"95 Prozent der Inder haben keinen Zugang zur Wissensgesellschaft"
Zur Schließung der digitalen Kluft will die indische Regierung einen billigen "Weltcomputer" entwickeln
Indien hat über eine Milliarde Einwohner, über 40 Prozent gelten als arm, 47 Prozent der Kinder sind unterernährt, 40 Prozent der Inder können nicht lesen und schreiben, nur eine elitäre Schicht verfügt über einen Computer oder über einen Internetanschluss. Gleichwohl boomt die IT-Branche in Indien, vor allem was die Softwareentwicklung angeht, zudem wird Indien mehr und mehr wegen der kompetenten, aber sehr viel billigeren Arbeitskräfte zum ausgelagerten Büro (back office) für die Industrieländer. Um die in Indien dennoch besonders starke "digitale Kluft" zu schließen, will die Regierung 2,7 Milliarden Dollar investieren. Damit soll u.a. die Entwicklung eines billigen sprachbasierten Computers gefördert werden.
Noch freilich ist die Bedeutung der IT-Branche auch für die indische Wirtschaft nicht gewaltig. Sie hat einen Anteil von drei Prozent am Bruttosozialprodukt, allerdings aber bereits einen Anteil von 16 Prozent an den Exporten. Das indische Silicon Valley in Bangalore ist das Zentrum der IT-Branche, in dem sich über 1.000 ausländische Unternehmen angesiedelt haben und dessen Infrastruktur nun weiter ausgebaut werden soll. Die Straßen sind schlecht ausgebaut, häufig kommt es zu Stromausfällen. Geschaffen werden soll ein "IT-Korridor" für die "wissensbasierten Industrien", um an der Spitze zu bleiben und nicht hinter die prosperierenden IT-Standorte Hyderabad und Madras zu fallen. Der Regierungschef S.M. Krishna kündigte nun auch den lange verzögerten Baubeginn eines internationalen Flughafens in Bangalore an. Finanziert wird er durch ein Konsortium, an dem Siemens einen Anteil von 74 Prozent hält.
Gleichwohl seien, wie Manabendra Mukherjee, Informationstechnologieminister von West-Bengalen, die Auswirkungen der Informationstechnologie auf die meisten Inder "praktisch gleich Null". Auf der Konferenz "IT for Common Man, die im Rahmen der größten indischen IT-Messe Bangalore IT.COM 2003 am Samstag stattfand, sagte er, dass in ländlichen Gebieten 70 Prozent der Bevölkerung Analphabeten seien: "Nur fünf Prozent der Inder können Englisch sprechen und schreiben. Gegenwärtig sind 68,4 Prozent der Webseiten in englischer Sprache." Daher hätten 95 Prozent der Inder keinen Zugang zur globalen Wissensgesellschaft. Ein PC koste in Indien soviel wie das Durchschnittseinkommen von zwei Jahren, auch die Ausgaben für die IT sind daher entsprechend gering, weswegen es auf der Hand liege, "dass wir weit entfernt davon sind, die Informationstechnologie zur Verbesserung des Lebens der gewöhnlichen Menschen einzusetzen".
Rajeeva Ratna Shah, der Minister für Industriepolitik, erklärte auf einer anderen Konferenz, dass die indische Regierung 2,7 Milliarden Dollar in einem Zeitraum von fünf Jahren zur Schließung der "digitalen Kluft" investieren wolle. Man wolle nicht, dass Informations- und Kommunikationstechnologie "gesellschaftliche und wirtschaftliche Brüche zwischen den haves und den have-nots" schaffen.
Zu den Maßnahmen gehöre neben der Einrichtung von Breitbanddiensten für alle ländlichen Gebiete und der Förderung von "Tools for Tomorow" für digitale Dörfer ein Computerprojekt, das sich an den Simputer anschließt, einem für Indien wohl nur relativ billigen PDA mit integriertem Modem, SmartCard-Slot und Sprachausgabe für Texte (Computer für die Überwindung der digitalen Kluft), oder an andere Projekte (Das Web kommt mit dem Tuk-Tuk). Shah kündigte die Entwicklung eines billigen "Weltcomputers" an, den jedermann benutzen könne, weil er es ermöglichen soll, ihn in jeder Sprache mündlich zu bedienen:
Er sollte Befehle mündlich entgegen nehmen. Es muss eine totale Interaktivität geben und Analphabetismus darf kein Hinderungsgrund sein. Die Sprache wird kein Hindernis sein.
Ohne dies genauer auszuführen, würden bereits staatliche Ingenieure an einem System arbeiten, das man sprechend bedienen kann und das auf der Grundlage einer "sprachneutralen Software" läuft. Bei einem anderen Projekt, so Shah, das gerade erprobt werde, würden Postangestellte mit PDAs Emails ausdrucken und diese an die Bewohner eines Dorfes übermitteln. Diese können dann auch wieder Emails auf dem Gerät eintippen und wegschicken: "Das ist eine Offline-verbindung. Aber zumindest gibt es damit die Möglichkeit, einmal am Tag eine Botschaft um die Welt zu schicken."