Sexualstrafrechtsreform: Eine Beweisaufnahme

Seite 2: Von den Fragen zu den Fakten

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Die juristischen Detailfragen sind für Laien oft schwer verständlich und in vielen Punkten auch eine Frage der Interpretation. Fragen zur Häufigkeit von Straftaten oder zur Praxis der Gerichte sind aber prinzipiell überprüfbar: Gerade deshalb werden ja Statistiken über Kriminalität erhoben und Gerichtsurteile veröffentlicht.

Dass die angebliche Dunkelziffer hunderttausender nicht zur Anzeige gebrachter Vergewaltigungen pro Jahr unplausibel hoch ist, habe ich vor Kurzem hier beschrieben (Vergewaltigung: Spiel mit den Zahlen). Dazu passen schon nicht die Ergebnisse der repräsentativen Befragung des Bundesfrauenministeriums aus dem Jahr 2004, der zufolge 6% aller Frauen in Deutschland einmal in ihrem Leben oder häufiger vergewaltigt wurden.

Sexuelle Gewalterfahrungen stark rückläufig

Über reine Vermutungen hinaus führt jedoch eine repräsentative Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung aus dem Jahr 2011. Dies wurde von den Kriminologen Deborah Hellmann und Christian Pfeiffer näher analysiert. Zunächst einmal ergab dies mit 5,5% für sexuelle Gewalterfahrungen von Frauen insgesamt (also nicht nur Vergewaltigungen) eine deutlich niedrigere Quote als die Befragung im Auftrag des Bundesfrauenministeriums.

Dieser Unterschied lässt sich zum Teil durch den zeitlichen Abstand erklären. Die KFN-Studie zeigte nämlich auch, dass die Häufigkeit sexueller Gewalterfahrungen unter Frauen innerhalb der letzten fünf Jahre von rund 5% bei der Erhebung 1992 auf 2,5% im Jahr 2011 deutlich sank. Die höheren Zahlen des Bundesfrauenministeriums sind inzwischen bereits zehn Jahre alt.

Anzeigen und das Dunkelfeld

Wichtig ist nun, dass laut KFN-Studie 19,5% dieser Fälle zur Anzeige gebracht wurden. Fasst man jetzt die Zahlen aus dem Hellfeld, also aus der Polizeilichen Kriminalstatistik, für sexuelle Nötigungen (§§177 und 178 StGB) zusammen, dann kommt man für das Jahr 2014 bei knapp 12.000 angezeigten Fällen auf ein Dunkelfeld von rund 48.000 Fällen oder insgesamt rund 60.000 sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen in Deutschland.

Nur bezogen auf Vergewaltigungen liegt die Gesamtzahl noch einmal niedriger, nämlich bei rund 37.000. Das ergibt ein ganz anderes Bild, als die im Rahmen der Kampagne von UN Women und vielen anderen behaupteten mehreren Hunderttausend. Gemäß der KFN-Studie ist der häufigste Grund für den Verzicht auf eine Anzeige übrigens nicht, wie oft kritisiert, die Befürchtung von Frauen, dass ihnen niemand glaubt, sondern dass ihnen die Sache peinlich ist (53,6%). Je schlimmer der Vorfall, desto höher jedoch auch die Bereitschaft zur Anzeige.

Kritik auf der emotionalen Ebene

Erst vor wenigen Tagen reagierten die beiden Juristinnen Theresa Richarz und Franziska Brachthäuser auf die zahlreichen Kommentare Thomas Fischers. Anstatt auf die von dem Bundesrichter seit mehr als einem Jahr erhobenen inhaltlichen Kritikpunkte einzugehen, werfen sie ihm vor allem eine Ablenkung "von den realen gesellschaftlichen Missständen durch juristische Wortklauberein" vor und greifen sie ihn auf der emotionalen Ebene an.

Auf die Bedenken, einer Ausweitung des Strafrechts könnten auch Unschuldige zum Opfer fallen, erwidern sie mit der Behauptung, nur bei 3% der angezeigten Vergewaltigungen handle es sich um Falschbeschuldigungen. Auf diese Zahl beriefen sich auch Aktivistinnen, die vor Kurzem vor dem Berliner Amtsgericht für Gina-Lisa Lohfink demonstrierten.