Sehr arm und sehr berühmt

Die Folgen des indischen Tehelka-Skandals

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Laut einigen Medienanalysten haben sich die Internetmedien, die mehr Spielraum und weniger Bürokratie zu ihren Pluspunkten gegenüber den traditionellen Medien zählen, in Indien zu einer Überwachungsinstitution der Politik entwickeln können. Die indische Regierung wiederum versucht, eine Überwachungsinstitution des Internet zu entwickeln, wobei beispielsweise der Geheimdienst mit amerikanischer Hilfe in der Kunst der Email-Überwachung geschult werden und neue Gesetze mehr Kontrolle bringen sollen.

Die Situation der Online-Medien in Indien ist paradox oder zumindest merkwürdig. Es fehlt nicht nur an Computern und Internetzugängen in einem Land, in dem 40 Prozent der Landbewohner (und 20 Prozent der Stadtbewohner) keine Elektrizität haben und in dem 40 Prozent aller Menschen nicht lesen und schreiben können. Obwohl an jeder Ecke fast jeden größeren Ortes mittlerweile ein Cybercafé steht, gehen die wenigsten Inder online:

Nur fünf Prozent der Inder können Englisch sprechen und schreiben. Gegenwärtig sind 68,4 Prozent der Webseiten in englischer Sprache.

"95 Prozent der Inder haben keinen Zugang zur Wissensgesellschaft"

Ein Artikel ("Indian News Sites Cater to Expats") im Online Journalism Review nähert sich der Welt der indischen Online-Medien, um festzustellen, dass ein großer Anteil der Leser aus - heimwehgeplagten - Indern besteht, die im Ausland leben. Doch auch den umgekehrten Effekt gibt es: Rediff, ein englischsprachiges Webmagazin von Indern in den USA, hat mittlerweile 27 Millionen registrierte User; die Hälfte davon lebt immerhin in Indien. Inder in Indien gehen laut OJR vornehmlich online, um in den Genuss von "free e-mail" und "instant messaging" zu kommen oder um einzukaufen, beispielsweise Telefonkarten. Die jüngere Generation würde vor allem Bollywood- und Cricket-News verschlingen, während die "Exilanten" sich mehr für politische Nachrichten und Regionales interessieren würden. IndianOnlineJournalism.Org widmet ein aktuelles Special dem Weblogging. "Blogging is the rage", heißt es hier, öfter jedoch geschehe es, dass viele der Blogs schon nach den ersten Einträgen wieder einschliefen. Rediff bietet seinen Usern ein extra Start-a-new-Blog-Portal an.

Die Legende, dass indische Online-Medien es so gut verstehen, die Politik aufzumischen, verdankt sich zu einem großen Teil dem berühmten Tehelka-Skandal (vgl. Indisches Online-Magazin löst Regierungskrise aus). Als Waffenhändler getarnt, gelang es Journalisten des indischen Netzmagazins Tehelka Politiker bei der Annahme von Schmiergeld zu filmen, was unter anderem den Rücktritt des Präsidenten der BJP, Bangaru Laxman, zur Folge hatte. Die Journalisten hatten acht Monate verdeckt an der "Operation" gearbeitet, doch so groß Mühe und Aufwand auch gewesen waren - ihr Lohn war fürchterlich, denn heute ist die Redaktion so gut wie ruiniert. Die weltweite Aufmerksamkeit wird die "Rache der Regierung", wie Tarun Teijpal, Kopf von Tehelka, und vielleicht Indiens berühmtester Journalist, es nennt, noch angeheizt haben.

Wir brachten die Story raus und die Hölle brach los....Die Meute stürzte sich auf uns. Sie zerrissen unsere Investoren. Wir wurden gepiesackt, wo es nur ging. Und mit der Zeit waren wir übel zugerichtet....Die ganze Sache hat uns sehr arm gemacht und sehr berühmt

Auszug aus: Tehelka: THIS IS WHERE WE STAND

Von ehemals 120 Redaktionsmitgliedern sind noch drei übrig. Die Seite, die zur Zeit quasi stillgelegt ist und lediglich noch von ihrer eigenen traurigen Geschichte erzählt, soll möglichst bald wieder neu belebt werden und Teijpal wirbt um Abonnenten für ein wöchentliches Print-Magazin. Die große Zukunft scheint er im Online-Publishing nicht mehr zu sehen.