich der prekären Lage einiger afrikanischer Nationen. Eine selbstbewusste Science Fiction öffnet den Blick für Fehlentwicklungen und auf der anderen Seite für noch brachliegendes Potenzial. All das bietet die Möglichkeit, für Afrika eine souveräne Zukunft zu entwerfen. Kulturell, sozial, technologisch und politisch.

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