Selenskyi mahnt härtere Gangart Deutschlands gegenüber Russland an

Selenskyj bei seiner Ansprache an den US-amerikanischen Kongress, 16. März 2022. Bild: President Of Ukraine/gemeinfrei

Unter großem Applaus spricht der ukrainische Präsident über Video zum Bundestag. Ein militärisches Eingreifen lehnt Bundeskanzler Scholz weiter ab

Stehende Ovationen im Bundestag. Mit einem emotionalen Appell an die deutschen Abgeordneten hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj um mehr Hilfe aus der Bundesrepublik gebeten. Doch die Parlamentarier konnten sich im Anschluss an die Rede nicht darüber einigen, sich im Plenum über Selenskyjs Worte auszusprechen. Stattdessen wurde es peinlich.

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt wollte ohne Pause zur Tagesordnung übergehen, was bei manchem Abgeordneten nicht gut ankam. Aus den Reihen der Unionsfraktion waren Buhrufe zu vernehmen. Ein Antrag auf Änderung der Tagesordnung wurde von SPD, Grünen und FDP abgelehnt.

"Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe", schrieb der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Anschluss auf Twitter. Die Tagesordnung nicht ändern zu wollen, nannte CDU-Fraktionschef Friedrich Merz "völlig unpassend". Die Bundesrepublik habe einen "Anspruch" darauf, zu erfahren, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Selenskyjs Rede reagiere.

Auch dem früheren Linken-Vorsitzenden Bernd Riexinger erschien dieses Vorgehen "peinlich". Sein Fraktionskollege Jan Korte meinte, die Regierungskoalition agiere "absolut lächerlich", wenn sie eine Diskussion über die Lage in der Ukraine unterbinden wolle. Zu Selenskyjs Vorwürfen müsse es eine Aussprache geben.

Der ukrainische Präsident erinnerte in seiner Rede an den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion vor 80 Jahren und behauptete, dass nun in seinem Land wieder ein Völkermord vonstattengehe. "Wieder versucht man in Europa, das ganze Volk zu vernichten", sagte er. Selenskyj mahnte eine härtere Gangart Deutschlands gegenüber Russland an.

Die wirtschaftlichen Sanktionen vor dem Angriff seien offensichtlich nicht ausreichend gewesen, um den Krieg zu verhindern. Er kritisierte, dass die Bundesrepublik immer noch wirtschaftlich mit Russland verbunden sei und immer noch Gas über Nord Stream 1 beziehe. Es müsse weitere strenge Sanktionen geben.

Zugleich beklagte er, dass die Ukraine nicht schnell in die Nato und die Europäische Union aufgenommen wurde. Das hätte erst den russischen Angriff ermöglicht. "Und auch jetzt zögern Sie noch beim Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union", sagte Selenskyj und zeichnete das Bild einer neuen Mauer, die es seiner Meinung nach in Europa gebe. An Olaf Scholz appellierte er: "Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder, unterstützen Sie uns!"

Diese historischen Vergleiche in Selenskyjs Rede sind leicht zu durchschauen. Seine Ansprache an den Deutschen Bundestag war genauso gestaltet wie die Rede an den US-amerikanischen Senat. In Übersee sprach Selenskyj von einem neuen Pearl Harbour, heute spiele er auf die Zeit des Nationalsozialismus und die Berliner Mauer an. Seine Rede sollte zum Handeln der Deutschen anregen, was einen direkten Kriegseintritt bedeuten könnte. Doch die erwünschte Wirkung blieb – vorerst – aus.

Scholz: "Stehen an der Seite der Ukraine"

Nach der Ansprache hat Bundeskanzler Scholz der Ukraine weitere Hilfen in Aussicht gestellt. "Wir stehen an der Seite der Ukraine", sagte er. Bei einem Besuch des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg in Berlin, verwies Scholz heute auf die laufende Unterstützung für die Ukraine, zu der auch Waffenlieferungen gehören. "Deutschland leistet hier seinen Beitrag und wird das weiter tun", so Scholz.

Einem militärischen Eingreifen der Nato erteilten Scholz und Stoltenberg erneut eine Abfuhr. "Die Nato wird nicht militärisch in diesen Krieg eingreifen", sagte Scholz. Und Stoltenberg betonte, es sei "die Verantwortung" des Kriegsbündnisses, "zu verhindern, dass dieser Konflikt weiter eskaliert". Denn das würde nur "mehr Leid, Tod und Zerstörung" bedeuten.

Ärger über Andrij Melnyk

Beim ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, dürfte diese Zurückhaltung nicht gut angekommen sein. In den letzten Monaten hat er sich einen Namen als Scharfmacher gemacht, der seine Nähe zu einer rechtsextremistischen Gruppierung ungeniert zu Schau stellt.

Kürzlich kritisierte er einen Artikel von Zeit Online über das Asow-Regiment. Man solle diese "mutigen Kämpfer" nicht weiter dämonisieren und damit "russischer Propaganda" in die Hände spielen. Nun ist es aber seit Jahren unzweifelhaft belegt, dass das Asow-Regiment vor allem aus militanten Neonazis besteht, die Hakenkreuze und andere Symbole des Nationalsozialismus offen zeigen und die sich im Kampf gegen "Untermenschen" wähnen.

Entsprechende Berichte wurden nicht nur in der britischen BBC ausgestrahlt; auch andere westliche Medien berichteten über dieses Regiment. Ebenso die deutsche Amadeu-Antonio-Stiftung. Der ukrainische Botschafter hatte sich in der Vergangenheit auch als Anhänger des ukrainischen Faschisten Stepan Bandera gezeigt.

Doch Melnyks Auftreten wird auch deutschen Politikern zunehmend unbehaglich, wenngleich sie aus vermeintlicher Solidarität mit Kritik sparsam umgehen. Der Spiegel hat am Mittwoch berichtet, dass in der SPD der Ärger über den Botschafter wächst. "Melnyk kann nicht ständig die deutsche Politik desavouieren, das geht einfach nicht", wird der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer zitiert. Es sei zudem eine "Unverschämtheit", dass Melnyk die Sozialdemokraten als "Kumpels von Putin" hinstelle oder Außenpolitiker als "Arschloch" bezeichne.

Melnyk ist aber nicht der einzige ukrainische Vertreter, der mit zweifelhaften Positionen auftritt. Am 10. März hielt die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka eine Rede vor der Kultusministerkonferenz (KMK) in Lübeck. Dort trat sie dafür ein, dass nach Deutschland geflohene ukrainische Kinder nicht nach deutschem, sondern nach ukrainischem Lehrplan unterrichtet werden und dass man dafür eigene Institutionen schaffe.

Sie begründete das im Prinzip damit, dass in den deutschen Lehrplänen ukrainischer Nationalismus fehle. Wenn die ukrainischen Kinder keinen Zugang zur ukrainischen Sprache, Literatur und Geschichte bekämen, dann spiele das nur Putin in die Hände. Die Berliner Zeitung gibt Tybinkas Worte so wieder:

In Deutschlands Lehrplänen und Richtlinien dominiert nach wie vor Russland und russischer Imperialismus. Daher stammen auch die Neigungen und das Bestreben vieler Menschen in Deutschland, Russland zu verstehen, Russlands Verbrechen zu rechtfertigen, aber auch die Angst davor, Russland irgendwie zu kränken. All das, was wir bereits vor dem Krieg gespürt haben, hält immer noch viele in Deutschland davor zurück, angemessen und in voller Entschlossenheit auf die Aggression Russlands zu reagieren.

Iryna Tybinka

"Da sie Propaganda für Russland und Putins Weltbild fürchtet", so hieß es in der Berliner Zeitung, habe sie auch vor der Zusammenarbeit mit Integrationsvereinen aus dem ehemaligen Ostblock gewarnt.


Redaktioneller Hinweis: Das Zitat Tybinkas aus der Berliner Zeitung war in einer früheren Version verändert wiedergegeben worden, wir haben es angepasst und bitten, den Fehler zu entschuldigen.